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Forschung für mehr Hitzeschutz: Ihringen ist Pilotkommune

• Das Projekt PROLOK und die Gemeinde Ihringen erforschen gemeinsam neue
Wege für den Hitzeschutz in kleinen Kommunen.
• PROLOK ist ein Projekt des Innovationscampus Nachhaltigkeit, einer
gemeinsamen Initiative der Universität Freiburg und des Karlsruher
Instituts für Technologie (KIT) mit Förderung durch das Ministerium für
Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.
• Wissenschaftsministerin Olschowski: „In der Pilotkommune Ihringen
entstehen Hitzeschutz-Konzepte, die auf andere Orte übertragen werden
können. Diese anwendungsnahe Forschung bringt uns auf dem Weg in eine
nachhaltigere Gesellschaft voran.“

Der Klimawandel führt, insbesondere in der Oberrhein-Region, zu einer
steigenden Zahl an heißen Tagen und wirkt sich damit auf den Alltag, die
Lebensqualität und die Gesundheit der Bevölkerung aus. Im Projekt PROLOK
(„Prozessschema für lokalspezifische Hitzeanpassung in kleinen Kommunen“)
sollen nun Wege erforscht werden, wie sich kleine Kommunen besser vor
Hitzeereignissen schützen können. Das Projekt wird dazu mit der Gemeinde
Ihringen am Kaiserstuhl zusammenarbeiten, die einer der Hitze-Hotspots in
Deutschland ist.

Das Projekt PROLOK ist Teil des Innovationscampus-Modells Nachhaltigkeit
(ICN) des Landes. Die wissenschaftliche Federführung liegt bei der
Universität Freiburg und dem Süddeutschen Klimabüro am Karlsruher Institut
für Technologie (KIT). Praxispartner sind der Regionalverband Südlicher
Oberrhein und das Beratungsbüro Klima Plus.

Von Hitzeereignissen besonders betroffen: Pilotkommune Ihringen

Die Ausschreibung für die Pilotkommune war im Juni 2024 über den
Regionalverband Südlicher Oberrhein gemeinsam mit der Universität
Freiburg, dem KIT und Klima Plus erfolgt. Sie richtete sich an Gemeinden
mit 5.000 bis 20.000 Einwohner*innen und einer starken Betroffenheit von
Hitze. Aus den drei Bewerberkommunen, die die formalen Kriterien
erfüllten, wählten die Projektpartner*innen die Kommune Ihringen als
Pilotpartner aus. Prof. Dr. Hartmut Fünfgeld, Inhaber der Professur für
Geographie des Globalen Wandels an der Universität Freiburg und Co-
Projektleiter von PROLOK erläutert die Entscheidung: „Ihringen gilt
bereits heute als einer der Hitze-Hotspots in Deutschland und wird künftig
häufiger und intensiver von Hitzeereignissen betroffen sein. Als kleine
Gemeinde mit etwa 6.300 Einwohner*innen eignet sie sich hervorragend für
die Zielsetzung des Projekts. Die Projektergebnisse können dann auf andere
Gemeinden übertragen werden.“

„Wir wollen Klimaforschung nutzbar machen: Mit den Ergebnissen der am KIT
verwendeten regionalen Klimamodelle können wir die Akteure vor Ort bei
spezifischen Fragestellungen - wie der Hitze in Ihringen - unterstützen“,
so PROLOK-Co-Leiter Dr. Hans Schipper, der das Süddeutsche Klimabüro am
KIT leitet.

