Kiel Trade Indicator 05/2022: Containerschiffstaus erreichen die Nordsee
Der internationale Handel leidet wieder stärker unter den Staus und
Verzögerungen der Containerschifffahrt, die nun auch die Nordsee erreicht
haben. Laut jüngstem Datenupdate des Kiel Trade Indicator dürften im Mai
weltweit weniger Waren umgeschlagen worden sein als im Vormonat (preis-
und saisonbereinigt). Unter den großen Volkswirtschaften sticht China
positiv hervor.
Das jüngste Datenupdate des Kiel Trade Indicator für Mai weist für den
Welthandel im Vergleich zum Vormonat ein leichtes Minus von 1 Prozent aus
(preis- und saisonbereinigt). Auch für Deutschland sind die Indikatorwerte
nur schwach ausgeprägt, die Exporte liegen im roten Bereich (-1,2
Prozent), die Importe im grünen (+1,6 Prozent). Ein ähnlich
uneinheitliches und wenig eindeutiges Bild zeigt sich für die EU (Exporte:
-1 Prozent; Importe: +0,4 Prozent) und für die USA (Exporte: -1,3 Prozent;
Importe: +1,8 Prozent). China sticht unter den großen Volkswirtschaften im
Mai positiv hervor, was allerdings auch am schwachen April liegen dürfte.
Im Vergleich dürften die Exporte leicht (+2,1 Prozent), die Importe sogar
deutlich (+7 Prozent) gestiegen sein.
„Insgesamt zeigt sich der Maihandel eher verhalten und setzt die
Seitwärtsbewegung der letzten Monate fort. Der internationale Handel
leidet jedoch wieder stärker unter den Staus und Verzögerungen der
Containerschifffahrt, die nun auch die Nordsee erreicht haben“, so Vincent
Stamer, Leiter Kiel Trade Indicator.
Erstmals seit Ausbruch der Pandemie stauen sich Containerschiffe auch in
der Nordsee vor den Häfen Deutschlands, Hollands und Belgiens. Hier
stecken gegenwärtig knapp 2 Prozent der globalen Frachtkapazität fest und
können weder be- noch entladen werden. In der deutschen Bucht warten etwa
ein Dutzend große Containerschiffe mit einer Kapazität von insgesamt etwa
150.000 Standardcontainern auf das Anlaufen in Hamburg oder Bremerhaven.
Vor den Häfen Rotterdam und Antwerpen ist die Lage noch dramatischer.
Dagegen hat sich der Containerschiffstau vor Los Angeles bzw. vor dem
südlichen Kalifornien wieder gänzlich zurückgebildet.
Vor Shanghai und der angrenzenden Provinz Zheijang sind gegenwärtig sogar
über 3 Prozent der globalen Frachtkapazität im Stau gebunden. Dafür
konnten aber wieder mehr Schiffe den vom Lockdown betroffenen Hafen
Shanghai verlassen, in der zweiten Maihälfte lagen die Abfahrten auf
vergleichbarem Niveau zu Chinas übrigen Häfen. Gegenwärtig liegen sie
allerdings wieder rund 15 Prozent darunter. Bisher sind wegen des
Lockdowns in Shanghai Exporte im Wert von bis zu 700 Millionen Euro von
China nach Deutschland entfallen.
„Dass in den vergangenen Wochen Exporte Shanghais trotz Lockdown-Maßnahmen
wieder gestiegen sind, zeigt aber auch, dass die Firmen dort in den
Startlöchern stehen und bei einer Beendigung des Lockdowns die Produktion
wohl wieder schnell hochfahren können“, so Stamer.
Insgesamt stecken derzeit über 11 Prozent aller weltweit verschifften
Waren im Stau. Im Roten Meer – der wichtigsten Seehandelsroute zwischen
Asien und Europa – ist die Lücke zwischen zu erwartenden und tatsächlich
verschifften Frachtmengen auf rund 16 Prozent angewachsen, nachdem sie
sich im Februar nahezu geschlossen hatte.
Die nächsten Aktualisierungen des Kiel Trade Indicator erfolgen am 21.
Juni (ohne Medieninformation) und am 6. Juli (mit Medieninformation für
die Handelsdaten im Juni 2022).
Weitere Informationen zum Kiel Trade Indicator und die Prognosen für alle
75 Länder finden Sie auf www.ifw-kiel.de/tradeindicator (https://www.ifw-
kiel.de/de/themendossiers/inte
Über den Kiel Trade Indicator
Der Kiel Trade Indicator schätzt die Handelsflüsse (Im- und Exporte) von
75 Ländern und Regionen weltweit sowie des Welthandels insgesamt. Im
Einzelnen umfassen die Schätzungen über 50 Länder sowie Regionen wie die
EU, Subsahara-Afrika, Nordafrika, den Mittleren Osten oder Schwellenländer
Asiens. Grundlage ist die Auswertung von Schiffsbewegungsdaten in
Echtzeit. Ein am IfW Kiel programmierter Algorithmus wertet diese unter
Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz aus und übersetzt die
Schiffsbewegungen in reale, saisonbereinigte Wachstumswerte gegenüber dem
Vormonat.
Die Auswertung erfolgt zweimal im Monat. Um den 20. (mit Pressemeldung)
für den laufenden und den folgenden Monat und um den 3. (ohne
Pressemeldung) für den vergangenen und den laufenden Monat.
An- und ablegende Schiffe werden dabei für 500 Häfen weltweit erfasst.
Zusätzlich werden Schiffsbewegungen in 100 Seeregionen analysiert und die
effektive Auslastung der Containerschiffe anhand des Tiefgangs gemessen.
Mittels Länder-Hafen-Korrelationen können Prognosen erstellt werden, auch
für Länder ohne eigenen Tiefseehafen.
Der Kiel Trade Indicator ist im Vergleich zu den bisherigen
Frühindikatoren für den Handel deutlich früher verfügbar, deutlich
umfassender, stützt sich mit Hilfe von Big Data auf eine bislang
einzigartig große Datenbasis und weist einen im Vergleich geringen
statistischen Fehler aus. Der Algorithmus des Kiel Trade Indikators lernt
mit zunehmender Datenverfügbarkeit dazu (machine learning), so dass sich
die Prognosegüte im Lauf der Zeit weiter erhöht.