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Koalitionsverhandlungen: So könnten erfolgversprechende Strategien aussehen

Zwei potenzielle Kanzler und zwei Königsmacher: Verhandlungsexpert:innen
der Unis Hohenheim und Potsdam beleuchten mögliche Strategien für die
Koalitionsverhandlungen.

Gemeinsame Pressemitteilung der Universitäten Hohenheim und Potsdam

Rot-Grün-Gelb, Schwarz-Grün-Gelb oder doch wieder eine große Koalition:
Die Regierungsbildung wird in den nächsten Wochen nicht einfach werden.
Aus Verhandlungssicht ist das gestrige Wahlergebnis für Prof. Dr. Uta
Herbst von der Universität Potsdam und Prof. Dr. Markus Voeth von der
Universität Hohenheim in Stuttgart eine spannende Situation und eine große
Herausforderung. Zusammen leiten sie die Negotiation Academy Potsdam (NAP)
und beschäftigen sich mit Verhandlungsstrategien und -taktiken, auf die es
jetzt ankommen dürfte. Dies zeigte sich schon gestern Abend, als FDP und
Grüne aktiv den ersten Schachzug machten und verkündeten, dass sie sich
zunächst einmal untereinander abstimmen wollen, bevor sie in Verhandlungen
mit den beiden großen Parteien eintreten.

Das Wahlergebnis vom 26. September 2021 macht verschiedene
Koalitionsoptionen möglich: Eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP,
eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP sowie eine große
Koalition aus SPD und CDU/CSU. Doch wie geht man die komplexen
Verhandlungen am besten an? Sollten beispielsweise die Gespräche parallel
oder nacheinander geführt werden?

Mit diesen und anderen Fragen beschäftigen sich die beiden Direktoren der
Negotiation Academy Potsdam (NAP) Prof. Dr. Uta Herbst von der Universität
Potsdam und Prof. Dr. Markus Voeth von der Universität Hohenheim. Aus
ihrer Sicht haben Grüne und FDP dazu noch am Wahlabend einen unerwarteten
Aufschlag gemacht: Anstatt abzuwarten, bis sie von den größeren Parteien
eingeladen werden, wollen sie sich zunächst einmal untereinander
abstimmen. „Das ist ein kluger Schachzug und deutet auf einen
ausgeklügelten Matchplan hin“, sagt Prof. Dr. Voeth von der Universität
Hohenheim.

„Denn in diesen Gesprächen werden Grüne und FDP ausloten, welche Projekte
des jeweils anderen sie NICHT unterstützen werden und welche toleriert
werden können. Mit dieser Liste der gegenseitig tolerierbaren Projekte
werden sie dann in die Gespräche mit den beiden großen Parteien SPD und
CDU/CSU gehen. Damit können sie verhindern, dass der größere Partner sie
gegen den anderen kleineren ausspielt. Im Grunde läuft das damit quasi auf
ein grün-gelbes Regierungsprogramm hinaus. Denn die beiden ‚Kleinen‘
werden so ganz viele ihrer Themen durchsetzen können.“

Prof. Dr. Herbst erklärt den Grund: „Verhandlungstechnisch nutzen Grüne
und FDP nun aus, dass sie jeweils eine Alternative haben, ein so genanntes
BATNA („Best alternative to a negotiated agreement“), SPD und CDU/CSU aber
nicht. Denn beide haben immer eine große Koalition ausgeschlossen – und
das trotz offensichtlicher inhaltlicher Schnittmengen. Das fällt ihnen
jetzt auf die Füße, da sie nun den in den Koalitionsverhandlungen FDP und
Grünen praktisch ausgeliefert sind.“

