Plötzlich Herzpatient: Auch Angehörige benötigen Hilfe
Herzinfarkt, überlebter Herzstillstand, Herz-Op: Belastend nicht nur für
Patienten, sondern auch für Partner und Familie. Was können Patienten und
ihre Angehörigen tun und wo finden sie gemeinsam Hilfe?
Meistens bricht es völlig unerwartet wie ein gewaltiges Naturereignis über
Familien und Partnerschaften herein: (Ehe-)Partner/-innen, Mütter oder
Väter erleiden einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder werden aufgrund einer
schweren Herz- oder Gefäßkomplikation akut schwer herzkrank.
Bis dahin
festgelegte Rollen, Funktionen und Aufgabenverteilungen in Familie und
Partnerschaft verändern sich schlagartig, was das Familien- oder
Beziehungsgefüge ins Wanken bringen kann – auch zulasten der Angehörigen
von Patienten. Allein wegen eines Herzinfarktes werden jedes Jahr in
Deutschland rund 190.000 Menschen vollstationär behandelt.
„Ein plötzliches kardiales Ereignis wie ein Herzinfarkt oder ein
überlebter Herzstillstand ist nicht nur eine leidvolle Erfahrung für die
Patientinnen und Patienten selbst, sondern in nicht geringerem Maße auch
für ihr engeres persönliches Umfeld“, berichtet Prof. Dr. Christoph
Herrmann-Lingen vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung
und Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
der Universitätsmedizin Göttingen sowie Mitglied im Vorstand des
Herzzentrums Göttingen. „Häufig bindet die erkrankte Person als Epizentrum
des erschütternden Ereignisses so viel Aufmerksamkeit, Fürsorge und
Aktivität, dass für einen angemessenen Umgang mit den Schwierigkeiten der
Angehörigen wenig Raum bleibt. Zu Versorgungsangeboten für Betroffene
bedarf es mehr Aufklärung“, betont Prof. Herrmann-Lingen in der aktuellen
Ausgabe der Herzstiftungs-Zeitschrift HERZ heute 4/2024, die sich mit dem
Titel „Krank ist man nie allein“ den Angehörigen von Herzpatienten widmet.
Ein Probeexemplar kann kostenfrei bei der Herzstiftung unter Tel. 069
955128-400 oder unter www.herzstiftung.de/bestellung angefordert werden.
Ängste, Depressionen: Auch Angehörige können therapiebedürftig werden
Die Auswirkungen einer Herzerkrankung können individuell verschieden sein.
Sind die Belastungen tiefgreifend (Angst um Leib und Leben des
Familienmitglieds) können sie eine Therapie auch des nicht herzerkrankten
Angehörigen erforderlich machen. Die Angehörigen haben angesichts der
Krisensituation, auf die sie selten vorbereitet sind, häufig den Eindruck,
um jeden Preis funktionieren zu müssen und sich keine „Schwäche“ leisten
zu können. „Angehörige von Herzpatienten können Zeichen von psychischem
Stress wie Ängste, Depression, unklare körperliche Beschwerden oder
posttraumatische Stresssymptome entwickeln, die in ihrer Intensität und in
ihren Auswirkungen im Alltag denjenigen der direkt medizinisch Betroffenen
in nichts nachstehen“, erklärt der Psychotherapeut Dr. Jonas Nagel,
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen.
Schutzfaktor Partnerschaft und Familie: Gut für Lebensqualität und
Krankheitsverlauf
Prof. Herrmann-Lingen und Dr. Nagel sehen die Krisensituation für die
Familie als Herausforderung und Chance zugleich. „Eine funktionierende
Partnerschaft oder Familie ist grundsätzlich ein protektiver Faktor in
Bezug auf Lebensqualität und Sterblichkeit bei Herzpatienten“, bestätigen
die Göttinger Experten übereinstimmend. In einer Krisensituation erfahre
die Familie Aufwertung und Beanspruchung zugleich: Aufwertung, weil die
Familie angesichts der Erkrankung ins Zentrum des Lebens der Betroffenen
rücke, und Beanspruchung, weil sie plötzlich zusätzliche Funktionen
erfüllen müsse, die zuvor außerhalb der Familie gelegen hätten. Umso mehr
ergeben sich aus diesem Spannungsfeld „neben unmittelbaren Belastungen
auch Entwicklungschancen für alle Familienmitglieder“, so die Experten in
HERZ heute.
Belastende Faktoren für betroffene Familien sind insbesondere:
- Veränderte Rollenbilder: Rollenbilder wie das des materiellen Versorgers
durch Vater oder Mutter müssen anders verteilt werden und geraten ins
Wanken – möglicherweise übernehmen ältere Kinder Aufgaben des betroffenen
Elternteils („Parentifizierung“).
- Schonungs- und Vermeidungsverhalten: Verunsicherung bezüglich der
Belastungsgrenzen des/der Herzerkrankten und daraus folgendes
Schonungsverhalten führen bei den Angehörigen, aber zuweilen
paradoxerweise auch bei den Herzerkrankten selbst, zu Zusatzbelastungen.
Diese können auf Dauer einen unbefangenen offenen Umgang miteinander
hemmen und begünstigen damit eine emotionale Distanzierung.