„Die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Einwohnerinnen und Einwohner,
insbesondere der ganz jungen und der ganz alten, liegen uns besonders am
Herzen“, betont Benedikt Eckerle, Bürgermeister der Gemeinde Ihringen.
„Die Teilnahme am PROLOK-Projekt bietet uns die Chance, gemeinsam mit
unseren Bürgerinnen und Bürgern sowie lokalen Akteuren maßgeschneiderte
Lösungen gegen die zunehmende Hitze zu entwickeln und so die
Lebensqualität in unserer Gemeinde nachhaltig zu sichern.“

Übertragbare Hitzeschutz-Konzepte entwickeln

Ziel des Projekts PROLOK ist es, ein Prozessschema zu entwickeln, mit dem
kleinere Kommunen trotz begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen
präventiv und innovativ mit Hitzegefahren umgehen können. Das entwickelte
Prozessschema soll gemeinsam mit der Pilotkommune Ihringen im Zeitraum von
Oktober 2024 bis März 2025 im Rahmen von zwei Akteur*innen-Workshops
getestet und mit den Erfahrungen aus dem Prozess fortentwickelt werden.
Der erste Workshop wird am 21. November 2024 in Ihringen stattfinden.

„Der Innovationscampus Nachhaltigkeit adressiert die großen
Herausforderungen unserer Zeit – vom Klimaschutz über Ressourcenschonung
bis zur Stadtplanung der Zukunft. Durch Innovationssprünge soll die
Oberrheinregion zu einem Leuchtturm der Nachhaltigkeitsforschung werden.
Gleichzeitig haben Projekte wie PROLOK das Potenzial, das Leben der
Menschen ganz praktisch zu verbessern. So entstehen in der Pilotkommune
Ihringen Hitzeschutz-Konzepte, die auf andere Orte übertragen werden
können. Diese anwendungsnahe Forschung bringt uns auf dem Weg in eine
nachhaltigere Gesellschaft voran“, sagte Wissenschaftsministerin Petra
Olschowski zur Entwicklung des Innovationscampus-Modells.

Der Innovationscampus Nachhaltigkeit
PROLOK ist eines von sechs Projekten, die seit 2024 im Rahmen des
Innovationscampus Nachhaltigkeit (ICN) (https://mwk.baden-
wuerttemberg.de/de/forschung/forschungslandschaft/innovationscampus-
nachhaltigkeit) als gemeinsame Initiative der Universität Freiburg und des
KIT durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-
Württemberg gefördert werden. Als jüngster Innovationscampus hat der ICN
vom Wissenschaftsministerium eine Anschubfinanzierung über einer Million
Euro erhalten. Unter dem Motto „Transformationen für Stadt-Regionen der
Zukunft – Klimaschutz, Ressourcenschonung und Well-being“ wollen
Forschende gemeinsam mit Praxispartner*innen zur Lösung realweltlicher
Herausforderungen und damit zu einer nachhaltigen Entwicklung der
Gesellschaft beitragen – unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und
ökologischer Aspekte, des Gemeinwohls und der sozialen Gerechtigkeit.

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Endometriose: Hyperspektral-Bilder sollen OPs vereinfachen

FH Dortmund will Versorgung von Patientinnen verbessern

Die frühzeitige und präzise Diagnose von Endometriose ist entscheidend für die Gesundheit und Lebensqualität von Frauen. Forschende der Fachhochschule Dortmund setzen auf hyperspektrale Bildgebung und KI-Methoden, um die medizinische Versorgung von Betroffenen zu verbessern.

 

Endometriose ist eine chronische Erkrankung, bei der Gewebe, welches der Gebärmutter-Schleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Betroffene Frauen leiden oft unter starken Schmerzen, doch die Symptome sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Deshalb dauert es teils lange, bis die Erkrankung ärztlich festgestellt wird. Mit Folgen: Wird das Gewebe nicht entfernt, kann es bis hin zur Unfruchtbarkeit führen. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) erkranken 10 bis 15 Prozent der Frauen an Endometriose.

 

Der minimalinvasive chirurgische Eingriff mittels Endoskopie gilt bei der Behandlung als Goldstandard. Doch bislang wird lediglich anhand des visuellen Endoskop-Bildes entschieden, ob und an welchen Stellen genau eine Endometriose-Läsion vorliegt. Das birgt Risiken. „Wir setzen ergänzend auf hyperspektrale Bildanalyse zur Gewebeklassifikation“, sagt Stefan Patzke, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „HSI4MIC“ am Fachbereich Informationstechnik der FH Dortmund.