Welche Möglichkeiten bleiben den beiden großen Parteien nun? Laut Prof.
Dr. Voeth haben SPD und CDU/CSU im Wesentlichen nur folgende Optionen: Zum
einen sollte die SPD, eine „große Koalition“ nicht weiter völlig
ausschließen. Auch wenn möglicherweise keiner Lust dazu hätte, könne die
große Koalition ein wichtiges Hilfsmittel sein, um in den Gesprächen
eigene Themen gegenüber Grünen und FDP durchzusetzen: „Wahlgewinner Olaf
Scholz sollte die Möglichkeit in Betracht ziehen, auf die CDU/CSU
zuzugehen und sie zu Gesprächen über eine Koalition unter seiner Führung
einzuladen, und damit gleichzeitig FDP und Grüne in Zugzwang bringen. Und
wer weiß, vielleicht sind die Schnittmengen zwischen den großen am Ende
doch größer als mit den sehr fordernden kleinen Parteien.“

Für die CDU/CSU sieht Prof. Dr. Herbst nur die Möglichkeit, damit zu
drohen, doch lieber in Opposition zu gehen. Aus ihrer Sicht sei es gestern
weder nötig noch verhandlungstaktisch geschickt gewesen, dass Armin
Laschet gleich angekündigt habe, er wolle eine Koalition unter seiner
Führung bilden: „So hat er den Grünen und der FDP noch mehr Macht gegeben.
Denn sie wissen nun, dass er zu allem bereit ist, um an die Macht zu
kommen.“ Prof. Dr. Markus Voeth ergänzt: „Besser wäre es gewesen, erst mal
abzuwarten. Denn Grüne und FDP brauchen die CDU/CSU, um ihre eigenen
Themen gegenüber der SPD durchzusetzen.“

Seine Empfehlung lautet daher, dass sich die CDU/CSU zurücknehmen und
erstmal die anderen machen lassen. Durch das Ausspielen des BATNAs „Wir
gehen in die Opposition!“ wachse sogar die Chance für CDU/CSU, ihre Themen
durchzusetzen und vielleicht am Ende eine Koalition anzuführen. „Denn wenn
Grüne und FDP die SPD nicht mehr mit ihrer Alternative „Koalition mit der
CDU/CSU“ unter Druck setzen können, wird die SPD ihnen weniger
Zugeständnisse machen. Und das vergrößert wiederum die Chancen der CDU/CSU
doch noch eine Koalition unter eigener Führung zustande zu bringen“,
analysiert Prof. Dr. Uta Herbst.

HINTERGRUND: Negotiation Academy Potsdam (NAP)

Die Negotiation Academy Potsdam (NAP) wurde 2013 an der Universität
Potsdam gegründet und verfügt seit 2016 über einen zweiten Standort an der
Universität Hohenheim. Tätigkeitsfelder der NAP sind die Bereiche
Verhandlungsforschung, Verhandlungsschulung und der Dialog zwischen
Wissenschaft und Praxis. Ihr Leitbild ist ein ganzheitliches Verständnis
von Verhandlungen als Managementprozess, der neben der eigentlichen
Verhandlungsführung vor allem auch vor- und nachgelagerte
Managementaufgaben betrachtet (z.B. Verhandlungsvorbereitung oder
Verhandlungscontrolling).

Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
http://www.uni-hohenheim.de/presse

Text: Stuhlemmer

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DIE FAMILIENUNTERNEHMER des Regionalkreises Ruhr klären über Vermögensteuer auf Regionalvorsitzender Carsten Bornemann: „Vermögensteuer ist Mittelstandsbremse und kostet Arbeitsplätze!“

Führt eine Vermögensteuer zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Nein. Im Gegenteil: Die rot-rot-grünen Parteien vergessen, dass eine Vermögensteuer vor allem die vielen kleinen und größeren Familienbetriebe in Deutschland trifft. Die Folge: Unternehmen und Arbeitsplätze sind gefährdet.

Carsten Bornemann, Regionalvorsitzender von DIE FAMILIENUNTERNEHMER des Regionalkreises Ruhr: „Nach Plänen von Rot-Rot-Grün wird die Steuerbelastung noch weiter ansteigen. Die Einkommensteuer soll erhöht, die Erbschaftsteuer verschärft und die Vermögensteuer wiederbelebt werden – all das beträfe vor allem Familienbetriebe, weil viele von ihnen Personengesellschaften sind. Vor allem die Vermögensteuer hat es in sich und hätte folgenschwere Dominoeffekte. Investitionen, Innovationen, Ausbildungsplätze, Arbeitsplätze und Klimaschutz – all das bringt eine Vermögensteuer zu Fall. Sie würde die Substanz der Betriebsvermögen in Deutschland schädigen – und das Jahr für Jahr.“

Bornemann weiter: „Deutsche Unternehmen zahlen bereits die höchsten Steuern, Sozialabgaben und auch Strompreise. Es wird Zeit, Deutschland endlich wieder fit für die Zukunft zu machen: Entbürokratisieren und Digitalisieren – so muss die Devise lauten. Und vor allem keine zusätzlichen Belastungen – auch nicht durch eine Vermögensteuer, wie sie in den Wahlprogrammen der Grünen, der SPD und auch der Linken zu finden ist.“

 

DIE FAMILIENUNTERNEHMER folgen als politische Interessenvertretung der Familienunternehmer den Werten Freiheit, Eigentum, Wettbewerb und Verantwortung. Die mehr als 6.000 Mitgliedsunternehmen erwirtschaften einen Jahresumsatz von ca. 460 Mrd. Euro (Vgl. BIP Deutschland: rund 2.400 Mrd. Euro). Über 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind eigentümergeführte Familienunternehmen.

 

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Bundestagswahl: "Die politische Stimmung eines Landes dreht sich heute viel schneller"

Ein sicher geglaubtes EU-Referendum fällt völlig anders als erwartet aus,
ein vermeintlich chancenloser Präsidentschaftskandidat wird auf einmal zum
mächtigsten Mann der Welt, große Vorsprünge schmelzen binnen Wochen dahin
– Wahlen können entgegen aller Umfragen und Prognosen ganz anders
ausfallen. Aber wie kommt es dazu und wie ist die Lage im spannenden
Bundestagswahlkampf? Ein Gespräch mit dem NBS-Forscher Marcel Schütz, der
sich in einem Forschungsprojekt mit den sozialen Auswirkungen von
Prognosen beschäftigt.

Frage: Herr Schütz, Sie schrieben Anfang des Jahres mit einem Kollegen in
der Neuen Zürcher Zeitung darüber, wie Prognosen unseren Alltag prägen.
Sie sagten: "Mit der längst stündlich am Smartphone abrufbaren
Wettervorhersage, den Wahlprognosen und neuerdings den epidemiologischen
Modellen ist die berechenbare Zukunft Teil unserer Gegenwart geworden."
Was meinen Sie damit?

Sie bringen es bereits auf den Punkt: Prognosen prägen unseren Alltag in
allen möglichen Facetten; ob es um die neuesten Corona- oder
Wirtschaftszahlen geht, um die Frage, ob wir jetzt noch ein paar Tage
Spätsommer kriegen oder darum, wer denn nun als nächste oder nächster ins
Kanzleramt einzieht. Und weil wir so viele Prognosen bekommen, bildet sich
natürlich die Erwartung heraus, dass das immer so weiter geht. Zumindest
bis zu einer Entscheidung, einem bestimmten Zeitpunkt, einer Zäsur:
Irgendwann ist der Sommer endgültig vorbei und irgendwann ist Wahlsonntag
– das fällt sogar zufällig zusammen.

Aber um auf die Frage zurückzukommen: Das Erwarten einer nächsten
Entwicklung, ob nun einer natürlichen Sache wie dem Wetter oder einer
politischen wie den Wahlen, dieses Erwarten verlangt stets nach neuen
frischen Zahlen, also den nächsten Aussichten in die Zukunft. Man kann
sich ja gar nicht mehr vorstellen, dass es einmal eine "Zukunfts-Diät"
gäbe und ein paar Tage zahlenfrei blieben, man einfach gar nicht wüsste,
ob es nächste Woche regnet oder die Sonne scheint, oder ob am 26.
September die eine oder die andere Partei gewinnt.

Frage: Das heißt, man ist immer schon auf die nächsten Zahlen und Prozente
fixiert. Können Sie das am Beispiel der Wahlen, die derzeit ja für
Diskussion sorgen, nochmal präzisieren?

