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Arbeitsrecht: Recht auf Homeoffice – Pflicht oder Segen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will Recht auf Homeoffice per Gesetz.
Juristin Prof. Dr. Antje G. I. Tölle von der Hochschule für Wirtschaft und
Recht Berlin sagt, das passe ohne flankierende Reformen nicht zum
Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht in Deutschland. Ein Interview.

•       Geplantes Gesetz zum Recht auf Homeoffice passt weder in die
Realität des deutschen Arbeitsmarktes noch in das Gefüge des
Arbeitsrechtes.
•       Koalitionsvertrag sieht lediglich Auskunftsanspruch bei
Antragsrecht vor, bleibt weit hinter gesetzlich garantiertem Anspruch auf
mobiles Arbeiten zurück.
•       Rückkehrrecht ins Büro und anlassloses Homeoffice für alle
Beschäftigten muss garantiert werden.

Was verbirgt sich hinter dem Recht auf Homeoffice?

Das neudeutsche Homeoffice ist ein Synonym für mobiles Arbeiten. Auch
Telearbeit oder andere Begriffe meinen die vollständige oder teilweise
Arbeit außerhalb der Betriebs- und Geschäftsräume. Bundesminister Heil hat
Ende April angekündigt, bis zum Herbst einen Gesetzesentwurf dazu
vorzulegen. Ich halte es für gewagt, Homeoffice von Rechts wegen zu
statuieren. Es passt weder in die Realität des deutschen Arbeitsmarktes
noch in das Gefüge des Arbeitsrechtes.

Sie sind gegen das Homeoffice? Weshalb?

Nein, im Gegenteil, ich arbeite gern und sehr effizient von zu Hause,
nicht nur jetzt in der Pandemiezeit. Aber ich vermisse den unmittelbaren
Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Und auch in der Lehre ist
die Zusammenarbeit mit den Studierenden eine ganz andere. Kritisch sehe
ich das geplante Gesetz, weil nicht jeder Beruf Homeoffice-fähig ist,
denken Sie etwa an die Gastronomie, das Handwerk oder den
Gesundheitsbereich. Und das führt zu Ungleichheit.

Weil es auch als Vertrauensbeweis und Wertschätzung empfunden wird?

Ich halte das Homeoffice für nur einen Baustein von vielen im Konstrukt
wertschätzender moderner "Guter Arbeit" – wo es denn die Tätigkeit
zulässt. Es gibt neben diesen „weichen“ Faktoren auch handfeste, messbare
Vorteile. Beim Arbeiten von zu Hause entfällt beispielsweise der
Arbeitsweg, dadurch bleibt mehr Freizeit. Und es fördert das Wohnen im
ländlichen Raum. Das ist ein wichtiger Beitrag angesichts zunehmend
überlasteter urbaner Agglomerationsräumen, also der Konzentration der
Bevölkerung in den Städten. Weniger Pendelwege verringern die
Klimabelastung merklich.

Diese und andere Argumente werden sinngemäß im geltenden Koalitionsvertrag
aufgelistet. Mobiles Arbeit soll gefördert werden. Also stehen die Zeichen
auf Grün?

Entgegen der jüngsten Verlautbarung von Bundesminister Heil sieht der
Koalitionsvertrag nur einen "Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber
ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung" vor.
Rechtlich flankiert ein solcher Auskunftsanspruch ein Antragsrecht, mehr
nicht. Es bleibt weit hinter einem Recht, also einem gesetzlich
garantieren Anspruch auf mobiles Arbeiten zurück.

Wie kann ein Gesetz entgrenzter Arbeitszeit und dem Druck, immer
erreichbar sein zu müssen, entgegenwirken? Studien zeigen, dass
Arbeitnehmer im Homeoffice mehr Überstunden leisten.