 

Mit der eingesetzten Hyperspektralkamera werden bis zu 255 Spektralbänder erfasst. Das rein visuelle Endoskop-Bild hat lediglich drei Bänder (rot, blau und grün). Neben der deutlich verbesserten spektralen Auflösung kommen zudem einige weitere Spektralbänder in Richtung Nah-Infrarot bis UV hinzu, die für das menschliche Auge gar nicht wahrnehmbar sind. In diesem „spektralen Fingerabdruck“ sucht Stefan Patzke mithilfe von Künstlicher Intelligenz nach charakteristischen Eigenschaften einer Endometriose-Läsion. „Unser Ziel ist ein Hilfsangebot für Mediziner*innen“, betont Stefan Patzke. So sollen künftig mit neuer Sensorik und der entsprechenden Software direkt während der endoskopischen Untersuchung Hinweise auf betroffenes Gewebe gegeben werden. „Die Mediziner*innen können diese Stellen dann noch einmal genau prüfen.“ Das Ziel: möglichst keine Endometriose-Rückstände im Körper und damit weniger Folge-Operationen.

 

Daran haben auch die Kliniken ein großes Interesse. Die FH Dortmund kooperiert in diesem Projekt mit Krankenhäusern aus der Region – dem Klinikum Dortmund sowie dem Endometriosezentrum des Marienkrankenhauses in Schwerte. Sie wurden mit einer Hyperspektral-Kamera ausgestattet und liefern die spektral hochaufgelösten Aufnahmen des Gewebes, mit denen Stefan Patzke arbeitet. Im kommenden Jahr sollen entsprechende Ergebnisse vorliegen. „Ich gehe davon aus, dass mit unserem Ansatz das schadhafte Gewebe zuverlässig zu erkennen ist“, sagt er zuversichtlich. Der anschließende Schritt sei dann die technische Integration der Hyperspektralkamera in das endoskopische Werkzeug. „Das wird einfacher, wenn wir genau wissen, welche Spektralbänder für die Erkennung relevant sind.“

 

Die Relevanz seiner Forschung für den medizinischen Alltag bescheinigte ihm auch die Preis-Jury beim Dortmunder DART-Symposium der Fachhochschule. Stefan Patzke wurde dort mit dem Award for Young Researcher 2024 ausgezeichnet.

 

 

Hintergrund:

Das Projekt „HSI4MIC“ wird vom Bundeministerium für Bildung und Forschung finanziell gefördert. Die Projektleitung hat Prof. Dr. Jörg Thiem, Prorektor für Forschung und Transfer an der FH Dortmund. Stefan Patzke wird im Projekt von einer studentischen Hilfskraft unterstützt. Neben dem Klinikum Dortmund und dem Endometriosezentrum des Marienkrankenhauses in Schwerte ist auch das Medizintechnikunternehmen C.R.S. iiMotion GmbH als Partner beteiligt. Darüber hinaus leiten sich aus dem Projekt weitere studentische Arbeiten im Bereich der hyperspektralen Bildgebung ab. „Wir stehen für die Einheit von Forschung und Lehre“, betont Jörg Thiem, der am Fachbereich Informationstechnik lehrt. Darum finde Forschung sichtbar und unter Einbeziehung der Studierenden statt.

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Aktueller Überblick leuchtet Gründe für und Strategien gegen die geschlechtsspezifische Entgeltlücke aus

Neuer Bericht

Weiter Weg zur Entgeltgleichheit: Aktueller Überblick leuchtet Gründe für
und Strategien gegen die geschlechtsspezifische Entgeltlücke aus