Ja richtig. Wenn Sie sich den Lauf der letzten Wochen anschauen, dann
lässt sich sehen, wie ein eher "dahin plätschernder", langsam beginnender
Wahlkampf auf einmal Fahrt aufnimmt. Hier kommen zwei Punkte zusammen, die
letztlich zur größeren Beachtung der vielen Umfragen und Wahlprognosen
führen. Zum einen zeigten die Erhebungen vor etwa drei und sechs Monaten,
also zur Mitte und zu Beginn des Jahres, noch eine andere
Prozentverteilung bei den Parteien; zum anderen schien das Geschehen
insgesamt weniger dynamisch, teilweise waren die Werte einzelner Parteien
wie eingefroren.

Dann kamen die bekannten drei Kanzlerkandidat/-innen ins Spiel und der
Personen-Faktor wurde heißer diskutiert. Die allmählichen Veränderungen
hinsichtlich der Frage, wer welche Chancen hat, wer vorne liegt, wer
Angela Merkel im Amt beerben könnte – das hat Debatten angestoßen, die die
Aufmerksamkeit erhöhen und das Interesse an neuesten Einschätzungen
steigern. Das hat letztlich dazu geführt, dass die neuen Stimmungen über
Medien verbreitet und kommentiert werden und womöglich auf die Wahlchancen
selbst Einfluss nehmen. Die Leute beobachten und befragen sich
gegenseitig, was man denn von dieser und jener Kandidatin hält, ob man
schon das Neueste aus den Polit-Talkshows gehört habe. Sogenannte exogene
Faktoren, also unerwartete akute Ereignisse vor einer Wahl, tun ihr
Übriges. Es gab im Juli die Flut in Westdeutschland; und die wurde schnell
zum Politikum. Alles was im Anschluss passiert, wird sehr genau und
kritisch beäugt. Was Politiker/-innen tun oder nicht tun, das wandert
schnell durchs Internet.

Frage: Die Rede von Stimmungen, das ist vielleicht ein gutes Stichwort.
Vor Wahlen spricht man ja von einer "Wechselstimmung", wenn eine gefühlte
oder vermutete Mehrheit der Bürger/-innen einen Politik- oder
Regierungswechsel wünscht. Hat man nur den Eindruck, dass sich Stimmungen
generell schneller ändern oder ist da was dran?

Die politische Stimmung eines Landes dreht sich heute tatsächlich
schneller als zu früheren Zeiten. Die Gründe dafür liegen vor allem in
abnehmender Wähler- bzw. Parteibindung. Die Wahlforscher/-innen berichten,
dass etwa 1950, 1980 oder auch noch 2000 der Anteil der Stammwähler/-innen
viel höher war. Wenn man eine relativ hohe Stammwählerschaft in der
Grundgesamtheit hat, also in der Population, die wählen darf, und nach
ihren Präferenzen befragt wird, dann kann man sehr viel besser
einschätzen, wie stabil diese Leute politisch einer Partei nahestehen.
Wenn die Bindung an ein Parteilager – wie man vereinfacht sagt "eher
links" oder "eher konservativ" – abnimmt, muss man mit größerer Mobilität
zur einen oder zur anderen Seite rechnen. Hier wird von der "volatilen
Stimmung" gesprochen.

Hinzu kommen auch noch andere Faktoren: Bestimmte
Regierungskonstellationen wie die jetzt viele Jahre regierende Große
Koalition haben die klassische Lageraufteilung ohnehin durchbrochen. Die
Grenzen sind fließender, wie sich auch am Beispiel der Grünen zeigen
lässt, die heute sowohl klassische Wähler/-innen mit ökologischen
Interessen ansprechen als auch Personen, die potenziell auch konservativer
wählen könnten. Und auch bei Parteien wie der FDP oder SPD gibt es
Wähler/-innen, die mehr oder weniger fest diesen Parteien zuneigen und
beim nächsten Mal vielleicht schon Grüne oder Die Linke wählen.

