Digitale Agrarsysteme für Stadt, Land und Wüste


Zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gehört neben der
wachsenden Bevölkerung und Klimaveränderungen die Verdichtung urbanen
Lebens. Gleichzeitig werden Anbauflächen knapp und die Landwirtschaft
kommt an ihre Grenzen.Deshalb arbeiten Forscherinnen und Forscher der
Technischen Universität Braunschweig und der Humboldt-Universität zu
Berlin in einem Konsortium an einer Machbarkeitsstudie zur neuartigen
Nahrungsmittelproduktion in miteinander verbundenen, kommunizierenden und
standardisierten Produktionscontainern – den sogenannten CUBES.
Um Landwirtschaft effektiv zu betreiben, werden große Mengen an
Nährstoffen, Düngemitteln sowie Schädlings- und Unkrautbekämpungsmitteln
eingesetzt. Darüber hinaus ist sie abhängig von klimatischen Einflüssen.
„Mit CUBES wollen wir die Nachteile bisheriger Agrarproduktionssysteme
überwinden“, sagt Professor Christoph Herrmann vom Institut für
Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF) an der TU Braunschweig.
CUBES sollen ein geschlossenes System bilden, die aus
Produktionscontainern mit stapelbarer Grundform bestehen und durch
biokybernetische Kreisläufe geregelt werden. „Aufbauend auf dem
Verständnis biologischer Prozesse soll das Agrarproduktionssystem so
betrieben werden, wie man es aus Prozessketten in der Produktion
technischer Produkte kennt“, so Herrmann.
Wie bei der Aquaponik sollen gemeinsame Wasser- und Nährstoffkreisläufe
gebildet werden: Fische werden dabei in Aquakulturen gezüchtet und
Pflanzen auf Substrat (Hydrophonik). In den CUBES kann durch das
symbiotische Zusammenspiel von Gemüse-, Fisch- und Insektenzucht und durch
geschlossene Systeme der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden stark
reduziert werden. Insekten ergänzen diese Symbiose sinnvoll, damit noch
weniger externe Ressourcenströme wie Nahrung für die Fische notwendig
sind. Indem Grundsätze verschiedener geschlossener Kulturverfahren in eine
neue Prozesskette integriert werden, sollen Nahrungsmittel ohne
Zusatzstoffe, ohne Emissionen und ohne Abfallstoffe produziert werden.
Zudem sind die Produktionscontainer geschützter vor äußeren Einflüssen wie
zum Beispiel Dürren. Ein weiterer Vorteil der CUBES ist der modulare
Aufbau und ihre Erweiterbarkeit. So können sie an ländlichen, urbanen und
sogar wüstenähnlichen Standorten eingesetzt werden.
Das Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der TU
Braunschweig beschäftigt sich in dem Verbundprojekt mit der ganzheitlichen
Planung des CUBES Circles-Systems, mit der ökologischen Wirkung, mit
Kosten sowie Visualisierungs- und Interaktionsformen.
Zur ganzheitlichen Planung betrachtet das Institut Medien-, Energie- und
Datenströme zwischen einzelnen CUBES sowie CUBES-Verbünden und der
Umgebung mittels Simulation. Dazu entwickeln sie zunächst eine
lebenszyklusübergreifende Methode für die Bewertung der Effizienz, der
Akzeptanz in der direkten Umgebung und der Anpassungsfähigkeit des
Produktionssystems: „Normalerweise analysieren und bewerten wir den
Lebenszyklus eines einzelnen Produktes oder Prozesses. In den CUBES
Circle-Produktionssystemen hingegen entstehen drei Haupterzeugnisse –
Gemüse, Insekten, Fische – simultan. Zusätzlich verschmelzen die
Lebenszyklen der unterschiedlichen Erzeugnisse, zum Beispiel Insekten als
Fischfutter“, sagt Lennart Büth vom IWF. Für diesen Zweck entwickeln die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etablierte Methoden der
Lebenszyklusbewertung weiter.
CUBES-Betreiber sollen in Echtzeit auf Daten zu Kosten der Anlage, zum
Betrieb und ihre Umweltauswirkungen zugreifen. Mit diesen Daten können
Forscherinnen und Forscher bewerten, inwieweit das System unter
zukünftigen Umwelt- und Technikbedingungen angepasst werden muss. Die
erfassten Daten fließen in die Visualisierung des CUBES-Konzeptes ein und
unterstützen den Betreiber bei der Interaktion mit der Anlage. Das
Forschungsteam an der TU Braunschweig befasst sich deshalb mit Mixed-
Reality-Applikationen. Sie dienen zum einen der Außendarstellung in der
Öffentlichkeit. Zum anderen als Interaktionsschnittstelle zwischen Mensch
und Maschine im Produktivbetrieb. So kann der Betreiber komplexe
Zusammenhänge intuitiv erkennen, planen und steuern.
Ziel der Forschung ist die Erstellung einer Machbarkeitsstudie, eines
sogenannten proof-of-concepts bzw. eines Demonstrators. CUBES Circles wird
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Der
Förderzeitraum beginnt im März 2019 und endet im Februar 2024.
Projektpartner:
Humboldt-Universität zu Berlin, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf,
Technische Universität Chemnitz, Gesellschaft für soziale
Unternehmensberatung mbH Julius Kühn-Institut, Hermetia Baruth GmbH,
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei