Wie das Immunsystem seine Abwehrtruppen auswählt
Forschende der FAU untersuchen einen grundlegenden biologischen Prozess in
geimpften Probanden
Wenn Killerzellen des Immunsystems auf Anzeichen einer Infektion stoßen,
teilen sich manche von ihnen danach rasant. Sie wachsen so zu einer großen
Abwehrtruppe heran, die dann den Erreger bekämpft.
Allerdings ist das
längst nicht für jede einzelne Killerzelle der Fall. An welchem Kriterium
entscheidet sich, ob es zur Vermehrung kommt oder nicht? Forschende der
Friedrich-Alexander-Universitä
Universitätsklinikums Erlangen und von Helmholtz Munich sind dieser Frage
nachgegangen. Dazu untersuchten sie Menschen, die eine Covid-Impfung
erhalten hatten. Bei ihnen teilten sich danach ausschließlich Zellen,
deren „Schlagkraft“ gegenüber dem verimpften Virus-Merkmal einen
bestimmten Schwellenwert überschritt. Die Ergebnisse erscheinen in der
Fachzeitschrift Science Immunology*.
Krankheitserreger können sehr unterschiedlich aussehen. Dennoch gelingt es
dem Immunsystem in der Regel schnell, sie zu entdecken. Diese Fähigkeit
verdankt es unter anderem den ungefähr 100 Millionen verschiedenen Sorten
von zytotoxischen T-Zellen (auch Killerzellen genannt), die über den
gesamten Körper verteilt Wache stehen. Jede davon ist darauf geschult,
körperfremde Moleküle - etwa von einem potenziellen Eindringling - zu
erkennen. Allerdings hält jede dieser Sorten nach einem anderen Warnsignal
Ausschau: Manche Killerzellen schlagen zum Beispiel Alarm, wenn sie auf
ein Molekül aus Grippe-Viren stoßen. Andere werden dagegen vielleicht
durch ein spezielles Tumor-Protein aktiviert.
Verantwortlich dafür sind Sensoren auf der Oberfläche der Killerzellen -
die T-Zell-Rezeptoren. Sie sprechen auf ganz spezifische molekulare
Erkennungszeichen an, die je nach Art des Rezeptors sehr unterschiedlich
aussehen können. „Wir nennen diese Erkennungszeichen Antigene“, erklärt
Prof. Dr. Kilian Schober vom Institut für Klinische Mikrobiologie,
Immunologie und Hygiene (Direktor: Prof. Dr. Christian Bogdan) am UKER. „T
-Zell-Rezeptoren können an Antigene binden - aber nur, wenn sie genau zu
ihnen passen, ähnlich wie ein Schlüssel zu einem Schloss.“
„Klonkrieger“ des Immunsystems
Wenn das passiert, kann das dazu führen, dass sich die Killerzelle rasch
zu teilen beginnt. Dadurch entsteht eine ganze Armee identischer Zellen -
ein Klon. Sie alle verfügen über denselben T-Zell-Rezeptor wie die
Mutterzelle, können also ebenfalls das entsprechende Antigen erkennen und
die Antigen-tragende Zelle bekämpfen. Die Bindung an ein körperfremdes
Molekülfragment führt aber beileibe nicht immer zu einer Vermehrung der
jeweiligen Immunzelle. „Wir wollten wissen, woran das liegt“, erklärt
Schober. „Dazu haben wir uns die Immunantwort von Testpersonen angesehen,
die während der Covid-Pandemie eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff
erhalten hatten.“
mRNA-Impfstoffe bewirken, dass Körperzellen ein bestimmtes Protein-
Fragment des Corona-Virus herstellen. Dieses Fragment wird dann von zu ihm
passenden Rezeptoren entdeckt und kann dadurch die jeweiligen Killerzellen
aktivieren. Bei einem wirklichen Infekt kann der Körper dann den Erreger
rasch bekämpfen. In der Regel gibt es mehrere Hundert T-Zell-Rezeptoren,
die an das Virus-Protein andocken können. Allerdings sind manche von ihnen
passgenauer als andere - sie binden daher stärker. In der Fachsprache sagt
man: Sie besitzen eine höhere „Avidität“. „Wir konnten nun zeigen, dass
Killerzellen nur dann zur Teilung angeregt werden, wenn ihre Avidität
einen bestimmten Schwellenwert überschreitet“, sagt Schober.
Diversität erhöht die Schlagkraft gegen Mutanten
Von den mehreren Hundert Zelllinien bleiben so noch einige Dutzend, die
jeweils einen Klon von Abwehrzellen bilden. „Es ist allerdings nicht so,
dass sich die Killerzellen mit der höchsten Avidität am stärksten
vermehren“, betont Schobers Doktorandin Katharina Kocher, die einen großen
Teil der Experimente durchgeführt hat. „Sie müssen ein bestimmtes
Mindestmaß an Avidität haben, um sich überhaupt zu teilen. Wie stark sie
das dann tun und wie groß der jeweilige Klon aus Abwehrzellen dann
letztendlich wird, scheint aber vom Zufall abzuhängen.“ Kurz nach der
Impfung bildete das Immunsystem der Testpersonen daher jeweils ungefähr
zwanzig bis dreißig Killerzell-Klone unterschiedlicher Größe. Jeder davon
verfügte über einen anderen T-Zell-Rezeptor, und dennoch konnten alle
ausreichend stark an das nach der Impfung gebildete Virus-Protein binden.
Diese Vielfalt der Abwehrtruppen ist ein großer Vorteil, wie die
Forschenden experimentell nachweisen konnten: „Wenn das Virus im Laufe der
Zeit mutiert, steigt so die Wahrscheinlichkeit, dass es immer noch
Killerzellen gibt, die es bekämpfen können“, erläutert Schober. „Ein
Einzelklon – so hoch seine Avidität auch sein mag – könnte dagegen niemals
alle möglichen Mutanten abdecken.“
Gerade aus Menschen sind derartige Analysen noch rar. Das hat auch mit dem
enormen Aufwand zu tun, den die Forschenden dafür treiben mussten: „Wir
haben in jeder Testperson mehrere tausend Killerzellen untersucht und den
Aufbau ihrer Rezeptoren analysiert“, sagt Schober. „Im Anschluss haben wir
über Hundert von einzelnen Rezeptoren in einem Testsystem nachgebaut, um
seine Avidität messen zu können.“ Doch der Aufwand habe sich gelohnt. „Die
Ergebnisse unserer Studie erlauben einen interessanten Einblick in die
Strategien des Immunsystems, von dem in Zukunft möglicherweise auch die
Entwicklung neuer Impfstoffe profitieren kann.“
* Direkt zur Studie: https://doi.org/10.1126/sciimm