Und dann gibt es noch Sondereffekte: Etwa durch einen hohen
Briefwahlanteil – die Leute geben ihre Stimme früher und auch abhängig von
Eindrücken einer aktuellen politischen Debatte ab. Oder sie wählen
aufgrund eines externen Faktors, einer Katastrophe wie z. B. Hochwasser
oder Terror, nochmal anders als geplant. Auch kann es sein, dass bestimmte
kritische Wählermilieus durch die Umfragen gar nicht genau erfasst werden.
So war es bei der Wahl Donald Trumps und beim Brexit, was zu den
entsprechenden Überraschungen führte. Außerdem gibt es einen schwankenden
Anteil an "Spätzündern". In den letzten Tagen vor der Wahl werden keine
Umfragen mehr veröffentlicht, aber es gibt noch einige Leute, die sich
erst jetzt in den letzten Stunden entscheiden.

Frage: Diese Entwicklung bedeutet aber doch auch, dass die Wähler/-innen
nicht nur flexibler sind, was ihre Parteipräferenz betrifft, sondern auch
gar nicht genau wissen können, welche Regierungskonstellation sie am Ende
rausbekommen?

Ja, das ist ein bisschen die Ironie des Ganzen. Die Wähler/-innen wollen
natürlich trotz ihrer abnehmenden Treue zu Parteien eine ungefähre
Vorstellung davon haben, wer denn am Ende die Regierungschefin oder der
Regierungschef wird und vielleicht auch, welche Parteibündnisse, also
Koalitionen zustande kommen. Das aber wird in dem Maße schwieriger wie die
Gewichtungen zwischen den Parteien sich verschieben. Früher, also noch vor
wenigen Jahren, waren CDU/CSU und SPD unangefochten die größten Parteien
im Land, daher ja die Rede von "Volksparteien".

Von ihrer Tradition her konnten die Parteien breite gesellschaftliche
Milieus bündeln. Aber wir sehen einen Trend, dass die großen Parteien ihre
robuste Stammwählerschaft verlieren; die Menschen sterben, nehmen an den
Wahlen nicht mehr teil, wandern zur Konkurrenz und "vererben" auch in der
Familie nicht mehr so stark die Meinung, wen man denn wählen sollte. Der
Stimmenkuchen wird immer breiter verteilt, weshalb auch neue Koalitionen
erzwungen werden, tendenziell vermehrt mit drei statt zwei Parteien, wie
es nun erstmals auch im Bund bevorstehen könnte. Es lässt sich nur sehr
begrenzt abschätzen, welche Koalition am Ende wirklich rauskommt.

Frage: Man hört davon, dass die Wähler/-innen stärker auf Personen achten.
Wie passt das denn zusammen?

Das ist sozusagen eine "Risikominimierung". Gerade weil ich nicht mehr
sicher weiß, wer am Ende in welcher Konstellation mit wem regiert, gerade
auch deshalb gibt es wohl bei dieser Bundestagswahl ein so genaues
Hinsehen bei den Personen. Man könnte nämlich sagen, dass eine
Entscheidung für einen bestimmten Kopf (und damit auch seine Partei)
immerhin tendenziell noch das bezweckt, was sie bezwecken soll und nichts
anderes: Ich wähle Frau Baerbock, weil ich auf jeden Fall ihr zutraue, das
Kanzleramt zu führen. Ich wähle Herrn Laschet, weil der doch schon einige
Jahre Ministerpräsident ist. Ich wähle Herrn Scholz, weil ich ihn schon
als Vizekanzler gut fand. Manche denken sich auch einfach nur: Wer ist für
mich das geringste Übel?

Natürlich kann ich die Leute gar nicht direkt in ihr Amt wählen, aber eben
über ihre Partei. Ich kann allerdings keine drei, fünf oder sieben
Koalitionsoptionen abschätzen, aber ich kann sagen: Die oder der soll es
werden und weil die oder der es in meinen Augen kann, regeln die das mit
der Regierung dann hinterher. Eines aber darf man auch nicht vergessen: Es
ist die erste Bundestagswahl, bei der eine amtierende Kanzlerin von sich
aus abtritt, also ohne eine Abwahl und ohne einen erzwungenen Rücktritt.
So einen Fall gab es bislang nie. Man hat dieses Szenario überall
unterschätzt. Auf einmal wird das Rennen viel offener als lange
prognostiziert. Das kann jetzt – abhängig davon, welches Amt sie schon
innehaben und wie sie sich darin verkaufen – bei den Kandidat/-innen zu
personalisierten Vor- oder Nachteilen führen.

