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Erforschen, was die Welt zusammenhält

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Nein, über einen Mangel an Arbeit kann sich Klaus Boehnke nicht
beschweren. Globalisierung, Flüchtlingskrise, Rechtspopulismus,
Nationalismus – die Gesellschaften sind in Bewegung geraten, der
Zusammenhalt bricht auf. Jeder denkt nur noch an sich. Oder doch nicht?
Veränderungen im Zusammenleben festzustellen, gesellschaftliche Trends zu
erfassen und aus ihnen Schlussfolgerungen zu ziehen, ist Teil des
Arbeitsbereiches des Professors für Sozialwissenschaftliche Methodenlehre
an der Jacobs University in Bremen. Boehnke misst, was ist.

Wie man Daten erfasst, sie auswertet und aufbereitet, das ist sein
Spezialgebiet. Dabei geht es nicht um Bits und Bites, sondern um
Stimmungen, Strömungen, Meinungen, Befindlichkeiten in der Bevölkerung.
Boehnke erfasst sie meist durch Befragungen mithilfe von Fragebögen. Wie
diese nach wissenschaftlichen Kriterien aufzubauen sind, bringt er seinen
Studierenden ebenso bei wie das Führen von Interviews zum Zweck der
Forschung.

So hat es unter seiner Federführung jüngst eine Repräsentativbefragung von
2600 Bremerinnen und Bremern zum Zusammenhalt in der Stadt gegeben,
beauftragt von der Bertelsmann Stiftung und gesponsert von der
Arbeitsgemeinschaft der Bremer Wohnungswirtschaft, agWohnen Bremen
Bremerhaven. Um das Miteinander an der Weser ist es gut bestellt, trotz
unterschiedlicher Lebensverhältnisse in den Stadtteilen. Eine andere Frage
ist, wie es um den Zusammenhalt in der Welt insgesamt aussieht. Boehnke
neigt auch da eher zu Gelassenheit, trotz Abschottungstendenzen, wie sie
etwa in Großbritannien oder in den USA zu beobachten sind. Er sei kein
„Alarmist“, sagt er. „Gesellschaften sind diverser geworden, diese
Erscheinungen gehören dazu.“

Der 65-Jährige wirkt für eine Institution, die für das genaue Gegenteil
steht: für Weltoffenheit, für kulturelles Miteinander, für
Gleichberechtigung der Kulturen. Boehnke ist Prodekan der Bremen
International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS), einer
Gemeinschaftseinrichtung der Jacobs University und der Universität Bremen.
Knapp 80 Studierende aus 35-Nationen erhalten an dieser englischsprachigen
Graduiertenschule ihre Doktorandenausbildung in den Kerndisziplinen
Politikwissenschaften, Soziologie und Psychologie.

Die BIGSSS ist etwas Besonderes, nicht nur wegen ihrer Internationalität.
Die Doktoranden absolvieren wie beim Bachelor oder Master ein Studium mit
verschiedenen Lehrveranstaltungen auf denen sie sich über die Fachgrenzen
hinweg austauschen können. Sie sind keine Einzelkämpfer mehr, sind nicht
länger abhängig von nur einem Professor und dessen Themenschwerpunkt.
Stattdessen werden sie von einem Gremium aus drei bis fünf
Hochschullehrern betreut. Eines der Mitglieder stammt von einer anderen
Universität und hat meist auch einen anderen fachlichen Hintergrund, das
kann ein Volkswirt sein, ein Mathematiker oder auch ein
Computerwissenschaftler. „Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist bei uns
an der Tagesordnung“, sagt Boehnke.

Die Konzepte der Internationalität und der Transdisziplinarität waren es,
die ihn nach Bremen gelockt haben und für die er eine Lebenszeitprofessur
in Soziologie an der Technischen Universität Chemnitz aufgab. Boehnke war
selbst ein Wanderer zwischen den fachlichen Welten, hat zunächst Englisch
und Russisch studiert, später in Psychologie promoviert und habilitiert,
anschließend an einem erziehungswissenschaftlichen Institut gearbeitet und
später als Soziologe gewirkt.

Seit nunmehr 15 Jahren schon, seit dem 1. Februar 2002, wirkt er auf dem
Campus in Bremen-Nord. Den Schritt an die damalige International
University Bremen, aus der die Jacobs University hervorging, hat er nicht
bereut, trotz mancher Turbulenzen. „Das Konzept hat sich ganz und gar
bewährt.“

Seitdem hat sich Boehnke vor allem mit seinen Studien zu
Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus einen Namen gemacht, auch mit
einem Projekt zu den Lebenswelten junger Muslime in Deutschland. Als
Vertreter der angewandten Forschung versteht er sich, die sich nicht in
der Produktion von Papieren erschöpfe, sondern in die Gesellschaft
hineinwirken müsse. Das versuche er auch seinen Studierenden zu
vermitteln. Für ihn bedeutet dies, sich zu stellen, etwa in Talkshows, und
auch dann, wenn es mal Gegenwind gibt.

Dieses Jahr dürfte ein weiteres arbeitsreiches Jahr für Klaus Boehnke
werden. Im Sommer 2016 wurde er zum Präsidenten der International
Association for Cross-Cultural Psychology (IACCP) gewählt, ein Amt, das er
im Sommer 2018 antritt; in der IACCP sind Psychologinnen und Psychologen
aus 80 Ländern zusammengeschlossen sind. Zuvor aber wird der Vater von
vier Kindern sich auf nach Moskau machen. Denn ab Februar übernimmt
Boehnke zusätzlich zu seiner Arbeit in Bremen am International Laboratory
for Socio-Cultural Research der Higher School of Economics in Moskau  die
Position des stellvertretenden Leiters.

Weitere Informationen:
<https://www.jacobs-university.de>
<https://www.bigsss-bremen.de>
<https://www.jacobs-university.de/directory/kboehnke>