Diese Sorgen mögen teilweise berechtigt sein. Im Vergleich zu Kolleginnen
und Kollegen, die vor Ort arbeiten, schlägt das Arbeiten von zu Hause bei
Umfragen nicht selten mit Mehrarbeit zu Buche. Doch das Homeoffice sollte
deshalb nicht prinzipiell zum Schwarzen Peter werden. Die Bedenken sind
nicht neu, stellen sich auch, wenn der Vorgesetzte während des Urlaubs
anruft oder spätestens dann, wenn ein Diensthandy überlassen wird.

Wie löst man das Dilemma, wenn mobil nicht implizieren darf: immer agil?

Nun, Smartphones werfen die Frage auf, ob jede eintreffende E-Mail
zwangsläufig an Arbeitnehmer appelliert, umgehend ihre Arbeit aufnehmen zu
müssen. Ein Blick in die geltenden Vorschriften des Arbeitsschutzes zeigt,
dass jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer elf Stunden Ruhezeit
zustehen. Vorgesetzte können also gar kein Interesse daran haben, jede
Nachricht als Arbeitsaufforderung verstanden zu wissen. Vielmehr wird
teilweise diskutiert, ob es schier als aufgedrängte Arbeit zu werten ist,
wenn auf jede Nachricht reagiert wird. Durch die Arbeitsaufnahme entstehen
Überstunden, die gar nicht beabsichtig sind, und die Ruhezeit wird
unterbrochen. Außerdem wird damit auch die Arbeitszeit der Führungskraft
entgrenzt.

Wie realistisch ist es anzunehmen, dass ein Gesetz das alles regeln kann?

Gesetzliche Regeln können nur Leitplanken schaffen. Es obliegt auf der
einen Seite einer verantwortungsvollen nachhaltigen Führungskultur, Regeln
zu vereinbaren; sowohl für die Präsenzarbeit im Büro, wie für die mobile
Arbeit. Ich bin davon überzeugt, dass es vor Ort Abreden gibt, wie ein
Arbeitsauftrag zu verstehen und zu gewichten ist, so dass dies nur auf das
mobile Arbeiten übertragen werden muss.

Das Homeoffice ist ein anspruchsvolles Arbeitsfeld auch im Hinblick auf
Selbstorganisation und -verantwortung.

Absolut, es darf nicht unterschätzt werden, dass das Homeoffice und andere
Flexibilisierungen ein Mehr an eigener Organisation und Verantwortung von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlangt. Beim Arbeiten von Zuhause muss
man sich ebenso vor Ablenkungen abschirmen wie im Büro. Es drängt sich
hier vielleicht schneller ein schlechtes Gewissen auf, als wenn sich das
Gespräch mit der Kollegin oder dem Kollegen in der Kaffeeküche mal länger
hinzieht.

Vertrauensarbeitszeiten gab es schon, bevor die Corona-Pandemie dem
Homeoffice Vorschub leistete.

Ja, und deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass dieser Weg gangbar
ist. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Vorteile von
Rahmenarbeitszeiten zu schätzen gelernt. Es ist gängige Praxis, dass sich
Kolleginnen und Kollegen außerhalb der Kernarbeits- oder Funktionszeit
begrüßen, verabschieden oder anderweitig ihren Dienstbeginn und Feierabend
kommunizieren, miteinander arbeiten. Diese Tradition lässt sich
digitalisieren. Sie setzt auch klare Grenzen und schützt vor entgrenzten
Arbeitszeiten.

Flexible und individuelle Vereinbarungen und Lösungen, welchen konkreten
Beitrag können Gewerkschaften hier leisten?

Gute Arbeit ist das gemeinsame Werk aller Sozialpartner. Gerade beim
Homeoffice können die Gewerkschaften viel ausrichten, indem sie auf
Betriebsräte und Personalräte einwirken und insbesondere Vorurteile
abbauen. Aus der Praxis vernehme ich immer wieder, dass das Thema
"Homeoffice" für beide Seiten mit vielen Unsicherheiten und teilweise
Vorurteilen besetzt ist. Hier möchte ich Gewerkschaften ermuntern, in die
Vorreiterrolle zu schlüpfen, indem sie Best-Practice-Beispiele vorstellen.
Ich wünsche mir ein Muster für Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum
Homeoffice, die zum Beispiel zwischen Sozialpartnern abgestimmt auf der
Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales abrufbar ist.