Frage: Sie befassen sich in Ihrer Arbeit mit solchen "Unterschätzungen"
bei Prognosen, u. a. im vergangenen Jahr im Zuge der neuerlichen Anstiege
bei den Corona-Zahlen. Warum rechnet man denn mit so wenig Überraschungen
– jetzt konkret bei Wahlen?

Das ist eine spannende Frage. Eigentlich müsste man wissen, dass es im
eigenen Leben ständig zu unerwarteten Wendungen kommen könnte. Aber hier
spielt uns die Macht der Gewohnheit einen Streich. Wenn zum Beispiel ein
Kandidat oder eine Partei über lange Zeit immer sehr weit vorn und die
Herausforderer abgeschlagen hinten liegen, dann entsteht im Kopf bzw. in
den Erwartungen eine Art Pfadvorstellung. Man geht davon aus, dass es wohl
genauso bleiben wird, weil es ja schon beim letzten Mal und davor und
selbst davor so war. Es ist für Menschen gar nicht so leicht vorstellbar,
dass eine immer wieder stabilisierte Entwicklung auf einmal völlig kippt.
Aber wie lehrt das Leben: Irgendwann ist immer das erste Mal.

Das heißt für den konkreten Fall: Angela Merkel wurde solange gewählt, wie
sie zur Wahl antrat. Aber wenn jemand sagt, dass er geht, dann realisiert
man das erst dann richtig, wenn die neuen Leute auf der Matte stehen –
oder richtiger gesagt: auf den Plakaten. Und da sich nicht alle
Wähler/-innen schon ein halbes Jahr im Vorfeld permanent mit Politik und
Prognosen befassen, viele eher randläufig die Entwicklung beobachten,
kommt man erst relativ spät zur endgültigen Einschätzung, für wen man denn
nun stimmen will. Mag vorher auch noch so viel abstrakt gefragt werden,
wie man sich in Monaten einmal entscheiden könnte, erst dann, wenn es so
weit ist, wenn es immer näher rückt, dann kommt die Entscheidung. Und
diesen "Minus-Merkel"-Faktor haben die Umfragen das Jahr über eben nicht
einrechnen können. Die Erhebungen waren sozusagen unverschuldet
"verfälscht".

Frage: Nochmal zum Anfang: Wenn immer mehr Umfragen durchgeführt werden
und man jeden Tag auf die nächste lauert, welchen Einfluss hat das denn
auf die Chancen der Parteien?

Wenn man es runterbricht: Zahlen erzeugen Stimmungen und Stimmungen
erzeugen Zahlen. Man darf sich das nicht als direkten Prozess vorstellen,
eher schleichend und sich langsam aufbauend. So verdichten sich Eindrücke.
Über die Massenmedien, also die Berichterstattung, oder zunehmend auch die
sozialen Netzwerke und die großen Talk- und Wahlkampfformate auf Plätzen
und Bühnen, analog und digital, entstehen sozusagen "Sounds", die sich
verbreiten. Es kann auch sein, dass ich am Ende einer Partei meine Stimme
gebe, weil sie ohnehin schon weit vorne liegt, weil ich meine Stimme nicht
verschenken will. Und Journalist/-innen, Wissenschaftler/-innen und andere
Expert/-innen, aber auch das persönliche Umfeld, Nachbarn oder Freunde,
ordnen das Geschehen der Politik im Wahlkampf fortlaufend weiter ein. Auf
ihre Kommentare wird gehört, ihre Urteile werden beachtet und all das
formt dann als ein mehr oder weniger diffuses "Rauschen" zusätzlich die
Wahlentscheidungen. Optik und Bildlichkeit werden im Übrigen immer
wichtiger. Die Wahlkämpfe und die Berichterstattung sind technisch-medial
zunehmend raffinierter gemacht; man weiß viel darüber, wie man die Sinnes-
und Gefühlswelt der Menschen erreicht.

