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Volksabstimmungen 1920: Demokratische Musterabstimmung oder Entzweiung einer Gesellschaft?

Das Land Schleswig-Holstein erinnert an 100 Jahre deutsch-dänische
Grenzziehung. Regionalgeschichte der Uni Kiel blickt zurück und bietet
zahlreiche Veranstaltungsformate an.

Im Jahr 2020 sind seit den Volksabstimmungen zur deutsch-dänischen
Grenzziehung 100 Jahre vergangen. Die Abteilung für Regionalgeschichte der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) nimmt dieses Jubiläum zum
Anlass, um einen kritischen Blick auf die Umstände der damaligen
Volksabstimmungen sowie auf die Situation in beiden Ländern vor, während
und nach der Grenzfestlegung zu werfen. „Die Umstände der Abstimmungen von
1920 waren alles andere als reibungslos”, weiß Professor Oliver Auge von
der CAU. „Weite Teile der deutschen Bevölkerung fühlten sich durch den
Versailler Vertrag ungerecht behandelt. Die Menschen litten unter den
Folgen des Ersten Weltkrieges, an Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Und
die Modalitäten der Volksabstimmungen waren nicht unbedingt zugunsten der
deutschen Seite ausgestaltet”, so der Historiker.

Kern der damaligen Entscheidung war die Zuordnung Nordschleswigs zu
Dänemark. Die dänische Seite entschied die Volksabstimmungen für sich und
feierte das Ergebnis als Wiedervereinigung von Teilen des einstigen
Herzogtums mit dem Mutterland. Das Gebiet hatte seit dem Deutsch-Dänischen
Krieg 1864 zu Deutschland gehört, die Grenzziehung war 1907 von Dänemark
bestätigt worden. „Entsprechend geteilt waren die Bewohnerinnen und
Bewohner der Grenzregion, als es nach dem Ersten Weltkrieg eine erneute
Entscheidung über den Verlauf der Grenze geben sollte”, berichtet Auge.
Abgestimmt wurde in zwei Zonen: Während in Mittelschleswig als einer
Abstimmungszone (II) mehrheitlich für einen Verbleib bei Deutschland
gestimmt wurde, war Nordschleswig als erste Abstimmungszone im Innern
zerrissen. In einem Teil der Städte wie Tondern wollte man die bestehende
Grenzziehung überwiegend beibehalten, die deutliche größere ländliche
Region fühlte sich Dänemark zugehörig. „Das gab den Ausschlag für den
Ausgang der Volksabstimmung in dieser Abstimmungszone, denn hier wurden
die Stimmen en bloc gewertet. Wegen der Gesamtmehrheit der Stimmen pro
Dänemark fiel dieser Teil der dänischen Seite zu. Die reine Auszählung der
einzelnen Stimmen hätte wohl zum Teil, vor allem im Süden Nordschleswigs,
einen anderen Abstimmungsausgang bedeutet”, so Auge

Mit einer Vortragsreihe an wechselnden Orten in Schleswig-Holstein und
Dänemark samt Podiumsdiskussion, einer Ausstellung die mit
Geschichtsstudentinnen und -studenten entwickelt wurde, einer
öffentlichen, deutsch-dänischen Tagung in der schleswig-holsteinischen
Landesvertretung in Berlin sowie mit einer deutsch-dänischen Sommerschule
steuert das Team um Regionalhistoriker Professor Oliver Auge
wissenschaftliche Einblicke und neue Perspektiven zum Landesprogramm bei.

Vortragsreihe: „Regional oder national? Sichtweisen auf 100 Jahre deutsch-
dänische Grenze 1920–2020“

Am 11. Dezember präsentiert Professor Thomas Steensen, Vorsitzender der
Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte und zuvor langjähriger
Direktor des Nordfriisk Instituut, „Die Friesen – eine ‚vergessene
Minderheit‘?“ Weitere Vorträge über die Bonn-Kopenhagener Erklärungen oder
70 Jahre Grenzfriedensbund folgen bis zu einem Doppelvortrag am 4. März
über den Kulturkampf an der Königsau und die Bedeutung der Grenze für
Schleswig-Holstein. Im März 2020 schließt die Reihe im Kieler Landeshaus
mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion.