Statt eines Gesetzes?

Solche Betriebs- und Dienstvereinbarungen wären ein niedrigschwelliges
Instrumentarium und weit konkreter und wirkungsvoller als ein plakatives
"Recht auf Homeoffice". Sie bieten vor allem die Chance, gesellschaftliche
Realitäten konkret abzubilden. Beispiele dafür gibt es bereits, aber auch
Nachbesserungsbedarf. Mir bekannte Dienst- oder Betriebsvereinbarungen zum
Homeoffice zielen vielfach allein auf soziale Implikaturen ab. Sie
bevorzugen oder berücksichtigen zum Teil ausschließlich Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter mit Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen. Nur diese
können auf begründeten Antrag von zu Hause arbeiten.

Wie würden Sie diese Regelung erweitern?

Diese Kriterien halten keine Lösung bereit, wenn Angehörige plötzlich
erkranken. So lässt sich nicht die Zeit der Genesung überbrücken oder bis
– im schlimmsten Fall – eine Pflegestufe zugesprochen wurde. Darüber
hinaus muss die Betreuungssituation von Kindern in heutigen vielfältigen
Erziehungsmodellen abgebildet werden und es auch Großeltern ermöglichen,
im Homeoffice für die Betreuung ihrer Enkel zu arbeiten. Patchwork-
Familien, in denen Lebenspartnerinnen oder -partner die Betreuungsarbeit
übernehmen, kommen hier noch nicht vor. Weiterhin sollten sich
Schwerbehindertenvertretungen dafür einsetzen, dass das Homeoffice eine
wichtige Komponente der Teilhabe oder Wiedereingliederung sein kann.
Denkbar wäre ein gestuftes Modell aus anlasslosem Homeoffice für alle
Mitarbeitenden. Auch Weiterungen für besondere soziale Situationen
gleichen hier aus.

Welche generellen Erwartungen und Vorschläge knüpfen Sie als Juristin an
das angekündigte Gesetz?

Zunächst sollte die Diskussion rund um das Homeoffice genutzt werden, um
etwa die Arbeitsschutzvorschriften zu modernisieren, damit auch zu Hause
der Arbeitsunfall und die Arbeit vor Bildschirmen gesichert ist. Einen
Heimarbeitsplatz zu unterhalten bedarf diverser technischer
Voraussetzungen, die gerade kleine und mittlere Unternehmen stark
beanspruchen können. Deswegen wünsche ich mir eine Blaupause des § 8
Teilzeit- und Befristungsgesetz. Hier kann jeder eine
Teilzeitbeschäftigung beantragen, anschließend wird die Möglichkeit
erörtert. Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bleibt es jedoch möglich, sie
aus betrieblichen Gründen abzulehnen. Darüber hinaus sollte der
Gesetzgeber darauf achten, dass ein Rückkehrrecht ins Büro offensteht.
Sonst fürchte ich, dass das Recht auf Homeoffice sich in eine Pflicht zum
Homeoffice verkehrt.

Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für
Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin.