Der Fortschritt ist bisweilen eine Schnecke – besonders in Sachen
Geschlechtergleichheit. Wie weit der Weg dahin auf dem deutschen
Arbeitsmarkt noch ist, welche Hindernisse es gibt und wie sie sich
überwinden lassen, hat die Wirtschaftswissenschaftlerin und Beraterin Dr.
Andrea Jochmann-Döll analysiert. Ihr neuer, von der Hans-Böckler-Stiftung
geförderter Bericht gibt einen aktuellen Überblick.* Dafür hat Jochmann-
Döll Literatur ausgewertet sowie die Verantwortlichen für Frauen- und
Gleichstellungspolitik des DGB und der Mitgliedsgewerkschaften befragt.
Ihr Bericht ist Teil eines Projekts zum Stand der Entgeltgleichheit in den
nordischen Staaten und in Deutschland, das der Rat der nordischen
Gewerkschaften, die Friedrich-Ebert-Stiftung und der DGB initiiert haben.
Ziel: Durch Beispiele guter Praxis zeigen, wie sich die Lohnlücke
schließen lässt und daraus Empfehlungen für die nationale und europäische
Politik ableiten. „Die Studie macht deutlich, dass Entgeltgleichheit von
Frauen und Männern kein Wunschtraum ist, denn es gibt erprobte Mittel
gegen Lohnungleichheit“, so Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung
Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. „Doch der Weg dorthin ist
vielerorts noch weit.“

Der Gender Pay Gap ist der Auswertung zufolge in Deutschland „im Vergleich
zu anderen europäischen Ländern konstant hoch“, 2022 entsprach der Abstand
zwischen den Geschlechtern beim durchschnittlichen Stundenlohn 18 Prozent
oder 4,46 Euro. Als eine Ursache für die klaffende Lohnlücke macht
Jochmann-Döll unzureichende gesetzliche Regelungen und fehlende Sanktionen
aus. Das Entgelttransparenzgesetz, das seit 2017 in Kraft ist, habe nur
wenig gebracht; einer Evaluation zufolge ist es nur einem Drittel der
Beschäftigten bekannt, nur vier Prozent haben ihr Recht auf individuelle
Auskunft bislang in Anspruch genommen. Grundsätzlich spiegele die
geschlechtsspezifische Bewertung von Arbeit hartnäckige stereotype
Überzeugungen wider, die unter anderem dazu führen, dass soziale oder
Sorgeberufe, in denen viele Frauen arbeiten, bei der Bezahlung trotz
einiger Verbesserungen in den vergangenen Jahren immer noch unterbewertet
sind. Hinzu komme, dass sinkende Tarifbindung und fehlende Mitbestimmung
zu intransparenten Entgeltstrukturen führen, die den Nachweis von
Diskriminierung erschweren.

Die Autorin illustriert anhand von „Beispielen guter Praxis“, was zu mehr
Lohngerechtigkeit beitragen könnte. Sinnvoll sind demnach zum einen
Aktionen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit wie der „Equal Pay Day“
oder der „German Equal Pay Award“. Von den Bundesländern tut sich etwa
Bremen durch die „Landesstrategie für Gendergerechtigkeit und
Entgeltgleichheit“ hervor, Hessen und Nordrhein-Westfalen durch einen
„Lohnatlas“ mit geschlechtsspezifischen Daten. In der betrieblichen Praxis
können kostenlose Prüfinstrumente wie der „Entgeltgleichheits-Check“
helfen, der mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt wurde.
Dass die Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen, belegt unter anderem
die „Initiative Lohngerechtigkeit“ der NGG. Ein Ergebnis ist die neue
Entgeltstruktur für das Bäckerhandwerk in Berlin-Brandenburg, in der
erstmals die männerdominierte Berufsgruppe der Bäcker*innen und die
frauendominierte Gruppe der Verkäufer*innen gleichgestellt sind.