Die Vortragsreihe wird veranstaltet durch: Abteilung für
Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) mit
dem Landesbeauftragten für politische Bildung Schleswig-Holstein und dem
ADS Grenzfriedensbund

Programm und Details:
<www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/304-grenze>

Ausstellung: „Kieler Perspektiven auf die Volksabstimmungen von 1920“

Gibt es nach 100 Jahren Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark
neue Erkenntnisse über die damalige Entscheidung? Die Antworten auf diese
Frage präsentiert das Historische Seminar im Rahmen einer Ausstellung. Mit
ihren „Kieler Perspektiven auf die Volksabstimmungen von 1920” rücken die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen mit Kieler Studierenden
die Landeshauptstadt selbst in den Fokus. Während bisherige
Forschungsansätze die Grenzregion im engeren Sinne, die Belange der
betroffenen Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze oder das Verhältnis
beider Staaten zwischen zwei Weltkriegen analysierten, geriet die
Bedeutung der Volksabstimmungen für die Stadt Kiel aus dem Blick. Eröffnet
wird die Ausstellung am 10. Februar 2020 in der Förde Sparkasse Kiel durch
Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer und den Vorsitzenden der Gesellschaft
für Kieler Stadtgeschichte Rolf Fischer.

„Die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen
waren hier vertreten. Kiel fungierte als kulturelles und
wissenschaftliches Zentrum Schleswig-Holsteins, und hier wurden die
politischen Entscheidungen getroffen”, erklärt Caroline E. Weber,
wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung für Regionalgeschichte. „Da
ist es nicht überraschend, dass in der Kieler Presse der Wahlkampf von
Dänen und ‘Dänenfreunden’ genauso wortgewaltig geführt wurde, wie von
deutscher Seite“, so Weber. „Wahlkampagnen und Berichterstattung in der
Kieler Presse sollten über die Stadtgrenzen hinaus ihre Wirkung entfalten.
Botschaften auf dem Suchsdorfer Notgeld richteten sich auch explizit an
die eigene Gemeinde”, ergänzt die Wissenschaftlerin. Zeugnisse dieses
Wahlkampfes in der Presse und über Marketingmaßnahmen werden in der
Ausstellung gezeigt, dazu zählen beispielsweise Notgeldscheine über 25
Pfennig.

Kieler Bürgerinnen und Bürger, die im Abstimmungsgebiet geboren und
mindestens 20 Jahre alt waren, konnten ebenfalls ihre Stimme abgeben. Die
Volksabstimmungen gehörten nach der Wahl der Nationalversammlung von 1919
zu den ersten Ereignissen, bei denen Frauen ihr neu gewonnenes Wahlrecht
ausüben konnten. Der Antrag der Kielerin Margaretha Specht auf Eintragung
in die Liste der Stimmberechtigten wird ebenfalls in der Ausstellung
gezeigt.

Insgesamt 11 Schlaglichter haben die Geschichtsstudentinnen und -studenten
für die Ausstellung aufbereitet. „Die Anfangsgeschichte meiner eigenen
Professur ist eines davon”, berichtet Oliver Auge. Der Abstimmungskampf
habe in der schleswig-holsteinischen Bevölkerung den Wunsch geweckt, die
eigene Landesgeschichte zu bewahren und eine identitätsstiftende
Institution zu etablieren, so Auge: „Das Ergebnis war die Schaffung einer
‘Grenzkampfprofessur’ an der Kieler Universität. Der Theologe und
gebürtige Nordschleswiger Otto Scheel wurde für diesen Geschichtslehrstuhl
ausgewählt. Die preußische Regierung versprach sich von seiner Berufung
einen wichtigen Beitrag zu einer baldigen Grenzrevision. Scheel nahm diese
politische Aufgabe bereitwillig an.”