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 11 500
Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften –
mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen
Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das
Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und
Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60
Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin
unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen
Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for
Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der
internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen
Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings
und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist
einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im
akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin
unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene
Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

http://www.hwr-berlin.de

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Kommentar Steuerschätzung: „Bund und Länder sollten Schuldenbremse auch 2021 aussetzen“

Jens Boysen-Hogrefe (https://www.ifw-kiel.de/de/experten/ifw/jens-boysen-
hogrefe/
), stv. Leiter der IfW-Konjunkturforschung, kommentiert die
Ergebnisse der 157. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“, deren
Mitglied er auch ist:

„Bund und Länder sollten auch für das Jahr 2021 die Ausnahmeregel der
Schuldenbremse nutzen und diese aussetzen. Die aktuelle Steuerschätzung
ist mit zu hoher Unsicherheit behaftet, als dass man die Haushaltsplanung
danach ausrichten sollte. Gleiches gilt für die Schätzung des
Wachstumspotenzials, das ebenfalls nach unten korrigiert wurde. Dem Bund
stehen jetzt unter dem Reglement der Schuldenbremse im nächsten Jahr 20
Milliarden Euro weniger zur Verfügung.

Deutschland darf seine finanziellen Spielräume zur Krisenbekämpfung jetzt
nicht auf Basis von Prognosen einengen, die aufgrund der gegenwärtigen
Ausnahmesituation kaum verlässlich und extrem korrekturanfällig sind. Es
besteht außerdem die Gefahr, dass die konjunkturelle Erholung im kommenden
Jahr durch eine restriktive Finanzpolitik behindert wird.

Sollte sich der Ausblick aufhellen und die nächsten Schätzungen Ergebnisse
liefern, die näher am Vorkrisenpfad liegen – was zu hoffen ist – würde
dies die finanziellen Spielräume von Bund und Ländern wieder erhöhen. Ein
Hin und Her in der Finanzpolitik würde durch das Aussetzen der
Schuldenbremse also verhindert.

Die Ausnahmeregel bzw. das Aussetzen der Schuldenbremse ist nicht zu
verwechseln mit einer temporären Abschaffung der Schuldenbremse. Die
Anforderungen der Schuldenbremse sind nicht verschwunden, sondern werden
nur in der Zeit gestreckt. Dadurch muss die Finanzpolitik nicht abrupt und
in großem Ausmaß reagieren. Vielmehr erlaubt das Aussetzen der
Schuldenbremse eine Verstetigung der Finanzpolitik.

Wenn die Corona-Krise überstanden und die wirtschaftlichen Folgen
absehbarer werden, ist eine Rückkehr zur Schuldenbremse geboten.
Dauerhafte Konsequenzen der Krise müssen letztlich in den laufenden
Haushalten abgebildet werden, wenn nicht ein Ausufern der Verschuldung
riskiert werden soll.“

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Abgesagte Veranstaltungen wegen Corona: Gutschein statt Geld zurück

Abgesagte Konzerte, verschobene Sportevents, geschlossene Theater- und Konzerthäuser. Die Coronavirus-Pandemie legt in ganz Europa zahlreiche Freizeitveranstaltungen lahm. Wer bei einem ausländischen Veranstalter gebucht hat, muss sich unter Umständen mit einem Gutschein zufriedengeben.

Fällt eine Veranstaltung wegen Corona aus, haben Verbraucher nach deutschem Recht einen Anspruch auf Erstattung des vollen Ticketpreises. In anderen EU-Staaten wurden jedoch bereits Gutschein-Lösungen eingeführt. Auch Deutschland denkt darüber nach.

Diese Rechte gelten im EU-Ausland

Veranstalter aus Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich und Portugal dürfen ihren Kunden momentan Gutscheine anbieten, statt den Ticketpreis zu erstatten. In der Regel sind die Gutscheine 12 bis 18 Monate lang gültig. Wird der Gutschein nicht innerhalb der Gültigkeitsdauer eingelöst, können Verbraucher in den meisten Fällen den Geldbetrag zurückfordern. Geht der Veranstalter jedoch insolvent, gehen Betroffene in der Regel leer aus. 

Ob und wann Gutscheine akzeptiert werden müssen, dazu erhält das Europäische Verbraucherzentrum (EVZ) Deutschland zurzeit zahlreiche Anfragen. 

