Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat heute ihr
Jahresgutachten an Bundeskanzler Olaf Scholz und
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger übergeben. Dringenden
Handlungsbedarf sieht die Kommission in Deutschland und Europa bei
künstlicher Intelligenz. Gute Nachrichten hat sie bei der Attraktivität
von Deutschland als Forschungsstandort. Mit Prof. Dr. Carolin Häussler ist
auch eine Wissenschaftlerin der Universität Passau in der Kommission
vertreten.
„China und die USA dominieren im Bereich der KI die
Technologieentwicklung, während Deutschland und die EU zurückfallen“,
stellt Professorin Carolin Häussler von der Universität Passau und
Mitglied der Expertenkommission auf Basis eines internationalen Vergleichs
von wissenschaftlichen KI-Publikationen und von KI-Patenten fest. „Auch
bei der Entwicklung von großen Sprachmodellen und multimodalen Modellen,
die als Grundlagenmodelle für vielfältige KI-Anwendungen dienen, sind
Deutschland und die EU nicht führend“, ergänzt Häussler.
Dass Deutschland im Bereich der KI hinterherhinkt, sieht die
Expertenkommission mit Sorge. „Dadurch besteht die Gefahr, an
technologischer Souveränität einzubüßen“, stellt Häussler fest und
erklärt: „Technologische Souveränität im Bereich KI setzt voraus, dass
Deutschland gemeinsam mit der EU KI-Technologien selbst vorhalten und
weiterentwickeln kann oder über die Möglichkeit verfügt, diese
Technologien ohne einseitige Abhängigkeiten von anderen Wirtschaftsräumen
zu beziehen und anzuwenden.“
Unternehmensbefragung: Bedenken und Unsicherheit hemmen KI-Einsatz
Bei KI handelt es sich um eine Schlüsseltechnologie, die die
technologische und ökonomische Entwicklung in den kommenden Jahren
entscheidend prägen wird. „KI kann in vielen Technologiebereichen und
Branchen, wie etwa in der Produktionstechnik oder in der pharmazeutischen
Industrie, Innovations- und Wachstumspotenziale eröffnen“, erläutert die
stellvertretende Vorsitzende der Expertenkommission, Professorin Irene
Bertschek vom ZEW Mannheim. „Um die Potenziale der KI nutzen zu können,
muss sie auch in der Breite der Wirtschaft zum Einsatz kommen“, so
Bertschek.
Dass diese Breite noch nicht gegeben ist, zeigt eine im Auftrag der
Expertenkommission durchgeführte repräsentative Umfrage. So haben 2023 in
Deutschland 10 Prozent der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes und 30
Prozent der Unternehmen der Informationswirtschaft KI eingesetzt. Etwa ein
weiteres Viertel der Unternehmen in beiden Bereichen plante den
zukünftigen Einsatz von KI. Eine hohe Wettbewerbsfähigkeit des eigenen
Unternehmens auf dem Gebiet der KI bescheinigten sich nur sehr wenige
Unternehmen, 6 Prozent im Verarbeitenden Gewerbe und 15 Prozent in der
Informationswirtschaft.
Die Studie zeigt auch, dass einem breiteren Einsatz von KI einige hemmende
Faktoren entgegenstehen. „Den Mangel an zeitlichen und persönlichen
Ressourcen nehmen Unternehmen sowohl im Verarbeitenden Gewerbe (72
Prozent) als auch in der Informationswirtschaft (68 Prozent) als größtes
Hindernis wahr. Zudem herrschen bei vielen Unternehmen noch Unsicherheit
über den zu erwartenden Nutzen sowie Bedenken hinsichtlich der Reife und
Zuverlässigkeit von KI. Fehlendes Wissen in den Unternehmen sowie ein
fehlendes Fachkräfteangebot sind weitere Faktoren, die den Einsatz von KI
hemmen“, fasst Bertschek die Befragungsergebnisse zu den Hemmnissen der
KI-Nutzung zusammen.