Eine weitere Dimension der Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt sei die
„sektorale Segregation“, schreibt Jochmann-Döll. Sie verweist auf eine
WSI-Studie von 2023, der zufolge in acht von 16 Sektoren des
produzierenden Gewerbes sowie der Land- und Forstwirtschaft die
Beschäftigten zu mehr als 70 Prozent Männer sind. Die einzigen drei
frauendominierten Sektoren – das Gesundheitswesen, das Sozialwesen sowie
der Bereich Erziehung und Unterricht – gehören zu den Dienstleistungen.
Von 14 Berufssegmenten waren 2022 sieben männerdominiert. Auf einen
Frauenanteil von mehr 70 Prozent kamen drei: die Gesundheitsberufe,
soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe sowie Reinigungsberufe. Seit
2013 hat sich an dieser Unwucht wenig geändert. Auch in der
Berufsausbildung zeichnet sich kein Umbruch ab: Bei den MINT-Berufen
betrug der Frauenanteil 2021 elf Prozent, im Gesundheits- und Sozialwesen
89 Prozent.

Verantwortlich für diese Situation sind dem Bericht zufolge unter anderem
vorherrschende Geschlechterbilder, die die Berufswahl beeinflussen. Frauen
in atypischen Berufen würden oft diskriminiert und hätten laut einer
aktuellen Studie sogar schlechtere Karten auf dem Dating-Markt. Auf Seiten
der Unternehmen kämen Vorurteile in vielen Stellenanzeigen oder
Einstellungsverfahren zum Ausdruck. Auch in dieser Hinsicht sei die
Erosion des Tarifsystems ein Problem: Wenn alte Tarifverträge mit
historischen Stellenbeschreibungen weiter gelten, würden Stereotype
reproduziert.

Zu den vorbildlichen Gegenmaßnahmen zählt die Expertin den „Girls‘ Day“,
der Mädchen ermöglicht, männerdominierte Berufe kennenzulernen, den
analogen „Boys‘ Day“ sowie die „Initiative Klischeefrei“, ein vom
Bundesfamilienministerium ins Leben gerufenes Bündnis unter anderem von
Ministerien, Unternehmen, Gewerkschaften und Schulen. Auch dass Informatik
in diversen Bundesländern mittlerweile Pflichtfach ist, könnte der
Segregation bei der Berufswahl entgegenwirken.

Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht laut der Analyse auch bei
den familiären Verpflichtungen: Laut Daten des Statistischen Bundesamtes
von 2022 kommen Frauen im Schnitt auf knapp 30 Stunden pro Woche, die sie
mit unbezahlter Arbeit im Haushalt, Kindererziehung oder der Pflege von
Angehörigen verbringen, Männer auf 21 Stunden. Der Gender Care Gap
entspricht damit etwa 44 Prozent, zehn Jahre zuvor waren es gut 52
Prozent.

Neben stereotypen Einstellungen zu Haushalt und Pflege trage auch die
Lohnlücke zu diesem Missstand bei, erklärt Jochmann-Döll. Sie lasse es
vielen Paaren wirtschaftlich vernünftig erscheinen, dass die Frau den
Löwenanteil der Sorgearbeit übernimmt und dafür beruflich kürzertritt.
Hinzu kämen Defizite bei der institutionellen Kinderbetreuung – 2023
fehlten rund 400000 Kita-Plätze und 125000 Fachkräfte in diesem Bereich –
und das Ehegattensplitting, das große Einkommensunterschiede bei Paaren
belohnt.

Gegensteuern ließe sich der Wissenschaftlerin zufolge mit Kampagnen wie
dem „Equal Care Day“ sowie mit der im Koalitionsvertrag angekündigten
„Familienstartzeit“, die nach der Geburt eines Kindes unabhängig von der
Elternzeit Freistellungen vorsieht. Auch die Tarifpolitik könne einen
Beitrag leisten: Die IG Metall etwa habe 2018 für die Beschäftigten der
Metall- und Stahlindustrie eine Wahlmöglichkeit zwischen mehr Geld oder
mehr Urlaub ausgehandelt. Die EVG habe Regelungen unter anderem zu
familienfreundlicher Arbeitszeitgestaltung und Chancengleichheit von
Beschäftigten mit familiären Verpflichtungen durchgesetzt.

