Forschende entwickeln Management-Optionen für ein besseres Gleichgewicht
von Seeigeln und Speisefischen in Makroalgenwäldern
Meereswälder aus Makroalgen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen im
Mittelmeer. Sie sind Heimat für Seeigel und eine Vielzahl an
Speisefischen. wie etwa die Meerbrasse. Menschliche Einflüsse und die
Auswirkungen des Klimawandels haben diese produktiven Ökosysteme in
einigen Mittelmeerregionen aus dem Gleichgewicht gebracht. Im
Forschungsprojekt BioDivProtect: Management nachhaltiger Seeigelfischerei
und Schutz von Meereswäldern (MUrFor) unter Beteiligung der Christian-
Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) wollen nun spanische, italienische,
französische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
länderübergreifend zusammenarbeiten und wirkungsvolle Instrumente für eine
nachhaltige Seeigelfischerei und den Schutz der Meereswälder im
Mittelmeerraum schaffen.
Ziel des Projektes ist es, gemeinsam mit der lokalen Fischerei sowie
Verantwortlichen aus Tourismus und Politik, eine Management-Toolbox zum
Erhalt der Biodiversität im Mittelmeerraum zu entwickeln und umzusetzen.
Das transdisziplinäre Projekt wird im Rahmen der europäischen Biodiversa+
Partnerschaft vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für
drei Jahre gefördert.
Unterwasserwälder im Mittelmeer vor kritischer Schwelle
Im Mittelmeer stellen sowohl Seeigel als auch Fische wichtige Zielarten
für die handwerkliche Fischerei dar. Eine unkoordinierte Bewirtschaftung
kann zur Überfischung und zur Überweidung von Makroalgen und damit zu
dauerhaften Regimewechseln führen. Obwohl diese Situation in
Küstensystemen häufig vorkommt, gibt es kaum Beispiele für ein wirksames
koordiniertes Management von Fischerei und Lebensräumen. Diese Lücke will
nun das Projekt MUrFor schließen. Während sich etwa im spanischen
Katalonien Seeigel aufgrund von Überfischung unkontrolliert vermehren
konnten, sodass die einst artenreichen Meereswälder verödeten, führte vor
Sardinien das intensive Abfischen von Seeigeln zu einem Rückgang der
Fischarten, zu deren Beute er gehört. Beide Entwicklungen haben enorme
negative Folgen für die handwerkliche Fischerei, den Tourismus und
besonders für die biologische Vielfalt in den einstigen Biodiversitäts-
Hotspots.
„Steht ein Ökosystem kurz vor dem Kollaps, leiden Artenvielfalt und lokale
Bevölkerung gleichermaßen. Ohne Fischerei ist die Lebensgrundlage und
Ernährungssicherheit vieler Menschen gefährdet. In einigen Regionen
scheint der Kipppunkt, die kritische Schwelle, bereits in greifbarer
Nähe“, sagt Dr. Lotta Kluger vom Center for Ocean and Society (CeOS) des
Forschungsschwerpunkts Kiel Marine Science (KMS) an der Universität Kiel.
Die Meeresökologin und Fischereiexpertin koordiniert gemeinsam mit ihrem
Kollegen Dr. Giovanni Romagnoni die Datenerhebung in den einzelnen
Regionen und ist für das Projektmanagement verantwortlich. „Im Konsortium
wollen wir Management-Optionen entwickeln, die dazu geeignet sind, den
Lebensraum zu schützen und gleichzeitig auch kommerziell zu nutzen - eine
komplexe Herausforderung, die nur gemeinsam mit den Interessengruppen vor
Ort gelingen kann“, so Kluger.
Seeigel spielt Schlüsselrolle für das Ökosystem im Mittelmeer
Zunächst sollen die Schwellenwerte identifiziert werden, die zu
irreversiblen Veränderungen in den untersuchten Regionen führen. Ziel ist
es, die Prozesse besser zu verstehen, die vor Ort die ökologischen und
sozioökonomischen Systeme regulieren. Dazu gehört auch der Seeigel
Paracentrotus lividus, der eine Schlüsselrolle als einer der wichtigsten
Pflanzenfresser im Mittelmeer einnimmt und vor allem von den kommerziellen
Fischarten der Spariden, Meerbrassen, kontrolliert wird. Gleichzeitig hat
er auch einen hohen Wert als weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte
Delikatesse.
Das transdisziplinäre Projekt MUrFor vereint unterschiedliche
Fachkenntnisse und basiert auf den Grundsätzen des partizipativen
Managements zwischen Forschenden, der regionalen Fischerei- und
Meeresschutzgebietsbeauftragen sowie Entscheiderinnen und Entscheider aus
Politik und Tourismus. MUrFor ist eines von insgesamt 36 geförderten
Projekten, die aus mehr als 200 Anträgen der europäischen Biodiversa+
Ausschreibung ausgewählt wurden.
Fotos stehen zum Download bereit:
https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2023/070-seeigel-
paracentrotus-lividus.jpg
Der Seeigel Paracentrotus lividus gehört im Mittelmeer zu den wichtigsten
Pflanzenfressern und spielt eine Schlüsselrolle für die Biodiversität in
den Meereswäldern des Mittelmeerraums.
© Egidio Trainito
Über die Europäische Biodiversitätspartnerschaft Biodiversa+
Die Europäische Biodiversitätspartnerschaft Biodiversa+, die gemeinsam mit
der Generaldirektion Umwelt sowie der Generaldirektion Forschung und
Innovation der Europäischen Kommission im Rahmen von Horizont Europa
umgesetzt wird, ist ein paneuropäisches Netzwerk von Organisationen, das
Forschung zu biologischer Vielfalt, Ökosystemleistungen und naturbasierten
Lösungen plant und finanziert. Die Partnerschaft umfasst derzeit 74
Förderorganisationen aus 36 Ländern. Biodiversa+ koordiniert
Forschungsprogramme zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und
assoziierten Ländern und vernetzt Umwelt- und Forschungsministerien ebenso
wie Förderorganisationen und Umweltschutzbehörden als Schlüsselpartner für
die Umsetzung von Biodiversitätsforschung und –innovation. Von deutscher
Seite beteiligen sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Über Kiel Marine Science (KMS)
Kiel Marine Science (KMS) ist das Zentrum für interdisziplinäre
Meereswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).
KMS bildet die organisatorische Einheit für alle natur-, geistes- und
sozialwissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher, die sich
mit den Meeren, Küsten und den Einfluss auf die Menschheit beschäftigen.
Die Expertise der Gruppen kommt beispielsweise aus den Bereichen der
Klimaforschung, der Küstenforschung, der Physikalischen Chemie, der
Botanik, aus der Mikrobiologie, der Mathematik, der Informatik, der
Ökonomie oder aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Insgesamt umfasst KMS über 70 Arbeitsgruppen an sieben Fakultäten und aus
über 26 Instituten. Gemeinsam mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft
arbeiten sie weltweit und transdisziplinär an Lösungen für eine
nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans.
Weiterführende Informationen:
Über das Center for Ocean and Society (CeOS),
https://www.oceanandsociety.org/
Über Kiel Marine Science (KMS), http://www.kiel-marine-science.de
Zur BMBF-Förderbekanntmachung Biodiversa+,
https://www.fona.de/de/massnahmen/internationales/BiodivMon.php