Generell kann man sagen, dass Stimmungen sich auch relativ hartnäckig
verfestigen können, wodurch die einen profitieren und den anderen das
Leben schwer gemacht wird. Es kommt auch zu selbsterfüllenden
Prophezeiungen: Jemand wird immer besser, weil man ihn für den Besseren
hält; jemand wird immer schlechter, weil man ohnehin nicht so viel von ihm
hielt. Bevor die Mehrheit an der Wahlurne entschieden wird, entstehen
gefühlte Mehrheiten Wochen vor der Wahl. Aber wie es ausgeht, das weiß man
natürlich nicht. Und das macht die Wahlen ja auch so spannend. Es kann
immer noch was passieren. In den USA, die ihre Präsidenten ja alle vier
Jahre Anfang November wählen, spricht man von "October Surprise" – das
sind plötzliche Vorfälle und mögliche Stimmungsdreher (sog. Gamechanger),
die nochmal Bewegung in die Zahlen bringen können. Aber planen kann man
das nicht. Man braucht im Wahlkampf oft mehr noch Glück als Strategie.

Frage: Zuletzt eine praktische Frage für junge Wähler/-innen bzw.
Erstwähler/-innen, wie es sie ja auch unter unseren Studierenden gibt: Was
empfehlen Sie, wie kann man sich eine Meinung bilden, wen man wählen
möchte, wenn man vielleicht noch unsicher ist und nicht so in den Themen
und Positionen steckt?

Natürlich gibt es von den Parteien selbst viele Angebote: Wahlprogramme,
Infomaterialien und Wahlveranstaltungen. Das spricht vor allem jene an,
die ohnehin schon genauer wissen, wo ihr Kreuz vielleicht passen könnte.
Wem das zu trocken ist, der kann sich über die vielen
Informationssendungen im Radio und TV informieren, aber für jüngere Leute
vor allem auch in den sozialen Medien. Derzeit laufen ja die „Trielle“ auf
verschiedenen Sendern. Dort bzw. in den Mediatheken kann man sich die
Auftritte der drei Kanzlerkandidat/-innen mit ihren Stilen, Ansätzen und
Vorstellungen näher anschauen. Da ich weiß, dass viele junge Leute gerne
Podcasts hören: Auch die gibt es derzeit; beispielsweise bei Google News
einfach einmal "Wahl Podcast" eingeben und schon kommen die neuesten
Folgen verschiedener Medien.

Wie auch immer die Wahlentscheidung ausfällt: Eine gute Mischung aus
Positionen der Parteien, Kommentaren von Journalist/-innen und
Wissenschaftler/-innen und solchen Formaten, in denen auch Wähler/-innen
selbst zu Wort kommen, ist sicher nicht verkehrt. Man kann auch
diskutieren mit persönlich vertrauten Leuten, die gern über Politik
sprechen, und darüber die eigene Meinung weiterentwickeln. Die
Wahlentscheidung soll ja für einen selbst irgendwie begründet sein. So
schwer das auch ist, denn erstens ist die Menge der Informationen riesig,
zweitens weiß niemand, was wirklich am Ende realisiert werden kann.
Stichwort Koalitionsrisiko. Immer geht es natürlich auch um Vorlieben und
Emotionen, die man nicht rational erklären und bearbeiten kann. Für viele
Menschen ist es wichtig, dass ihnen das Gesicht und der Typ sympathisch
ist. Oder, wie ein alter Spruch aus früheren Bundestagswahlen lautet: Die
Leute wollen jemanden wählen, dem sie auch einen Gebrauchtwagen abkaufen
würden.

Weiterführende Informationen:

Wer sich weiter zur Wahl informieren möchte, kann auch auf die Angebote
der Bundeszentrale für politische Bildung zurückgreifen. Hier gibt es
verschiedene Informationsmaterialien und den Wahl-O-Mat – eine
Entscheidungshilfe bei der Frage, welche Parteien am ehesten den eigenen
Positionen entsprechen. Auch der Deutsche Bundestag hat eigene Webseiten
zur Wahl geschaltet.