Beispiel: Eine deutsche Verbraucherin hat über ein niederländisches Unternehmen eine Eintrittskarte für ein André Rieu Konzert in Bremen gekauft. Das Konzert wurde verschoben. Nach deutschem Recht stünde ihr eine Erstattung des Ticketpreises inklusive der Gebühren zu. Nach niederländischem Recht darf ihr ein Gutschein angeboten werden.

Das Problem: Die Verbraucher wissen meist gar nicht, bei wem sie ihr Ticket gekauft haben, welche Rechte sie haben und wen sie bei Beschwerden kontaktieren müssen.

Tipps für Verbraucher, deren Veranstaltung abgesagt oder verschoben wurde  

  • Wenden Sie sich per E-Mail an den Veranstalter. Häufig überträgt der Veranstalter die Rückabwicklung jedoch auf den Tickethändler. Kontaktieren Sie im Zweifel beide.
  • Wenn Sie einen Ersatztermin nicht wahrnehmen können: Machen Sie deutlich, dass sie verhindert sind und verlangen Sie Ihr Geld zurück, auch wenn es im Land eine Gutschein-Regelung gibt. Eventuell gelingt doch eine Einigung mit dem Veranstalter. 
  • Wenn Sie einen angebotenen Gutschein nicht akzeptieren wollen: Kontaktieren Sie kostenlos das EVZ. Unsere Juristen prüfen, ob Ihnen Erstattungsansprüche nach deutschem Recht zustehen.

 

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Geschäftsklima: Textile Dienstleistungsbranche durch Corona unter Druck

Unternehmensentwicklung
Unternehmensentwicklung

Die Stimmung in der textilen Dienstleistungsbranche hat sich außerordentlich verschlechtert. Das zeigt die Blitz-Geschäftsklimaumfrage des Deutschen Textilreinigungs-Verbandes (DTV). Wäschereien und Reinigungen sehen sich mit massiven Umsatz- und Auftragseinbrüchen konfrontiert. Besonders hart trifft es das Privatkundengeschäft und Betriebe mit dem Schwerpunkt auf Hotellerie- und Gastronomiewäsche.  

Weil die Nachfrage nach textilen Dienstleistungen eingebrochen ist, hat sich die aktuelle Geschäftslage der Wäscherei- und Reinigungsbetriebe dramatisch verschlechtert. So bewerten 80% der Befragten die Umsatzentwicklung als „schlecht“ und weitere 18% als „leicht negativ“. Ähnlich die Gewinnerwartungen: 84% beurteilen die Gewinnentwicklung als „schlecht“ und 13% als „leicht negativ“.
„Die Werte sind historisch schlecht. Die Branche wurde durch die Corona-Krise mit voller Wucht getroffen. Negativ schlug vor allem das sinkende Privatkundengeschäft und die Schließung von Hotellerie- und Gastronomiebetrieben zu Buche“, sagt Andreas Schumacher, Geschäftsführer des DTV. Die schlechte Stimmung wirkt sich ebenso auf Investitionen und Personalstand der Betriebe aus. Eine Verbesserung der Situation im 2. Halbjahr 2020 sei nach Ansicht der Befragten kaum zu erwarten.

Keine Betriebsform bleibt verschont

Die gesamte Branche mit allen Betriebsformen ist massiv von der Krise betroffen. So leiden Wäscherei- und Textilservice-Betriebe, Reinigungen aber auch Mischbetriebe unter drastischen Umsatzeinbrüchen. Es ist der stärkste Rückgang innerhalb eines Halbjahrs seit Beginn der Erhebung.

Die Nachfrage von Privatkunden nach Textilreinigungsdienstleistungen ging in Folge der Pandemie stark zurück. Dabei beginnt gerade jetzt die Hauptsaison, die bis Ende Oktober dauert. „Da leben Reinigungen vor allem von den Hemden, Anzügen, von den Festtagsklei-dern und Hochzeiten. Nun sehen sich viele Betriebe mit Umsatzeinbrüchen von 80 Prozent konfrontiert“, so Schumacher.