Aufholjagd muss beginnen: KI-Ökosystem kommt Schlüsselrolle zu
Im Bereich der KI gilt es, den Anschluss an die internationale
technologische Entwicklung nicht zu verlieren und nicht noch stärker von
außereuropäischen Anbietern abhängig zu werden. „Für Deutschland und die
EU besteht durchaus noch die Möglichkeit, mit Innovationen eine bedeutende
Rolle in der internationalen Technologieentwicklung zu spielen“, betont
der Vorsitzende der Expertenkommission, Professor Uwe Cantner von der
Universität Jena. Die Innovationsweisen empfehlen, hierzu ein starkes und
europäisch vernetztes KI-Ökosystems mit exzellenter Grundlagenforschung
und einer leistungsfähigen KI-Infrastruktur aufzubauen. Dazu gehöre
Rechenkapazität, an der es derzeit genauso mangle wie an einer
wettbewerbsfähigen Dateninfrastruktur. „Zudem können Initiativen, die die
Open-Source-Entwicklung fördern, zur technologischen Souveränität in
Deutschland und Europa beitragen“, hebt Häussler hervor. Zentral sind
jedoch auch Fachkräfte, die über KI-Kompetenzen verfügen und, so zeigt das
Gutachten, besonders international mobil sind. Auch mit dem Thema, ob und
wie es gelingen kann, Fachkräfte anzulocken, beschäftigt sich die EFI-
Kommission im neuen Gutachten.
Standort Deutschland gewinnt an Attraktivität, aber komplexe und
langwierige Verwaltungsprozesse behindern Fachkräfte-Zuwanderung
Neue Analysen zur Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem
zeigen, dass sich Deutschland seit dem Jahr 2014, in dem dieses Thema
ebenfalls bearbeitet wurde, auf einem positiven Entwicklungspfad befindet.
Aktuell verzeichnet die Expertenkommission einen Nettozuzug von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Auch Auswertungen von
Patentdaten deuten darauf hin, dass Deutschland als Standort an
Attraktivität gewonnen hat. Unter dem Strich wandern jedoch immer noch
mehr Erfinderinnen und Erfinder ab als zu. „Es wäre allerdings zu kurz
gesprungen, Schlussfolgerungen aus reinen Ab- und Zuwanderungszahlen in
einem bestimmten Zeitraum zu ziehen“, betont Professorin Häussler. „Unsere
Daten zeigen, dass viele Forscherinnen und Forscher nach einem
mehrjährigen Auslandsaufenthalt wieder nach Deutschland zurückkehren.
Grundsätzlich sind solche zirkulären Wanderungsbewegungen sehr
begrüßenswert, da Forscherinnen und Forscher im Ausland wertvolle
Erfahrungen sammeln, ihr Netzwerk erweitern und dann häufig noch
produktiver in ihr Heimatland zurückkehren.“ Deutschland sollte daher die
internationale Mobilität fördern und möglichst attraktive Bedingungen für
Rückkehrerinnen und Rückkehrer schaffen. Dazu müsse endlich am Nadelöhr
der Zuwanderung gearbeitet werden: den komplexen und langwierigen
Verwaltungsprozessen. „Hierfür raten wir dringend ein umfassendes,
digitales System einzuführen, dass alle Teilprozesse der Zuwanderung in
einen Gesamtprozess integriert sowie alle beteiligten Akteure miteinander
verknüpft“, so Häussler.
Quelle: Geschäftsstelle der Expertenkommission Forschung und Innovation
Fünf Fragen an Prof. Dr. Carolin Häussler:
Wo steht Deutschland in der künstlichen Intelligenz?
"China und die USA dominieren im Bereich der künstlichen Intelligenz die
Technologieentwicklung, während Deutschland und die EU zurückfallen. Das
sehen wir in einem internationalen Ländervergleich. Auch bei der
Entwicklung von großen Sprachmodellen und multimodalen Modellen, also
Modellen, die Informationen aus Bildern, Videos und Text verarbeiten
können, sind Deutschland und die EU nicht führend. Das ist
hochproblematisch, da diese Modelle die Grundlagen für vielfältige KI-
Anwendungen sind und somit die Gefahr besteht, an technologischer
Souveränität einzubüßen."
Warum ist das gerade bei der künstlichen Intelligenz so problematisch?