Weitere Themen der Ausstellung sind:
–       Die Grenze im Nationalsozialismus
–       Deutsch-dänische Beziehungen nach 1945
–       Die “Kieler Erklärungen” und die “Bonn-Kopenhagener Erklärungen”
–       Wissenschaft und Kultur
–       Der Südschleswigsche Wählerbund
–       Das dänische Honorarkonsulat in Kiel
–       Die Deutsch-Dänische Gesellschaft e.V.

Das Wichtigste in Kürze:
Die Ausstellung wurde in einem Projektseminar der Abteilung für
Regionalgeschichte an der Kieler Universität von Masterstudierenden
erarbeitet, unter Leitung von Professor Oliver Auge und Caroline E. Weber
und in Zusammenarbeit mit dem Königlich Dänischen Honorarkonsulat in Kiel.
Ausstellungseröffnung: 10. Februar 2020
Zeitraum: ca. vier Wochen
Ort: Fördesparkasse, Lorentzendamm 28-30, 24103 Kiel
Öffnungszeiten: Mo-Do: 09:00-18:00 Uhr / Fr.: 09:00-16:00 Uhr

Tagung: „Handlungsspielräume und Narrative in der deutsch-dänischen
Grenzregion seit 1920“

Die deutsch-dänische Grenzziehung von 1920 ist nicht nur ein relevantes
Thema für die Grenzregion. Sowohl regionales Bewusstsein als auch
nationale Entscheidungen spielten entscheidende Rollen. Darauf soll der
erste von drei Schwerpunkten einer öffentlichen Tagung in der Vertretung
des Landes Schleswig-Holstein beim Bund liegen. Am 5. und 6. Mai 2020 sind
alle Interessierten zur Teilnahme eingeladen.

Der zweite Schwerpunkt der Tagung liegt auf den Minderheiten der
Grenzregion. Nicht selten wurden im Europa des 20. Jahrhunderts die
zahlreichen Minderheiten von der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung mit
Misstrauen bedacht und des Separatismus’ verdächtigt. Dänische und
friesische Minderheiten in Deutschland und deutsche Minderheit in Dänemark
hatten zu beiden Seiten vergleichbare Hürden zu nehmen, nicht zuletzt die
Zusicherung demokratischer Rechte, die erst 1949 auf deutscher Seite durch
die Kieler Erklärung geregelt wurde. Mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen
von 1955 erhielten die Minderheiten beiderseits der Staatsgrenze
Rechtssicherheit.

Abgeschlossen wird der erste Tagungstag am 5. Mai mit einer öffentlichen
Podiumsdiskussion zum Thema „Gemeinsam über Grenzen! Stand und
Perspektiven der deutsch-dänischen Nachbarschaft“. Die Podiumsdiskussion
wird gemeinsam mit der Vertretung des Landes Schleswig-Holstein beim Bund
veranstaltet. Das Grußwort hält Friis Arne Petersen, Botschafter des
Königreichs Dänemark in der Bundesrepublik Deutschland. Der dritte
Tagungsschwerpunkt findet schließlich zum Thema „Bürgerkrieg und Plebiszit
in europäischen Grenzregionen” statt.

Zum ausführlichen Tagungsprogramm:
<http://bit.ly/tagung-dd-grenzregion>

Deutsch-Dänische Sommeruniversität

Seit zehn Jahren findet die deutsch-dänische Sommeruniversität mit
regionalen Partnern aus Wissenschaft, Kultur und Politik statt und die
Abteilung für Regionalgeschichte ist im Jahr 2020 erneut Mitorganisatorin.
Anlässlich der 100-jährigen Grenzziehung findet die Veranstaltung im
August 2020 zum Thema Volksabstimmungen statt. Auge: „Das Besondere an
dieser Sommeruniversität ist, dass sie nicht nur von dänischen
Germanistikstudierenden und deutschen Geschichtsstudierenden besucht wird.
Unter den 40 bis 50 Teilnehmenden sind auch viele europäische Studentinnen
und Studenten aller Fachrichtungen. Sie weiten den Blick aller
Beteiligten. Die Sommerschulen sind ein wichtiger und bewährter Beitrag
zur internationalen Sichtbarkeit der Lehre unserer CAU. Wir hoffen, dass
wir im Zuge der Neugestaltung des HSP auch künftig die Personalressourcen
haben, um die Sommerschulen durchführen zu können.”

