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Umerziehung auf der Festung Königstein: Zeitzeugen dringend gesucht

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Jugendwerkhof Königstein, Abtragen der Ruine der katholischen Kirche 1954. Foto: Archiv Festung KönigsteinDie Festung Königstein im Elbsandsteingebirge plant für 2019 eine
Sonderausstellung zu einem bislang wenig bekannten Kapitel ihrer
Geschichte: der Jugendwerkhof Königstein von 1949 bis 1955. Sie sucht dafür
bundesweit Betroffene und ehemalige Angestellte, die über ihre Erfahrungen
berichten.

Königstein, 19. April 2017 (tpr) – Umerziehung für den Sozialismus: Umgeben
von dicken Mauern und eingebunden in einen streng geregelten Tagesablauf,
versuchte die DDR-Jugendhilfe kleinkriminelle und elternlose sowie
politisch unangepasste Jugendliche auf der Festung Königstein im
Elbsandsteingebirge auf Linie zu bringen. Von 1949 bis 1955 war der heutige
Besuchermagnet einer von über 70 Jugendwerkhöfen in der DDR. Die Heime
widmeten sich der „Umerziehung“ „schwer erziehbarer“ Minderjähriger.
Siebzig Jahre nach der Gründung will die Festung mit einer Ausstellung an
diese Geschichte erinnern und sucht dafür bundesweit Zeitzeugen.

„Die Tagesarbeit war hart, der Feierabend war ausgefüllt mit ungeliebten
Tätigkeiten (wie) Stuben säubern, (mit) Appellen und Kontrollen, Putz- und
Flickstunden (oder) dem Schlichten von Streitigkeiten. (Wir leisteten)
Hilfe bei Anfällen von Depression – vor allem dann, wenn mancher, dessen
Familienverhältnisse ohnehin schon sehr kompliziert, wenn nicht
aussichtslos kaputt waren, monatelang keine Post bekam. „Festungskoller“
(nannten) wir einen besonderen Zustand (…), der ab und zu einsetzte, weil
man nie allein war. Immer lebte man in der Gruppe, alles wurde kommandiert,
im Befehlston oder als Befehl direkt verlangt.“

Der Bericht von Klaus P. (Name von der Redaktion geändert), ehemaliger
Insasse des Jugendwerkhofs Königstein, zeigt, wie stark die Jugendlichen
kontrolliert und in ihrer Freiheit eingeengt wurden. Ziel war es, die 14-
bis 22-Jährigen durch einen geregelten Tagesablauf, eine Berufsausbildung,
militärischen Drill und ideologische Erziehung in die sozialistische
Gesellschaft zu integrieren. Die Erzieher, viele ohne Ausbildung – einzelne
waren ehemalige Unteroffiziere im Zweiten Weltkrieg – ließen den jungen
Erwachsenen kaum Rückzugsmöglichkeiten.

Ein Tag im Jugendwerkhof: 16 Stunden durchorganisiert

Jeder Tag im Jugendwerkhof Königstein war von 6 bis 22 Uhr
durchorganisiert. Direkt nach dem Aufstehen mussten die Insassen zum
Frühsport, um kurz darauf in ihre Zwei- bis Vier-Bettzimmer zurückzukehren
und diese zu putzen. Die Gruppenleiter prüften penibel, ob die Spinde
ordentlich, die Fußböden sauber und die Betten gemacht waren. Nach dieser
Prozedur ging es gruppenweise und singend zum Frühstück. Dort warteten die
jungen Menschen auf ein Zeichen der Erzieher, um sich setzen und später
wieder aufstehen zu dürfen. Der Morgenappell fand auf dem Paradeplatz
statt, wo heute jährlich Hunderttausende Besucher flanieren. Anschließend
begann die Arbeit in den Werkstätten oder der Unterricht in der Schule.

Im Jugendwerkhof erhielten viele Jugendliche eine Berufsausbildung. Auf der
Festung konnten sie sich unter anderem zum Schlosser, Tischler, Gärtner
oder zur Näherin ausbilden lassen. Das Lehrlingsentgelt mussten sie
teilweise zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts zurückzahlen.

„Bis heute können wir uns kein umfassendes Bild vom Jugendwerkhof machen,
da uns Berichte von Zeitzeugen fehlen“, erklärt Angelika Taube,
Geschäftsführerin der Festung Königstein gGmbH. „Deshalb suchen wir
dringend nach ehemaligen Betroffenen und Mitarbeitern, die bereit sind, über
ihre Erlebnisse zu sprechen.“

Als Ansprechpartnerin für Zeitzeugen steht Maria Pretzschner unter Telefon
035021/64516 und Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. zur Verfügung. Auf
Wunsch sind anonyme Kontakte möglich.■

Über die Festung Königstein:
Die Festung Königstein ist eine der schönsten Bergfestungen in Europa und
gehört zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in Sachsen. Eingebettet in
die bizarre Felslandschaft des Elbsandsteingebirges thront die einst
unbezwingbare Wehranlage 247 Meter über der Elbe und weithin sichtbar. Das
9,5 Hektar große Felsplateau ist mit seinem einzigartigen Ensemble aus mehr
als 50 imposanten Bauwerken verschiedener Epochen und seiner fast 800-
jährigen, in verschiedenen Ausstellungen dokumentierten Geschichte ein
Magnet für jährlich Hunderttausende Besucher aus der ganzen Welt.