Mini-Schlaganfall – doch nicht so „mini“?
Eine aktuelle Studie deutet darauf hin, dass ein „Mini-Schlaganfall“
(transitorische ischämische Attacke, kurz TIA) mehr ist als „nur“ ein
möglicher Vorbote eines ischämischen Schlaganfalls. Womöglich stößt auch
eine TIA – ähnlich wie ihr „große Bruder“ Hirninfarkt – eine
Schädigungskaskade im Gehirn an, die in eine Demenz münden kann. Eine TIA
ist also nicht „nichts“, es sollte immer ärztlicher Rat eingeholt werden,
um mögliche Folgen zu minimieren – auch wenn die Symptome nach kurzer Zeit
von allein wieder verschwinden.
Eine aktuell in JAMA publizierte Studie [1] sorgte in der letzten Woche
für Aufsehen. Die Längsschnitt-Kohortenstudie verglich über einen Zeitraum
von im Median 14 Jahren die kognitiven Verläufe von 356 Patientinnen und
Patienten nach einer TIA und 965 Personen nach einem Schlaganfall mit
14.882 gesunden Kontrollpersonen. In der Gesamtkohorte wurden mehrfach
kognitive Tests durchgeführt – bei denen von einer TIA oder einem
Schlaganfall Betroffenen lagen also Testergebnisse vor und nach dem
Ereignis vor.
Wie sich im Ergebnis zeigte, hatten diejenigen, die im Verlauf einen
Schlaganfall erlitten, einen niedrigeren Ausgangswert (-0,25; 95%CI, -0,32
bis -0,17) als jene mit TIA (-0,05;95 % CI: -0,17 bis 0,07; p = 0,005) und
jene, die im Studienverlauf ereignisfrei blieben (0; 95 % CI, -0,03 bis
0,03; p < 0,001).
Nach dem Schlaganfall sank der kognitive Gesamtwert
deutlicher ab (-0,14; 95 % CI, -0,21 bis -0,07) als in der Gruppe mit TIA
(0,01; 95 % CI, -0,10 bis 0,12; p = 0,02) und in der Kontrollgruppe
(-0,03; 95 % CI, -0,05 bis -0,01; p = 0,003). Der Schlaganfall ging also
unmittelbar mit einer signifikanten Abnahme der Kognition einher, die TIA
nicht. Was aber überraschte, war die Entwicklung im Verlauf: Der jährliche
Rückgang der Kognition war in der TIA-Gruppe ebenso rasant wie in der
Schlaganfallgruppe (-0,05; 95 % CI, -0,06 bis -0,01 vs. -0,04; 95%CI,
-0,05 bis -0,03) - und damit signifikant schneller als in der
Kontrollgruppe. Die Sekundäranalyse zeigte, dass Kovariablen wie LDL-Wert,
Adipositas sowie der Einsatz von Statinen oder Antikoagulantien kaum einen
Einfluss auf diese Entwicklung hatten. Diskutiert wird, dass bei einer TIA
trotz des schnellen Rückgangs der Symptome ein pathologischer Prozess in
Gang gesetzt wird, der zu langfristigen Veränderungen der Kognition führt.
Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit denen eines systematischen Reviews
[2], das eine um 29 bis 68 Prozent höhere Rate einer milden kognitiven
Einschränkung („mild cognitive impairment“, kurz MCI) und eine 8 bis 22
Prozent höhere Demenzrate nach TIA fand. Bei Schlaganfall sind kognitive
Beeinträchtigungen ein seit langer Zeit bekanntes Phänomen, etwa 20
Prozent aller Schlaganfall-Betroffenen entwickeln im ersten Jahr nach der
Erkrankung eine Demenz [3]. Die Folgen einer TIA auf die Kognition sind
hingegen noch wenig erforscht.
„Die vorliegende Studie hat verschiedene Limitationen“, erklärt Prof. Dr.
Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. „Es wurden keine Bildgebungsdaten
ausgewertet, was bedeutet, dass Menschen mit einer beginnenden
Demenzerkrankung nicht sicher ausgeschlossen werden konnten. Auch handelt
es sich um eine Kohorten-Beobachtungsstudie mit nur begrenztem
Aussagewert. Dennoch müssen wir diese Ergebnisse, auch weil sie konsistent
mit denen anderer Studien sind, ernst nehmen. Bisher haben wir eine TIA
vornehmlich als Vorbote eines Schlaganfalls gesehen und entsprechend
abgeklärt und behandelt. Wie diese Studiendaten zeigen, müssen wir in
Zukunft konsequent auch strukturierte Nachsorge- und Präventionsangebote
im Hinblick auf die Kognition umsetzen. “
So hält es der Experte nicht für ausgeschlossen, dass TIA durchaus einen
relevanten Anteil an der dynamischen Entwicklung von Demenzerkrankungen
haben. Schlaganfälle sind mit 270.000 Fällen pro Jahr in Deutschland eine
häufige Krankheit, bei einem Drittel aller Fälle ist eine TIA
vorausgegangen. Bei einer geschätzten TIA-Inzidenz von 1,19/1.000
Personenjahre (= pro 1.000 Personen pro Jahr) [4] muss man in Deutschland
jährlich von 95.000 TIA-Fällen ausgehen. „Wenn, wie die Studien zeigen,
bis zu einem Fünftel der Betroffenen in der Folge eine Demenzerkrankung
entwickeln, sind TIAs genauso wie Schlaganfälle ein relevanter Treiber der
steigenden Demenzzahlen.“ Erschwerend komme hinzu, dass sich die
Schlaganfallraten – und damit wohl auch die TIA-Raten – zwar bei älteren
Personen verringern, bei Menschen unter 55 Jahren aber nicht rückläufig
sind [5]. „Bei jüngeren Menschen kommen Langzeitfolgen der TIA natürlich
mehr zum Tragen als in einer hochbetagten Population.“
Welche Konsequenzen müssten aus diesen Erkenntnissen gezogen werden? Nach
Ansicht von Prof. Berlit ist eine verbesserte Information der Bevölkerung
über TIA und ihre möglichen Folgen notwendig. „Noch immer gehen zu viele
Menschen nicht zum Arzt, wenn die neurologischen Beschwerden von selbst
wieder nach ein paar Minuten verschwinden. Damit nehmen sie sich die
Möglichkeit einer medikamentösen Schlaganfallprophylaxe, sei es durch
Blutdrucksenker, Blutfettsenker oder Blutverdünner.“ Im Hinblick auf
mögliche kognitive Einschränkungen sollten TIA-Patientinnen und -Patienten
nach Ansicht des Experten zudem eine Nachsorge erhalten, die
neuropsychologische Tests und, bei Bedarf, frühzeitige gezielte
Interventionen miteinschließe. Ganz wichtig sei es zudem, die Prävention
von TIA zu stärken. „Die Menschen müssen wissen, dass eine TIA nicht
‚nichts‘ ist“, so Berlit. Er betont zur Vorbeugung von Mini-Schlaganfällen
die Relevanz eines gesunden und aktiven Lebensstils, eines normalen
Körpergewichts und des Nichtrauchens.
[1] Del Bene VA, Howard G, Gropen TI, Lyerly MJ, Howard VJ, Sawyer RP,
Lazar RM. Cognitive Decline After First-Time Transient Ischemic Attack.
JAMA Neurol. 2025 Feb 10:e245082. doi: 10.1001/jamaneurol.2024.5082. Epub
ahead of print. PMID: 39928345; PMCID: PMC11811855.
[2] van Rooij FG, Kessels RP, Richard E, De Leeuw FE, van Dijk EJ.
Cognitive Impairment in Transient Ischemic Attack Patients: A Systematic
Review. Cerebrovasc Dis. 2016;42(1-2):1-9. doi: 10.1159/000444282. Epub
2016 Feb 18. PMID: 26886189.
[3] Pendlebury ST, Rothwell PM. Prevalence, incidence, and factors
associated with pre-stroke and post-stroke dementia: a systematic review
and meta-analysis. Lancet Neurol. 2009 Nov;8(11):1006-18. doi:
10.1016/S1474-4422(09)70236-4. Epub 2009 Sep 24. PMID: 19782001.
[4] Lioutas VA, Ivan CS, Himali JJ, Aparicio HJ, Leveille T, Romero JR,
Beiser AS, Seshadri S. Incidence of Transient Ischemic Attack and
Association With Long-term Risk of Stroke. JAMA. 2021 Jan
26;325(4):373-381. doi: 10.1001/jama.2020.25071. PMID: 33496774; PMCID:
PMC7838926.
[5] Scott CA, Li L, Rothwell PM. Diverging Temporal Trends in Stroke
Incidence in Younger vs Older People: A Systematic Review and Meta-
analysis. JAMA Neurol. 2022 Oct 1;79(10):1036-1048. doi:
10.1001/jamaneurol.2022.1520. PMID: 35943738; PMCID: PMC9364236.