Die Sommeruniversität wird vom Historischen Seminar der Christian-
Albrechts-Universität zu Kiel, dem Internationalen
Wirtschaftskommunikationsstudium (Negot) und dem Zentrum für
Grenzregionsstudien der Süddänischen Universität, der Dänischen
Zentralbibliothek für Südschleswig und der Ausländerförderung der Konrad-
Adenauer Stiftung organisiert. Weitere Partner der vergangenen Jahre waren
etwa die Europa-Universität Flensburg, das Institut für Hessische
Landesgeschichte der Universität Marburg und der Bund Deutscher
Nordschleswiger. Regelmäßig wurde das Format durch europäische  Interreg-
Fördermittel und jüngst durch das „Europaministerium“ des Landes
Schleswig-Holstein unterstützt.

Die Sommeruniversität wird in deutscher und englischer Sprache
durchgeführt und bietet deutschen, dänischen und  internationalen
Studierenden die Möglichkeit, sich nicht nur mit der Entwicklung einer
lange umstrittenen, aber heute friedlichen Grenzregion in Europa
auseinanderzusetzen, sondern auch die Perspektive der Studierenden aus
anderen Ländern kennenzulernen.

Zum Landesprogramm:
<www.schleswig-holstein.de/DDV/DE/Home/home_node.html>

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10 Jahre Zaunegger-Urteil des EuGM Nichteheliche Väter werden im Familienrecht weiterhin diskriminiert

Vor 10 Jahren verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte(EGMR)[2] die Bundesrepublik Deutschland wegen der Verletzung von Menschenrechten von nichtehelichen Vätern. Trotz geänderter gesetzlicher Regelungen werden nichteheliche Väter weiterhin erheblich benachteiligt. Was fehlt ist ein klares Bekenntnis zur gemeinsamen Elternschaft unabhängig vom Beziehungsstatus


Diskriminierung wird häufig nur in Bezug auf Frauen gesehen. Doch auch Väter werden häufig diskriminiert. Vor 10 Jahren wurde Deutschland verurteilt, da nichteheliche Väter gegen den Willen der Mutter nicht das gemeinsame Sorgerecht erlangen konnten. Doch auch durch die geänderte Regelung werden sie weiterhin diskriminiert. Während verheiratete Väter das Sorgerecht mit Geburt bekommen, müssen nichteheliche Väter dies erst gerichtlich beantragen, wenn die Mutter nicht einverstanden ist.

Hierauf macht der Verein Väteraufbruch für Kinder e.V. anlässlich des 10 Jahrestages der EGMR-Entscheidung aufmerksam. „Wir fordern, dass Väter in der Familie, unabhängig von ihrem Beziehungsstatus, in Bezug auf ihre Elternrolle endlich dieselben Rechte wie Mütter haben“ erklärt Markus Witt, Mitglied im Bundesvorstand des Vereins. Er weist auch darauf hin, dass Väter insbesondere in der Arbeitswelt und nach einer Trennung noch häufig allein aufgrund ihres Geschlechtes in ihrer Elternrolle diskriminiert werden.

