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Wer mit Automaten unhöflich umgeht, den bedienen sie nicht

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Prof. Dr. Birger Priddat schreibt in diesem Gastbeitrag darüber, wie die
künstliche Intelligenz den Menschen zivilisieren könnte
Plötzlich machen sich alle Gedanken über Roboter und Automaten. Vor allem
über die künstliche Intelligenz (KI), die zunehmend in die Automaten
eingebaut und ständig weiterentwickelt wird. Wird ihre Intelligenz unsere
bald überflügeln?

Dass Algorithmen vieles, was wir uns mühsam zusammenreimen, extrem schnell
und komplex berechnen können, ist eine nützliche Eigenschaft der
Digitalisierung. Dass aber die Roboter die Macht übernehmen, ist eher der
Nachtschatten schlechter amerikanischer Filme. Aber etwas anderes wird
passieren: dass wir uns daran gewöhnen, mit Automaten zusammenzuleben. Wir
werden sie vielfach gar nicht mehr als Automaten empfinden, sondern als
gleichsam natürliche Gesprächs- und Arbeitspartner (so wie heute schon
Siri oder die Stimme des Navigationsgerätes). Spätestens dann, wenn die
Maschinen reden werden. Denn alle Automaten, die mit uns oder für uns
arbeiten, werden kommunizieren: untereinander, aber auch mit uns. Dass sie
mit uns andere Dinge kommunizieren, ist klar: Alexa oder Siri sind die
ersten Erprobungen.

Wenn sich die Automaten sprachlich in unsere Kommunikationswelten
einklinken, sind wir nicht mehr darauf angewiesen, mit Texten, SMS’en,
Mails, Bildern etc. zu operieren. Sondern wir kommunizieren mit den
Maschinen gleichsam auf ‚Ohrenhöhe’. Aber das ist der trivialere Teil der
Aussage; der weniger triviale ist der, dass uns die Maschinen durchgehend
vernünftig gegenübertreten. Sie sind – zumindest erst einmal – emotionslos
(ohne kühl zu sein. Das Timbre der Stimmen von Siri und Alexa erleben
manche sogar als proto-erotisch). Aber sie kommunizieren letztlich in
einer Dimension: streng vernünftig.

Bevor wir nicken und sagen, das sei doch klar, sollten wir bedenken, dass
sich daran unsere Kommunikationsstile neu formieren. Mit emotionalem,
gehässigem, aufbrausendem, oder aber auch nöligem, wischi-waschi- und
labernden Aussagen werden wir den Maschinen nicht kommen können. Sanft
werden die Algorithmen unsere Stimmungen korrigieren, nachfragen,
unnachgiebig vernünftig. Oder aber die Sache auf später verschieben, weil
man von uns gerade keine vernünftige Antwort bekommt etc. Mit unseren
schlampigen Kommunikationen, unklarem Entscheiden bzw. Nicht-Entscheiden-
Können werden diese Maschinen nichts anfangen können, außer uns leise ‚zur
Vernunft’ zu bringen. Wir werden – mehr oder minder – genötigt, vernünftig
zu fragen und vernünftig zu antworten – eine Qualität der Kommunikation,
die wir im Alltag durchschnittlich weder beherrschen noch hinreichend
üben.

Es kann also sein, dass die Automaten uns zivilisieren. Nicht weil sie so
programmiert sind (auch darauf kann man achten), sondern schlicht, weil
sie logische Automaten sind, die nichts anderes können, als einigermaßen
vernünftig zu sein. Es wäre ein miserabler Automat, wenn er schlampig,
uneindeutig, fahrig antworten würde. Die Automaten können eine
kulturbildende Aufgabe bekommen. Diesen Aspekt findet man in der
euphorischen Sorge über Roboter und Algorithmen äußerst selten.

Natürlich können dann semantische Algorithmen jede gehässige Äußerung –
von Aussagen wage ich gar nicht zu reden – zurückweisen; nicht gleich
löschen, sondern an den Absender zurückgehen lassen mit der Bitte, sie in
ein einigermaßen zivilisiertes Deutsch zur übersetzen. Überhaupt könnte
jeder Text – in Facebook, Twitter, aber auch in den Mails – zurückgegeben
werden (back to sender), der in schlechtem Deutsch, grammatikalisch falsch
und in brüchigem Satzbau verfasst ist.  Wahrscheinlich würden 50 Prozent
der aktuell gesendeten Textchen nicht durch den sprachbildenden Filter
gehen.

Eine absurde Idee? Warum? Warum lassen wir es zu, dass ein Großteil der
Kommunikation in der Gesellschaft in schlechtem Deutsch geschieht? Wenn
man privat seine Sprache verschludern lassen will, ist das eine Sache,
aber nicht in der Öffentlichkeit. Mit dem Internet und seiner
zivilisatorischen Vernunft hätten wir eine erstmalige Chance, in eine neue
Sprachkultur einzutreten. Wer mit den Automaten unhöflich oder sprachlich
barbarisch umgeht, den bedienen sie nicht.