Neben dem Privatkundengeschäft sind Betriebe, die Ihre Umsätze vorwiegend in der Hotellerie und Gastronomie erzielen, besonders massiv von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Viele Betriebe verzeichnen einen Totalausfall, weil ihre Kunden aus Hotellerie und Gastronomie entweder geschlossen oder zahlungsunfähig sind. Hinzu kommt, dass Kunden zunehmend Zahlungen später leisten wollen. „Der Stillstand in der Hotellerie und Gastronomie hat auch dramatische Auswirkungen auf deren Zulieferer wie Brauereien oder Wäschereien. Die Politik muss handeln und Lösungen sowohl für Hotellerie und Gastronomie als auch deren Zulieferer finden“, fordert Schumacher.

Insbesondere auch Betriebe die Mietberufskleidung anbieten sind aufgrund von Kurzarbeit und möglichem Stellenabbau bei den Kunden stark betroffen. Die Anbieter von Mietberufskleidung verzeichnen derzeit Umsatzeinbrüche da weniger Mitarbeiter und damit Nutzer von Berufskleidung in den Kundenunternehmen arbeiten.

85 Prozent der Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet

Die gesunkene Nachfrage bei 92% der befragten Wäschereien und Reinigungen hat weitreichende Folgen auch für deren Belegschaft. So haben 85% der befragten Betriebe Kurzarbeit eingeführt. 68% der Betriebe haben als Folge der Corona-Krise ihre Investitionen zurückge-fahren. Fast die Hälfte der Befragten beklagen Liquidationsengpässe (49%). 16% berichten von einer drohenden Insolvenz.

Zudem beklagen sich viele Betriebe, dass die finanziellen Zuschüsse und Hilfen von Bund und Ländern sehr spät gezahlt werden. Einige Betriebe – überwiegend textile Dienstleister aus dem Gesundheitswesen – haben weiterhin große Probleme mit der Anerkennung als system-relevanter Betrieb. Das hat zur Folge, dass sie Ihre Mitarbeiter nur unter erschwerten Be-dingungen mit den entsprechenden Desinfektionsmitteln, Atemschutzmasken und Schutzbe-kleidung versorgen können. Für diejenigen, die mit potenziell kontaminierten Textilien – etwa aus Krankenhäusern – umgehen müssen, fordert der Branchenverband DTV einen schnellen Zugriff auf angemessene Schutzausrüstung.
„Wäschereien und textile Dienstleister für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen leisten in Corona-Zeiten einen unverzichtbaren Job, um Hygiene-Standards aufrecht zu erhalten und die Ausbreitung des Virus gerade in den Risikogruppen zu verlangsamen. Die Funktionsfähigkeit der textilen Dienstleistungsbranche ist daher essenziell für die Aufrechterhaltung unseres Sozial- und Gesundheitswesens“, so Schumacher.

Über die Hälfte der Betriebe können maximal noch 3 Monate durchhalten

Viele Wäscherei- und Reinigungsbetriebe sehen sich bereits jetzt in ihrer Existenz bedroht. 8% der Befragten geht davon aus, die aktuelle Situation noch maximal 4 Wochen lang durchhalten zu können. Weitere 18% glauben, die Krise noch 5 bis 8 Wochen durchzustehen. Und 28% hoffen, noch 9 bis 12 Wochen durchhalten zu können. „Mehr als die Hälfte der Wäscherei- und Reinigungsbetriebe werden die aktuelle Lage nicht länger als drei Monate überstehen und brauchen jetzt sofort wirksame Bundeshilfen", sagte Schumacher.

Der Deutsche Textilreinigungs-Verband ist Europas größter Verband für textile Dienstleis-tungen und vertritt als Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband von der traditionellen Textilrei-nigung bis hin zum industriellen Textildienstleister Unternehmen unterschiedlichster Größe und Betriebsform. Rund 800 Handwerks-, Gewerbe- und Industriebetriebe sind im DTV organisiert.

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