Dabei geht es dem Verein nicht nur um mehr Rechte, sondern auch um die gemeinsame Wahrnehmung der elterlichen Pflichten. „Väter stellt euch der Herausforderung, denn auch ihr könnt Helden des Alltags für eure Kinder sein“, meint Witt und appelliert nicht nur an Mütter und Väter, sondern vor allem an den Gesetzgeber, die gemeinsame elterliche Verantwortung deutlich stärker als bisher zu fördern. In Bezug auf die gemeinsame Elternschaft ist Deutschland beispielsweise hinter Skandinavien und anderen Ländern weit abgeschlagen. „Der Gesetzgeber sollte endlich selbst das Familienrecht gestalten und nicht immer nur den Minimal-Kompromiss auf Druck des EGMR umsetzen. Politik für Familien sollte gestaltet und nicht verwaltet werden“.

Der Verein setzt sich unter dem Motto „Allen Kindern beide Eltern“ seit über 30 Jahren ehrenamtlich dafür ein, dass insbesondere Trennungskindern beide Eltern erhalten bleiben.

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Konferenz zur Agenda 2030: Lösungsansätze zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele diskutiert

Zwei der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der UN (Foto: FOM/Tom Schulte)
Zwei der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der UN (Foto: FOM/Tom Schulte)

Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, auch bekannt als
Agenda 2030, waren Gegenstand der Konferenz, die das KCN KompetenzCentrum
für nachhaltige Entwicklung der FOM Hochschule vergangene Woche in
Düsseldorf veranstaltete. Teilnehmende aus Wissenschaft, Wirtschaft und
Politik ermöglichten in den Diskussionen einen Blick auf bestehende
Herausforderungen und mögliche Lösungsbausteine.

Klima, Bildung, Mobilität, Wertschöpfungsketten

Chief Sustainability Officer von SAP, Daniel Schmid, eröffnete die
Konferenz mit einer „Nachhaltigkeitsreise“ des Unternehmens durch die
letzten zehn Jahre. Heute sei die Agenda 2030 essentieller Baustein der
Strategie der Firma. Prof. Dr. Alexander Siegmund von der Universität
Heidelberg und Sprecher des BNE-Hochschulnetzwerks Baden-Württemberg
thematisierte die Rolle der Bildung für eine nachhaltige Wirkung und
zeigte auf, dass nicht nur im Bereich der Hochschulbildung an vielen
Stellen noch Nachholbedarf bestehe.

Es folgten vier Workshops zu den Themen „Systemtheorie als Impulsgeber für
nachhaltiges Handeln“, „Nachhaltigkeit in globalen Wertschöpfungsketten“,
„Nachhaltige Mobilität“ und zur „Allianz für Entwicklung und Klima“.

In den Präsentationen der Ergebnisse zeigte sich bei allen Unterschieden
der behandelten Themen doch eine Gemeinsamkeit: Eine wirklich systemische
Herangehensweise findet sich bisher allenfalls in Ansätzen und bleibt
damit eine wesentliche Herausforderung für alle beteiligten Akteurinnen
und Akteure. Ebenso deutlich wurden die zahlreichen Abhängigkeiten
zwischen den vier Workshop-Themen: So haben z. B. globale Liefer- und
Wertschöpfungsketten viel mit (nachhaltiger) Mobilität zu tun, für die
wiederum die Möglichkeit freiwilliger CO2-Kompensation (etwa für
Flugreisen) eine wichtige Rolle spiele.

Realisierung der Agenda 2030

Prof. Dr. Franz Josef Radermacher, Präsident des Senats der Wirtschaft und
Mitglied des Club of Rome, skizzierte nach einer sehr deutlichen Analyse
des heutigen, nicht nachhaltigen Status Quo mögliche Ansätze für eine
erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030: „Zentrale Elemente stellen sog.
Nature Based Solutions dar. Mittels biologischer Sequestrierung wird der
Atmosphäre CO2 entzogen. Von großer Bedeutung sind die Böden als
CO2-Speicher, Aufforstung und Walderhalt.“ Weiterer Baustein sei die
Herstellung von synthetischen Kraftstoffen aus in den Sonnenwüsten der
Welt hergestelltem grünen Wasserstoff. Große Potenziale würden sich sowohl
für die Europäer als auch für die Entwicklungsländer bieten, die mit einem
solchen Vorgehen partnerschaftlich die Herausforderungen im Energie- und
Klimabereich angehen.