Zuletzt geht der Bericht auf die „gläserne Decke“ in deutschen Firmen ein.
Mit 29 Prozent Frauenanteil in Führungspositionen lag Deutschland 2022
unter dem EU-Schnitt. In den Vorständen der Top-200-Unternehmen beträgt
der Anteil 18 Prozent. Lediglich in den Aufsichtsräten ist er höher, weil
hier zum einen eine gesetzliche Quote gilt und zum anderen die
Gewerkschaften in mitbestimmten Unternehmen traditionell Wert auf mehr
Geschlechtergleichheit legen.
Als Hindernisse, mit denen Frauen auf dem Weg in die Chefetage rechnen
müssen, nennt Jochmann-Döll verbreitete Klischees, denen zufolge
Führungskompetenz und strategisches Denken Männerdomänen sind. Das Bild
der idealen Arbeitskraft orientiere sich nach wie vor an traditionell
männlichen Erwerbsbiografien. Zudem gebe es in vielen Konzernen Männer-
Netzwerke, die die Karrieren von Geschlechtsgenossen fördern.

Auf ein Durchbrechen der gläsernen Decke ziele unter anderem die
Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ ab, heißt es in der Analyse. Auch
freiwillige Frauenquoten bei Gewerkschaften und einzelnen Unternehmen
seien begrüßenswert, ebenso Programme für mehr Teilzeit in
Führungspositionen bei einigen Konzernen.

Alles in allem stelle die systematische Unterbewertung frauendominierter
Berufe und Branchen das größte Hindernis auf dem Weg zu mehr
Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt dar, so Jochmann-Döll. Um
Abhilfe zu schaffen, bedürfe es unter anderem einer Stärkung der
Tarifbindung. Die Bundesregierung müsse das Entgelttransparenzgesetz
vollumfänglich an die Vorgaben der EU anpassen. Es gelte, die Sichtbarkeit
von Frauen in männerdominierten und von Männern in frauendominierten
Berufen zu erhöhen, damit Jugendliche sich an Vorbildern orientieren
können. Das Ehegattensplitting sollte abgeschafft, das Elterngeld vom
individuellen Einkommen entkoppelt und mit mehr verpflichtenden
Partnermonaten verbunden werden. Zusätzlich empfiehlt die Autorin, die
Familienstartzeit umsetzen, die Betreuung von Kleinkindern zu verbessern,
eine Entgeltersatzleistung für pflegende Beschäftigte einzuführen, die
Quotenvorgaben für Führungspositionen auszubauen und auf mehr Teilzeit im
Management hinzuwirken.

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Universität Heidelberg richtet neuen Studiengang für Physiotherapiewissenschaft ein

Baden-württembergisches Wissenschaftsministerium bewertet Antrag für
Bachelorstudium als förderfähig

Mit einem neuen Studiengang auf dem Gebiet Physiotherapiewissenschaft will
die Universität Heidelberg die Professionalisierung und
Wissenschaftsorientierung in den Gesundheits- und Pflegeberufen
vorantreiben. Ein entsprechendes Konzept, das an der Medizinischen
Fakultät Heidelberg entwickelt wurde, ist jetzt vom Ministerium für
Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg als förderfähig
bewertet worden. Damit kann im nächsten Schritt mit der konkreten
Ausgestaltung des ausbildungsintegrierenden Studienprogramms – der
Verbindung von Hochschulstudium und berufspraktischem Studienanteil –
begonnen werden. Der Studiengang „Bachelor of Science
Physiotherapiewissenschaft“ soll zum Wintersemester 2025/2026 mit zunächst
25 Studienanfängerinnen und Studienanfängern starten.