"Bei künstlicher Intelligenz handelt es sich um eine Schlüsseltechnologie,
die die technologische und ökonomische Entwicklung in den kommenden Jahren
entscheidend prägen wird. KI kann in vielen Technologiebereichen und
Branchen, wie etwa in der Produktionstechnik oder in der pharmazeutischen
Industrie, Innovations- und Wachstumspotenziale eröffnen. Aber dafür muss
sie auch in der Breite der Wirtschaft zum Einsatz kommen. Das ist derzeit
noch nicht der Fall, wie eine im Auftrag unserer Kommission durchgeführte
repräsentative Umfrage ergab. Demnach haben 2023 in Deutschland 10 Prozent
der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes und 30 Prozent der Unternehmen
der Informationswirtschaft KI eingesetzt. Als Hemmnis für den Einsatz von
KI wurden hierbei unter anderem fehlende Kapazitäten und Kompetenzen im
Unternehmen genannt."
Können sich Deutschland und die EU überhaupt noch in Stellung bringen?
"Wir haben ja leider keine großen Konzerne, die einfach mal ein paar
Milliarden in ein KI-Modell investieren. Doch wir von der EFI-Kommission
sehen für Deutschland und die EU durchaus noch Möglichkeiten, eine
bedeutende Rolle zu spielen. Dazu bedarf es aber eines starken und
europäisch vernetzten Ökosystems im Bereich der künstlichen Intelligenz.
Damit meinen wir ein Netzwerk, das auf exzellenter Grundlagenforschung,
einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Dateninfrastruktur und Fachkräften
aufbaut, die über KI-Kompetenzen verfügen."
Apropos Fachkräfte – wie attraktiv ist Deutschland als Forschungsstandort?
"Hier befindet sich Deutschland auf einem positiven Entwicklungspfad.
Auswertungen von Publikations- und Patentdaten deuten darauf hin, dass wir
als Standort in den vergangenen zehn Jahren an Attraktivität gewonnen
haben. Allerdings wandern immer noch mehr Erfinderinnen und Erfinder ab
als zu. Positiv sehen wir, dass viele Forscherinnen und Forscher nach
einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt wieder nach Deutschland
zurückkehren. Das ist sehr begrüßenswert, da sie im Ausland wertvolle
Erfahrungen sammeln, ihr Netzwerk erweitern und dann häufig noch
produktiver in ihr Heimatland zurückkehren. Deutschland sollte daher die
internationale Mobilität fördern und möglichst attraktive Bedingungen für
Rückkehrerinnen und Rückkehrer schaffen."
Wie schätzen Sie die Investition in künstliche Intelligenz von Microsoft
in Deutschland ein?
"Es mangelt in Deutschland erheblich an Rechenkapazität, die aber
Voraussetzung für das Trainieren und die Anwendung von KI-Modellen ist.
Das kürzlich angekündigte Milliardeninvestment des US-Technologiekonzerns
zum Aufbau von Rechenkapazität weist auf den Bedarf und das
wirtschaftliche Potenzial hin. Aber wir müssen auf der Hut sein - unsere
Wirtschaft läuft Gefahr, noch mehr im Bereich der Digitalisierung in die
Abhängigkeitsspirale zu gelangen. Kurzum: Die Aufholjagd muss jetzt
beginnen und künstliche Intelligenz in der Breite der Wirtschaft zum
Einsatz kommen - ohne Abhängigkeiten von einigen wenigen außereuropäischen
Anbietern, dafür mit einem starken vernetzten Ökosystem. Wenn uns das
gelingt, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass Deutschland und Europa
vorne mitspielen können."
Zur Person:
Prof. Dr. Carolin Häussler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation,
Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Universität Passau.
Bereits seit fünf Jahren gehört sie zu den sechs Innovationsweisen der
Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin.
Diese leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung
und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. In diesem Jahr hat
sich die Kommission mit den Schwerpunktthemen „Neue Technologien für eine
nachhaltige Landwirtschaft“, „Internationale Mobilität im Wissenschafts-
und Innovationssystem“, „Soziale Innovationen“ und „Künstliche
Intelligenz“ befasst. Im Interview stellt Prof. Dr. Häussler die
Empfehlungen der Kommission bei künstlicher Intelligenz vor.