NRW-Nachhaltigkeitsstrategie

Die Konferenz endete mit einem Austausch zwischen Professor Radermacher
und Dr. Heinrich Bottermann, Staatssekretär im Ministerium für Umwelt,
Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes NRW. Nach einer
Vorstellung verschiedener Aspekte der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie
diskutierten sie eine mögliche Verschränkung der Aktivitäten auf
Landesebene mit den zuvor aufgebrachten globalen Lösungsansätzen im
Energie- und Klimabereich.

Mit dem Verlauf der Konferenz und den diskutierten Themen wurden
wesentliche Inhalte des vor wenigen Wochen erschienenen und von den KCN-
Leiterinnen Prof. Dr. Estelle Herlyn und Prof. Dr. Magdalène Lévy-Tödter
herausgegebenen Sammelbandes „Die Agenda 2030 als Magisches Vieleck der
Nachhaltigkeit – Systemische Perspektiven“ aufgegriffen. „Es war unser
Ziel, mit der Konferenz nach Analyse der bestehenden Herausforderungen
auch Lösungsansätze aufzuzeigen und mit den rund 100 Anwesenden in eine
offene Diskussion zu treten. Ich denke, dass dies gelungen ist“, resümiert
Professorin Herlyn den Tag.

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Briefing zur 25. UN-Klimakonferenz – Zeit zu Handeln

Außenminister Heiko Maas, Bundesumweltministerin Svenja Schulze,
Klimaforscher Johan Rockström, Klimaaktivistin Luisa Neubauer sowie
weitere Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft informieren
heute in Berlin über den kommenden Klimagipfel.

In zweieinhalb Wochen beginnt die nächste UN-Klimakonferenz (COP 25) in
der spanischen Hauptstadt Madrid unter der Präsidentschaft Chiles. Heute
diskutieren Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft im
Auswärtigen Amt über die anstehenden Verhandlungen. Die Erwartungen an die
Klimapolitik sind nach einem Jahr der Klima-Proteste hoch.

Im Mittelpunkt der diesjährigen Konferenz steht neben den letzten
Detailregeln für die Umsetzung des Übereinkommens von Paris die Frage, wie
die Klimaschutz-Anstrengungen der Länder erhöht werden können. Das Motto
der COP 25 „Es Tiempo de Actuar“ – auf Deutsch „Zeit zu Handeln“ –
bestimmt auch das Briefing in Berlin.

Bisher reichen die 2015 vorgelegten nationalen Ziele nicht aus, um die
Erderwärmung auf unter zwei oder gar 1,5 Grad Celsius zu halten. Alles
andere aber wäre viel zu riskant, wie Professor Johan Rockström, Direktor
des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, in seinem Vortrag zeigt.
Wiederholte Hitzewellen in Europa, Überflutungen in Südindien, das
Schmelzen von Eismassen weltweit und der daraus resultierende
Meeresspiegelanstieg sowie rasante Veränderungen in allen Winkeln der Welt
rechtfertigten es aus Sicht der Wissenschaft, von einem planetaren
Notstand zu sprechen. Deshalb führe kein Weg daran vorbei, die weltweiten
Emissionen innerhalb der nächsten zehn Jahre zu halbieren. Stellvertretend
für die jüngere Generation, die im Falle eines Versagens der
internationalen Klimapolitik die Folgen tragen müsste, fordert auch Luisa
Neubauer, endlich konkret zu werden und zu handeln.