„Der neue Studiengang verfolgt das Ziel, die Vermittlung von
physiotherapeutischen Grundlagen und physiotherapeutischer Praxis an einem
Standort der Hochleistungsmedizin – dem Universitätsklinikum Heidelberg
und seinen Partnern – mit einer fundierten wissenschaftlichen Ausbildung
an der Universität Heidelberg zu verbinden, um so fachliche und
überfachliche Kompetenzen zu verknüpfen. Dadurch werden die Absolventinnen
und Absolventen für ein breites Berufsfeld in der Gesundheitsversorgung
und der Rehabilitation qualifiziert“, betont Prof. Dr. Silke Hertel,
Prorektorin für Studium und Lehre. Zugleich eröffnen sich damit auch
Perspektiven für neue Tätigkeitsfelder, so Prof. Hertel, etwa in der
interprofessionellen Prävention und Rehabilitation mit Schwerpunkt auf
Bewegung, der betrieblichen Gesundheitsförderung oder der Förderung der
Gesundheitskompetenz an Schulen. Der an der Universität erworbene
Bachelor-Abschluss biete zudem die Möglichkeit, die Ausbildung in
ausdifferenzierten Master-Studiengängen anzuschließen und sich über
Promotion und Habilitation für einen akademischen Karriereweg zu
qualifizieren.

„Die Akademisierung der Gesundheitsberufe durch neue Studienangebote und
die Stärkung der Forschung in diesem Bereich ist ein wichtiges
Zukunftsfeld. Mit dem Bachelorstudiengang Interprofessionelle
Gesundheitsversorgung hat die Medizinische Fakultät Heidelberg bereits vor
rund zehn Jahren einen Schwerpunkt im Bereich der Therapiewissenschaften
gesetzt. Dies soll durch die Einführung eines Studiengangs
Physiotherapiewissenschaft weiter ausdifferenziert werden und dem
wissenschaftlichen Nachwuchs neue Perspektiven eröffnen“, betont Prof. Dr.
Michael Boutros, Dekan der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Der
Universitäts- und Klinikstandort Heidelberg kann bereits auf
jahrzehntelange Erfahrungen in der Ausbildung von Physiotherapeutinnen und
Physiotherapeuten zurückgreifen. Seit 1947 werden am Universitätsklinikum
Heidelberg in einer der ältesten Physiotherapieschulen Deutschlands
Fachkräfte für die Prävention und Behandlung von Störungen des
menschlichen Bewegungsapparates und damit verbundener Erkrankungen
ausgebildet.

Der geplante Studiengang „Bachelor of Science Physiotherapiewissenschaft“
wird auf sieben Semester angelegt sein und fünf Module umfassen. Dazu
gehört das Modul „Human- und sozialwissenschaftliche Grundlagen“, das zum
Beispiel die Bereiche Krankheitslehre, Gesundheitsökonomie und
Qualitätsmanagement umfasst. Im Modul „Wissenschaftliche Theorie und
Praxis“ wird es unter anderem um Methoden der Gesundheitswissenschaften,
um klinische Diagnostik und Entscheidungsfindung sowie interprofessionelle
Kommunikation und Versorgung gehen. Biomechanik, medizinische
Trainingslehre, Schmerztherapie, Palliativbehandlung und übergreifende
physiotherapeutische Verfahren sind wesentliche Lehrthemen des Moduls
„Physiotherapeutische Grundlagen“. Das Modul „Physiotherapeutische Praxis“
beinhaltet neben einem Orientierungspraktikum mehrere berufspraktische
Studienphasen. Der Studiengang schließt mit dem Modul „Physiotherapie als
Profession“, in dem die Absolventinnen und Absolventen eine
Profilwerkstatt durchlaufen und ihre Bachelorarbeit verfassen.

Die Einrichtung des Studiengangs ist Teil einer umfassenden Strategie zur
Weiterentwicklung der Therapie- und Pflegewissenschaften in Baden-
Württemberg. Dazu hat das Wissenschaftsministerium des Landes die Förder-
Ausschreibung „Therapiewissenschaften (Physiotherapie und Ergotherapie)
2024“ aufgelegt. Der Heidelberger Antrag zeichnet sich, so die
Gutachtergruppe, insbesondere durch seine Perspektive auf zukünftige
klinische und wissenschaftliche Synergieeffekte zwischen den
gesundheitsbezogenen Studiengängen aus; ebenso würdigten die Gutachter die
Interdisziplinarität in Forschung, Lehre und Versorgung, die als „äußerst
bereichernd wahrgenommen“ wird.

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