Erhöhter Blutzuckerspiegel/Diabetes mellitus - Auch an seltene hormonelle Erkrankungen als Ursache denken
Ein dauerhaft zu hoher Blutzuckerspiegel wird als Zuckerkrankheit,
Hyperglykämie oder Diabetes mellitus bezeichnet. Dahinter steckt in 90
Prozent der Fälle eine Erkrankung an Typ-2-Diabetes. Weitere etwa 5 bis 10
Prozent der Betroffenen leiden an Typ-1-Diabetes, der autoimmun bedingten
Form der Zuckerkrankheit mit Zerstörung der Insulin-produzierenden Zellen.
In selteneren Fällen können jedoch auch andere Ursachen, wie etwa
hormonelle Erkrankungen, der Grund sein: Bleiben Akromegalie, Cushing-
Syndrom oder Phäochromozytom lange unbehandelt, drohen schwere
gesundheitliche Folgen bis zum Tod.
Diabetes mellitus ist ein Überbegriff für verschiedene Erkrankungen des
Stoffwechsels. Allen gemeinsam ist, dass sie zu erhöhten Blutzuckerwerten
führen. Die häufigste Ursache der Zuckerkrankheit ist eine verminderte
Wirkung von Insulin, eine sogenannte Insulinresistenz. „Dann spricht man
von Typ-2-Diabetes“, sagt Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der
ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg und
Pressesprecher der DGE. Er entsteht meist bei entsprechender erblicher
Veranlagung in Kombination mit einem ungesunden Lebensstil – zu hoher
Kalorienaufnahme, wenig Bewegung und Übergewicht. Ein Mangel am Hormon
Insulin wiederum liegt bei Typ-1-Diabetes vor.
Auch bei seltenen Hormonstörungen kann der Blutzuckerspiegel erhöht sein
„Eine Hyperglykämie kann jedoch auch bei verschiedenen anderen
Hormonstörungen auftreten“, so der Endokrinologe, „etwa wenn der Körper
unphysiologisch hohe Konzentrationen von Adrenalin, Cortisol, Glukagon
oder Wachstumshormon ausschüttet.“ Die Zuckerkrankheit ist dann Folge
anderer Hormonimbalanzen. „Sie bedarf deshalb auch einer ganz anderen
Therapie“, sagt Petersenn. „Diese Krankheiten sind jedoch selten, sodass
sie leider zunächst oft übersehen werden.“
Hyperglykämie kann ein Symptom für Akromegalie und zu viel Cortisol im
Blut sein
Um so wichtiger sei es, bei erhöhtem Blutzuckerspiegel auf weitere
Symptome zu achten und gegebenenfalls eine zusätzliche Diagnostik
einzuleiten. Sind etwa noch Kopfschmerzen, Herzrasen und Schweißausbrüche,
meist verbunden mit Bluthochdruck, vorhanden, könnten sie ein Hinweis auf
Tumoren des Nebennierenmarks (Phäochromozytom) sein. Zeigen sich neben dem
Diabetes mellitus noch Bluthochdruck, passen Ringe und Schuhe plötzlich
nicht mehr, bilden sich Zahnlücken und treten Gelenks- und
Knochenschmerzen auf, liegt möglicherweise ein Überschuss des
Wachstumshormons vor. Die sogenannte Akromegalie hat ihre Ursache in einem
hormonproduzierenden Tumor der Hirnanhangsdrüse. Sie entwickelt sich oft
schleichend im Erwachsenenalter und kann aber im späteren Verlauf tödliche
Komplikationen entwickeln.
Auch zu viel Cortisol, gleich, ob durch eine Therapie mit Cortison-
Präparaten oder durch eine gesteigerte Cortisol-Ausschüttung bei
verschiedenen Tumoren, führt zu einer Hyperglykämie. Sie ist dann
begleitet von einer Adipositas des Rumpfes, Muskel- und Knochenschwund
sowie Bluthochdruck.
Nicht alle Menschen mit Diabetes mellitus haben Typ-1- oder Typ-2-Diabetes
„Erkrankungen des Hormonsystems sind zwar seltene Ursachen einer
Hyperglykämie – aufgrund ihrer Schwere sollte bei der Abklärung eines
Diabetes mellitus aber auch an sie gedacht werden“, so Petersenn. Das
helfe, diese Erkrankung bereits früher zu diagnostizieren und auch die
begleitende Zuckerstoffwechselstörung an ihrer Wurzel zu packen. „Diabetes
mellitus oder Hyperglykämie sind eben ein Symptom und die Ursache hierfür
muss abgeklärt werden. Lang nicht alle Menschen mit Diabetes mellitus
passen in das Steckbriefraster Typ-1- oder Typ-2-Diabetes“, fasst
Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der DDG aus Tübingen
und Stellvertretender Direktor, Department Innere Medizin, am
Universitätsklinikum Tübingen zusammen.
Zum Weiterlesen:
Definition, Classification and Diagnosis of Diabetes Mellitus. Schleicher
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Update. Giustina A, Barkan A, Beckers A, Biermasz N, Biller BMK,
Boguszewski C, Bolanowski M, Bonert V, Bronstein MD, Casanueva FF,
Clemmons D, Colao A, Ferone D, Fleseriu M, Frara S, Gadelha MR, Ghigo E,
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Interessenkonflikte:
Professor Dr. med. Stephan Petersenn hat für die Firmen HRA-Pharma, Novo
Nordisk, Pfizer und Recordati an Advisory Boards teilgenommen und/oder
Vorträge bei Workshops gehalten.
Professor Dr. med. Baptist Gallwitz gibt an, dass keine
Interessenkonflikte vorliegen.