- Gehemmte Sexualität: Ein Lebensbereich, in dem sich diese Hemmungen
besonders konzentriert auswirken, ist die Sexualität, etwa aufgrund der
Angst, sexuelle Erregung könnte einen erneuten Herzinfarkt auslösen.
Ein Schlüssel liegt dem Psychotherapeuten Dr. Nagel zufolge darin, trotz
aller Verunsicherung und unerwünschter Gefühle einen gemeinschaftlichen
Umgang mit belastenden Themen zu finden, anstatt sich aus Angst,
Unsicherheit und übermäßiger Rücksichtnahme abzukapseln. Einen
verbindlichen Rahmen hierzu können Familienkonferenzen bieten. „Wichtig
ist eine offene, vorurteilsfreie Hinwendung zu den Gedanken und Gefühlen,
die nun einmal dort sind, ob erwünscht oder nicht.“
Was können Betroffene selbst tun, um ihre Familie zu schützen?
Was Angehörige und ihre herzkranken Partner/Partnerinnen selbst tun
können, zeigt die folgende Auswahl von weiteren Experten-Tipps:
- Gehen Sie in den Kontakt: Trotz aller Verunsicherung und unerwünschter
Gefühle: Kapseln Sie sich nicht aus Angst, Unsicherheit oder übermäßiger
Rücksichtnahme ab.
- Suchen Sie das vertrauensvolle Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt, um
die Notwendigkeit und gegebenenfalls die Art weitergehender
Behandlungsmöglichkeiten niedrigschwellig zu besprechen.
- Bei psychischen Störungen Hausarzt aufsuchen: Sollte sich bei einem
Familienmitglied eine psychische Störung entwickeln, etwa eine Depression,
ist eine professionelle Behandlung notwendig. Wenn Sie unsicher sind, ob
Belastungsanzeichen einer Behandlung bedürfen, empfiehlt sich ein
gemeinsames Gespräch mit dem Hausarzt. Dort können die Notwendigkeit und
Art der weitergehenden Therapie niedrigschwellig besprochen werden.
- Nutzen Sie die Kardiologische Reha: Auch während der kardiologischen
Rehabilitationsbehandlung (z.B. nach einem Infarkt oder einer Herz-Op) ist
der Einbezug von Familienangehörigen ausdrücklich vorgesehen. Zielsetzung
ist laut Leitlinie unter anderem die „Reduktion von Distress bei
Familienangehörigen, Diskussion von Partnerschaftsproblemen (inklusive
sexueller Probleme), [sowie] Förderung der Anpassung an die Herz-
Kreislauferkrankung bei Patient und Partner“.
„Es ist wichtig, dass Betroffene bei Bedarf von diesen Möglichkeiten
wissen und die entsprechenden Leistungen auf eigene Initiative anfragen“,
betont der Psychokardiologe und Herzstiftungs-Experte Prof. Herrmann-
Lingen.
In der ambulanten und vollstationären kardiologischen Rehabilitation
befinden sich nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Prävention
und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) über 180.000
Herzpatienten (davon sind 93.000 Kard-Reha-Patienten erfasst/Deutscher
Herzbericht – Update 2024). Nur rund die Hälfte aller Herzpatienten nimmt
die kardiologische Rehabilitation, die ihnen zusteht, in Anspruch, weil
sie oft auch nicht auf die Möglichkeit hingewiesen werden. Infos für
Patienten zur Kardiologischen Reha: https://herzstiftung.de/reha-
broschuere
(wi)
Literatur:
Nagel, Jonas und Herrmann-Lingen, Christoph, Krank ist man nie allein,
HERZ heute 2024; 4, 10-17
Herzstiftungs-Zeitschrift HERZ heute
Mehr Informationen rund um das Thema des Umgangs Angehöriger mit
Herzpatienten bietet die Herzstiftung in der Ausgabe 4/2024 ihrer
Zeitschrift HERZ heute mit dem Titel „Krank ist man nie allen – Vom Umgang
mit Herzpatienten“. Ein Probe-Exemplar dieser Ausgabe kann kostenfrei
unter Tel. 069 955128-400 oder unter https://herzstiftung.de/bestel
angefordert werden.
Herzstiftungs-Podcast der IMPULS-Reihe
Hören Sie rein in den Podcast „Den plötzlichen Herztod überlebt – wie geht
es weiter?“ -
Ein Gespräch mit Robin W. und seiner Frau Stephanie, die ihren Ehemann zu
Hause wiederbelebte: https://herzstiftung.de/podcas
herztod-ueberlebt
Ratgeber „Kardiologische Rehabilitation“
Über psycho-soziale Themen und Angebote für Betroffene in kardiologischer
Reha informiert der Ratgeber „Kardiologische Rehabilitation“ (94 Seiten).
Der Band ist ein umfassender Leitfaden, der alle Aspekte der
Rehabilitation bei verschiedensten Herz-Kreislauf-Erkrankungen beleuchtet.
Der Ratgeber kann kostenfrei unter Tel. 069 955128-400 oder unter
https://herzstiftung.de/reha-b
Bildmaterial erhalten Sie gerne unter
unter 069 955128-114