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Weltdiabetestag: Experten erwarten mehr Sehbehinderungen – auch in Deutschland

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Diabetes mellitus und seine Folgeerkrankungen sind heute dank wirksamer
Medikamente und Therapien gut behandelbar. Trotzdem wird die
diabetesbedingte Sehbehinderung in Deutschland zunehmen, warnt Professor
Dr. med. Focke Ziemssen von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft
e.V. (DOG). Gründe sind neben der demographischen Entwicklung vor allem
Überforderung der Betroffenen, Therapieabbrüche und Krankheitsverdrängung.
„Wir müssen dringend ein Bewusstsein für die Gefahr des drohenden
Sehverlusts schaffen“, fordert der DOG-Experte anlässlich des
Weltdiabetestages, der am 14. November stattfindet.

Die Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus greift nicht nur Nieren, Füße
und Herz an. „Die schwankenden Blutzuckerwerte schädigen mit der Zeit auch
die feinen Blutgefäße im Auge und verschlechtern die Durchblutung der
Nervenzellen“, erläutert Ziemssen. In der Folge treten in der Netzhaut
kleine Blutungen und Eiweißablagerungen oder auch eine Ansammlung von
Wasser an der schärfsten Stelle des Sehens auf, der Makula. „Bis zu 25
Prozent der Betroffenen mit Diabetes Typ 2 entwickeln im Zeitraum von zehn
Jahren eine diabetische Retinopathie oder diabetische Makulopathie“, so
Ziemssen. „Bei diesen Augenerkrankungen droht ein Sehverlust bis hin zur
Erblindung.“

Jedes Jahr erkranken 450.000 Menschen neu an Diabetes
Zwar sind Retinopathie und Makulopathie mit Laser, Injektionen und
Operation gut behandelbar. „Dank dieses Fortschritts sind Erblindungen in
Folge von Diabetes erfreulicherweise stark gesunken“, berichtet der DOG-
Experte. „Dennoch erwarten Experten weltweit einen erneuten Anstieg an
Sehbehinderungen, auch in Deutschland“, betont der Netzhaut-Spezialist.
Das liegt zum einen an der Demographie: Diabetes Typ 2 nimmt zu – in
Deutschland erkranken über die fast 9 Millionen Betroffenen hinaus jedes
Jahr 450.000 Menschen neu. Die International Diabetes Federation (IDF)
prognostiziert, dass die Zahl der Erkrankten global von 527 Millionen in
2021 auf 643 Millionen in 2030 ansteigt.

Jeder Zweite verneint seine Augenerkrankung
Zum anderen spielen mangelhafte Information, organisatorische Hürden und
häufig auch fehlendes Krankheitsbewusstsein eine Rolle. Das beginnt bei
der Früherkennung: Untersuchungen großer Krankenkassen zeigen, dass zwei
Jahre nach der Diagnose eines Typ-2-Diabetes nur etwa die Hälfte aller
Betroffenen augenärztlich untersucht sind. „Als Barrieren werden fehlende
Informationen sowie lange Wartezeiten auf Termine und am Tag der
Untersuchung angegeben“, sagt Ziemssen. Verdrängung spiele ebenfalls
hinein. „Wir sehen immer wieder, dass Betroffene nicht realisieren, dass
sie bereits erkrankt sind. Selbst unter gelaserten Personen sagen 50
Prozent, dass sie keine Retinopathie haben“, erläutert Ziemssen, der dazu
forscht. Gewöhnung und anfangs geringe, unbemerkte Änderungen begünstigen
diese Einstellung.

Bis zu 60 Prozent brechen die Therapie ab
Als besonders dramatisch gilt die Zahl derer, die aus der Behandlung
ausscheren – die Abbruchraten bei der Injektionstherapie betragen zwischen
30 und 60 Prozent während des ersten Behandlungsjahres. „Menschen mit
Diabetes leiden ja häufig noch unter anderen Gesundheitsproblemen, etwa an
Fuß oder Niere“, erläutert der DOG-Experte. „Sie sind dann mit den vielen
Arztterminen, der Organisation der Transporte und dem Zeitaufwand
überfordert.“ Eine mögliche Erblindung mit ihren Folgen wird vor diesem
Hintergrund schlicht verdrängt.

Über die Dringlichkeit aufklären und empowern
Um unnötige Sehbehinderungen zu verhindern, müsse daher mittels
verstärkter Kommunikation ein Bewusstsein für diabetesbedingte
Augenerkrankungen geschaffen werden. „Ärztinnen und Ärzte sollten
Informationsmaterialien aushändigen und über die Dringlichkeit von
Untersuchungen und Therapie aufklären“, schlägt der Leipziger Augenarzt
vor. Hilfreich sei auch, Menschen mit Diabetes zu ermutigen, ihre
Angehörigen oder Freunde um Hilfe zu bitten. „Die Unterstützung bei einem
Transport ist wenig im Vergleich zur beeinträchtigten Lebensqualität und
den Problemen, die sich aus einer schweren Sehbehinderung ergeben“, stellt
der DOG-Experte fest.