Die NBS Northern Business School – University of Applied Sciences ist eine
staatlich anerkannte Hochschule, die Vollzeit-Studiengänge sowie berufs-
und ausbildungs-begleitende Studiengänge in Hamburg anbietet. Zum
derzeitigen Studienangebot gehören die Studiengänge Betriebswirtschaft
(B.A.), Sicherheitsmanagement (B.A.), Soziale Arbeit (B.A.) und Real
Estate Management (M.Sc.).

Ihr Ansprechpartner für die Pressearbeit an der NBS Hochschule ist Frau
Kathrin Markus (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.). Sie finden den Pressedienst der NBS mit
allen Fachthemen, die unsere Wissenschaftler abdecken, unter www.nbs.de
/die-nbs/presse/expertendienst.

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Politische Strategien für weniger Plastikmüll

Viele Menschen wollen gerne ihren Verbrauch an Plastikverpackungen
reduzieren, treffen dabei aber auf Barrieren wie weite Wege zum Einkaufen
und ein geringes Angebot an unverpackter Ware. Ein IASS Policy Brief
schlägt drei politische Strategien vor, die zur Reduktion des Verbrauchs
von Verpackungen im Alltag beitragen können.

Am IASS haben Umweltpsychologinnen und -psychologen im Rahmen des
Verbundprojektes ENSURE erforscht, wie die Politik eine Reduktion des
individuellen Verbrauchs von Plastikverpackungen für Lebensmittel fördern
kann. Dieser Wunsch ist in der Bevölkerung weit verbreitet: Laut einer
repräsentativen Befragung, die im Rahmen des Projektes durchgeführt wurde,
erleben 92 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten Plastikmüll in der
Umwelt als bedrohlich im Hinblick auf den Erhalt unserer natürlichen
Lebensgrundlagen. Trotzdem nimmt der Verbrauch an Verpackungen im Alltag
weiterhin stetig zu.

Es bedarf politischen Handelns, um die Menschen in ihren Bemühungen um
einen geringeren Plastikverbrauch zu unterstützen. In ihrem Policy Brief
sprechen die Forschenden drei Empfehlungen aus:

Empfehlung 1: Ausbau des Angebots an unverpackten Lebensmitteln

Um die notwendige Integration des Unverpackt-Konzeptes in den Alltag der
Konsumentinnen und Konsumenten zu fördern, braucht es ein flächendeckendes
Netz von Unverpackt-Läden, die fußläufig, mit dem Fahrrad oder mit
öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Für die Umsetzung im Handel
empfehlen wir, einen einheitlichen, verbindlichen Unverpackt-Standard
einzuführen.


Empfehlung 2: Etablierung standardisierter und umweltfreundlicher Mehrweg-
Systeme für Lebensmittel

Es braucht flächendeckende Mehrweg-Systeme, die mithilfe standardisierter
Behältnisse, kurzer Transportwege, unternehmensübergreifend nutzbarer
Spülanlagen und adäquater Rücknahmelogistik effiziente Kreisläufe
schaffen.


Empfehlung 3: Ausweitung regionaler Versorgungsstrukturen für saisonale
und ökologische Lebensmittel

Im Sinne eines systemischen Ansatzes müssen regional und sozial-ökologisch
ausgerichtete Versorgungsstrukturen gestärkt und ausgebaut werden, die ein
verpackungsarmes, regionales und saisonales Angebot an Lebensmitteln
bieten.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Katharina Beyerl
katharina.beyerl@iass-potsdam.de

Originalpublikation:
Wiefek, J., Michels-Ehrentraut, R., Stolberg, A., & Beyerl, K. (2021).
Strategien zur Reduktion von Lebensmittelverpackungen. Unverpackt-
Konzepte, Mehrweg-Systeme und regionale Versorgungsstrukturen als Ansätze
zur reduzierten Nutzung von Einweg-Plastikverpackungen.  IASS Policy Brief
(September/2021), Potsdam.
https://www.iass-
potsdam.de/sites/default/files/2021-09/IASS%20Policy%20Brief%20Reduktion%20von%20Lebensmittelverpackungen.pdf

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