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DGAI-Datenbank ermöglicht Patienten mit seltenen Erkrankungen mehr Sicherheit in der anästhesiologischen Versorgung

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Wenn Patientinnen oder Patienten an einer seltenen Krankheit
leiden, stellt es sie wie auch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte stets
vor große Herausforderungen.

„Hier gilt es, über alles bisher Gelernte
hinaus zu denken", erklärt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI), Prof. Dr. Gernot Marx,
anlässlich des Tages der seltenen Erkrankungen, der am 28. Februar 2025
begangen wird. Zur Verbesserung der Patientensicherheit hat die DGAI
deshalb die Datenbank OrphanAnesthesia aufgebaut, die standardisierte
Handlungsempfehlungen für die anästhesiologische Versorgung von
Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen bietet.

Derzeit enthält die Plattform Empfehlungen zu 230 seltenen Erkrankungen.
„Die anästhesiologische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit
seltenen Erkrankungen erfordert höchste fachliche Expertise. Mit
OrphanAnesthesia teilen wir weltweit wertvolles Wissen und unterstützen
Anästhesieteams dabei, Herausforderungen erfolgreich zu meistern“, so
Prof. Marx.

Priv.-Doz. Dr. Philipp Gude (Bochum), der das Projekt gemeinsam mit Dr.
Christine Gaik (Marburg) leitet, ergänzt: „Die Empfehlungen stoßen
international auf großes Interesse – allein 2024 wurde mehr als 82.000 Mal
auf die Datenbank zugegriffen. Fachkolleginnen und -kollegen aus Europa,
den USA und vielen weiteren Ländern nutzen diese Ressource intensiv.“

Die Anzahl der gesammelten Empfehlungen ist bereits beachtlich. „Doch
angesichts von weltweit bis zu 8.000 seltenen Erkrankungen liegt noch viel
Arbeit vor uns“, weiß Dr. Christine Gaik. Die Datenbank werde daher stetig
ausgebaut.

Jüngste Empfehlung: Anästhesie bei CLOVES-Syndrom

Jüngste Ergänzung ist die Empfehlung zur anästhesiologischen Versorgung
von Patientinnen und Patienten, die am CLOVES-Syndrom (Congenital
Lipomatous Overgrowth-Vascular Malformation-Epidermal Nevi-Syndrome)
leiden. Diese seltene Erkrankung hat eine Prävalenz von weniger als
1:1.000.000 und geht mit Fehlbildungen des Fettgewebes, vaskulären
Malformationen, Hautveränderungen sowie Wirbelsäulen- und Skelettanomalien
einher. Aufgrund der geringen Fallzahlen fehlen in der klinischen Praxis
häufig erprobte Vorgehensweisen. So haben Menschen, die daran erkrankt
sind, mit einem erhöhten Risiko für Gefäßverschlüsse,
Atemwegskomplikationen und instabilem Kreislauf unter Anästhetika zu
kämpfen. Bei Unfällen, geplanten Operationen, aber auch Zahnarztbesuchen
oder gar einer bevorstehenden Geburt kann das zu einem deutlich erhöhten
Risiko für Komplikationen führen.

„Unsere Empfehlungen zum CLOVES-Syndrom stehen exemplarisch für die
Herausforderungen, denen sich Anästhesieteams bei seltenen Erkrankungen
stellen müssen“, sagt Projektleiterin Dr. Christine Gaik. „Eine
sorgfältige präoperative Planung ist durch das erhöhte Risiko für
thromboembolische Ereignisse, Atemwegskomplikationen und einer
Kreislaufinstabilität unerlässlich. OrphanAnesthesia stellt den
anästhesiologischen Teams hier entscheidende Informationen bereit, um
diese Risiken zu meistern“, erläutert sie.

Neben einer kurzen Beschreibung der Erkrankung und typischen Eingriffen
enthalten die Handlungsempfehlungen praxisrelevante Hinweise zur Auswahl
des Anästhesieverfahrens, dessen Vorbereitung und Durchführung sowie zur
postoperativen Überwachung. Ergänzt werden diese durch Informationen zum
Blutungsmanagement sowie zur ambulanten und geburtshilflichen Anästhesie.
Seit 2022 sind in den Empfehlungen zudem Informationen zum
Notfallmanagement integriert. Diese bieten in zeitkritischen Situationen
eine strukturierte Übersicht anhand des international etablierten ABCDE-
Versorgungsschemas und unterstützen die Anästhesie-Teams auch im Notfall
bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit seltenen
Erkrankungen.

Netzwerk an internationalen Expertinnen und Experten soll weiter ausgebaut
werden

Initiiert wurde OrphanAnesthesia bereits 2005 vom wissenschaftlichen
Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI. Die Handlungsempfehlungen sind
standardisiert, durchlaufen nach Erstellung einen internationalen Peer-
Review Prozess und werden in der digitalen Datenbank gespeichert. „Damit
konzentriert das Projekt das breit gestreute Wissen aus wissenschaftlichen
Publikationen und Erfahrungen anerkannter Expertinnen und Experten und
stellt es Fachleuten, Patientinnen und Patienten sowie
Selbsthilfeorganisationen zur Verfügung“, erläutert Prof. Dr. Tino
Münster, der das Projekt von Beginn an federführend betreut und erst vor
kurzem an seine beiden Nachfolger abgegeben hat.

Mit dem Projekt leiste die DGAI einen wichtigen Beitrag, um weltweit
standardisierte und evidenzbasierte Versorgung sicherzustellen, fasst
DGAI-Generalsekretär Prof. Dr. Bernd Zwißler zusammen. „Dabei stehen wir
vor der Aufgabe, unser Netzwerk weiter auszubauen und den Austausch mit
internationalen Expertinnen und Experten zu intensivieren.“ Zwißler
ermutigt deshalb gerne Fachkolleginnen und -kollegen, sich aktiv zu
beteiligen – sei es bei der Erstellung oder Begutachtung von Empfehlungen
oder der Informationsweitergabe an Patientenorganisationen. „Jeder Beitrag
ist wertvoll!“

Weitere Informationen zum Projekt unter: www.orphananesthesia.eu