Die drei Sonderberichte des Weltklimarats (International Panel on Climate
Change, IPCC) zu 1,5 Grad Erwärmung, Klimawandel und Landsysteme sowie
Ozean und Kryosphäre, die in den vergangenen zwölf Monaten erschienen
sind, spiegeln ebenfalls die Dringlichkeit wider, den Kurswechsel zu
schaffen. Professor Hans-Otto Pörtner, Ko-Vorsitzender der IPCC-
Arbeitsgruppe II, stellt sie beim Berliner Briefing vor. Marie-Luise Beck,
Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums, reflektiert im
Anschluss, wie wissenschaftsbasierte Klimakommunikation helfen kann, um
vom Wissen zum Handeln zu kommen.

Schließlich geht es um die Veränderungsbereitschaft der Wirtschaft.
Professor Gernot Klepper, Koordinator des Klimadialogs des BMBF und
Vorstandsmitglied des Deutschen Klima-Konsortiums, zeigt, wie weit viele
Unternehmen schon sind. In der anschließenden Expertenrunde wird
diskutiert, was die Wirtschaft von der Politik braucht, um Nachhaltigkeit
mit Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden.

Rund 450 Besucherinnen und Besucher aus dem Diplomatischen Corps, der
Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft tauschen sich bei der
gemeinsamen Veranstaltung des Auswärtigen Amts, des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und des Wissenschaftsverbands
Deutsches Klima-Konsortium aus.

STATEMENTS DER EXPERTINNEN UND EXPERTEN

Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen:
„Europa muss führen, denn nur dann werden auch Länder wie China und Indien
Kurs halten. Das bedeutet: Die EU muss ihre Klimaziele für 2030 nächstes
Jahr nachschärfen und ehrgeiziger formulieren. Der European Green Deal
darf keine leere Floskel bleiben!“

Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare
Sicherheit:
„Auf der Weltklimakonferenz in Madrid werden die letzten Detailregeln für
die Umsetzung des Pariser Abkommens verhandelt. Es wird darum gehen,
weltweit ein verlässliches Anrechnungssystem für Emissions-Zertifikate zu
etablieren. Ich setze mich ein für ein System ohne Schlupflöcher und ohne
Doppelzählungen, denn nur so können auch Marktmechanismen den globalen
Klimaschutz wirklich voranbringen. Zugleich geht es um die Zukunft der
nationalen Klimaschutzbeiträge. Im Laufe des nächsten Jahres müssen alle
Staaten überarbeitete Klimaziele vorlegen. Das ist dringend nötig, damit
die Weltgemeinschaft die Klimakrise noch abwenden kann. Vor allem die
großen Volkswirtschaften müssen mit mehr Mut vorangehen – auch die
Europäische Union. Das muss international gut vorbereitet sein. Auch dafür
wollen wir die Konferenz in Madrid nutzen.“

Prof. Dr. Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung:
„Wir können unser Klima stabilisieren, wenn wir schnell handeln – aber
viele Regierungen der Welt sind nicht auf Kurs. Das ‚Klimapaket‘ der
Bundesregierung braucht dringend politische Maßnahmen, die zu einer
starken und raschen Senkung unseres Ausstoßes von Treibhausgasen führen.
Die Wissenschaft zeigt sehr deutlich: Wenn wir den gegenwärtigen Pfad
weiter beschreiten, dann führt dieser zu größeren Klimaschäden – und
wahrscheinlich zu gefährlichen Rückkopplungsschleifen und Dominoeffekten
im Erdsystem. Es geht hier nicht um den Schutz der Umwelt; es geht um den
Schutz der Menschen.“

Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums:
„Während der Klimakonferenzen ist die Aufmerksamkeit für den Klimawandel
besonders groß – genauso aber auch die Gefahr, dass sich viele Menschen
ohnmächtig fühlen und Verzicht fürchten. Das zeigt die Forschung und
Reflexion zur Klimakommunikation, mit der wir uns als Wissenschaftsverband
intensiv beschäftigen. Deshalb sollten wir in den kommenden Wochen auch
über die Chancen einer klimafreundlichen Welt sowie die bereits
existierenden Lösungen sprechen. Zum Beispiel sind die Kosten für
Fotovoltaik in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent gesunken, Strom
wird heute so technisch am kostengünstigsten produziert.“

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