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Zum Tag des Tropenwaldes am 14. September: Gefahr für Tropenwälder durch Übernutzung, Entwaldung und Verschmutzung

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„Im Amazonasgebiet und in Südostasien führen bereits jetzt geringere
Niederschläge, Entwaldung und Brände zu einer Verschlechterung der
Waldqualität und zu Veränderungen der Ökosysteme“, sagt Prof. Dr.
Alexandra Nora Müllner-Riehl vom Institut für Biologie der Universität
Leipzig. Müllner-Riehl ist Professorin für Molekulare Evolution und
Systematik der Pflanzen.

Anlässlich des Tags der Tropenwälder am 14.
September beantwortet Müllner-Riehl Fragen zu ihrer aktuellen Forschung.
Im Interview berichtet Sie von dem besonderen Gefühl in einem Tropenwald
zu stehen, biologischer Vielfalt in den Tropen, sowie Problemen, mit denen
Tropenwälder konfrontiert sind.

Sie forschen zu Tropenwäldern – was war Ihr letztes Forschungsprojekt und
was haben Sie herausgefunden?

In einem unserer letzten Forschungsprojekte, gemeinsam mit meinem Kollegen
Dr. Abubakar Bello, haben wir uns mit der Erfassung der pflanzlichen
Artenvielfalt von Nigeria befasst, dem bevölkerungsreichsten Land auf dem
afrikanischen Kontinent. Für diese Arbeit waren Belege und Daten aus
Herbarien, also wissenschaftlichen Pflanzensammlungen, auch „Bibliotheken
der Biodiversität“ genannt, von zentraler Bedeutung. Wir fanden heraus,
dass mehr als 1000 Gefäßpflanzen noch unbeschrieben sein könnten. Damit
ergibt sich für dieses westafrikanische Land eine ungefähre Zunahme von 20
Prozent an anerkannten Gefäßpflanzenarten in den nächsten 50 Jahren.

Welche aktuellen Probleme sehen Sie durch Ihre Forschung in Bezug auf
Tropenwälder?

Die artenreichsten Regionen der Erde beherbergen einen Gutteil der
weltweiten biologischen Vielfalt. Um bei Afrika zu bleiben, so befinden
sich auf dem Kontinent 8 der weltweit 34 Biodiversitätshotspots. Einer
davon ist der Sumpf- und Mangrovenwald im Nigerdelta in Nigeria, der zu
den größten weltweit gehört und viele endemische und gefährdete Arten
beherbergt. Daher sollte sein Schutz eigentlich höchste Priorität haben.
Das Nigerdelta ist jedoch in hohem Maße von Übernutzung, Entwaldung und
Verschmutzung betroffen. Insbesondere Ölverschmutzungen bedrohen die
biologische Vielfalt, die Ökosystemleistungen und die lokale Bevölkerung.
Trotz der Artenvielfalt in Nigeria ist diese jedoch noch unzureichend
erforscht. Eine umfassende Dokumentation und Kenntnis der Pflanzenwelt ist
jedoch essentiell für den Schutz bedrohter Arten. Nur so können wir
sicherstellen, dass diese Arten mit ihren vielfältigen
Nutzungsmöglichkeiten auch in Zukunft für uns Menschen zur Verfügung
stehen. Und wir können entsprechende Maßnahmen ergreifen, diese Arten für
uns und unsere Nachwelt zu erhalten.

Wichtig zu beachten ist vor allem auch der Klimawandel. Dieser wirkt sich
auf viele tropische Regionen aus, wie etwa die von uns derzeit untersuchte
Sahelzone in Nigeria und Niger. Der Klimawandel hat vielfältige Folgen für
die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlagen, indem er die
Produktivität und die biologische Vielfalt verringert. In Nigeria und
Niger ist der Großteil der lokalen Bevölkerung von kleinbäuerlichen
Systemen abhängig, welche die regionale Wirtschaft stützen und für
Lebensunterhalt, Einkommen und Ökosystemleistungen sorgen. Die
Widerstandsfähigkeit solcher Systeme hängt von der pflanzlichen
Biodiversität in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, der Biodiversität in
den Böden und den landwirtschaftlichen Praktiken ab. Es handelt sich um
sehr komplexes Wirkungsgefüge zwischen menschlicher Nutzung, Klimawandel
und Biodiversität.

Gibt es für diese Probleme Lösungsansätze?

In einem derzeit laufenden Projekt beschäftigen wir uns konkret mit der
komplexen Beziehung zwischen Pflanzendecke und menschlichen Aktivitäten in
den betroffenen Gebieten in Nigeria und Niger. Erhebliche
Umweltveränderungen in diesen Regionen führen zu Konflikten, Konflikte zu
Sicherheitsbedenken, und diese schränken eine eingehende und langfristige
Forschung in solchen Gebieten oft ein. Wir wollen aber genau dort
hinsehen, wo es sonst niemand tut. Das erfordert einen innovativen Ansatz,
eine Kombination von politischen, wirtschaftlichen und anthropologischen
Konfliktstudien mit Umwelt- und ökologischen Analysen vor Ort und aus der
Ferne. Dazu haben wir am LeipzigLab eine eigene Arbeitsgruppe
eingerichtet, mit zahlreichen Kollaborationspartnerinnen und -partnern aus
verschiedenen Ländern. Komplexe Fragestellungen kann man am besten in
einem transdisziplinären Team beantworten, nachhaltige Lösungen für die
Bevölkerung vor Ort lassen sich so auch schneller finden.

Wie viel Prozent der Erdoberfläche sind mit Tropenwäldern bedeckt und wie
wird sich das entwickeln?

Mein Kollege am LeipzigLab, Dr. João Vidal, hat vor wenigen Tagen einige
Berechnungen dazu angestellt, um die Biome zwischen 23,5° N und 23,5° S
(den Tropen, wie sie durch Breitengradstandards definiert sind) zu
schätzen: Biome, die dem gängigen Verständnis von „tropischen Wäldern“
entsprechen (Amazonas, Atlantischer Regenwald: tropische und subtropische
feuchte Laubwälder) bedecken etwa 11,6 Prozent der globalen Landfläche.
Man darf aber nicht vergessen, dass es daneben noch andere Arten
tropischer Wälder (tropische und subtropische Trockenlaubwälder) gibt, wie
etwa saisonal trockene tropische Wälder, Trockenwälder aus Neukaledonien
und Madagaskar, mittelamerikanische Trockenwälder usw. Es gibt auch
Nadelwälder in den Tropen, wie die Araukarienwälder in Brasilien und die
Nothofagus-Wälder in der Mittelmeerregion Chiles. Und es gibt natürlich
die Sumpf- und Mangrovenwälder.

Nach dem IPCC Sixth Assessment Report gingen zwischen 1990 und 2020
weltweit mehr als 420 Millionen Hektar Wald durch Abholzung verloren,
wobei über 90 Prozent dieses Verlusts in tropischen Gebieten zu
verzeichnen waren. Im Amazonasgebiet und in Südostasien führen bereits
jetzt geringere Niederschläge, Entwaldung und Brände zu einer
Verschlechterung der Waldqualität und zu Veränderungen der Ökosysteme.
Diese Belastungen verstärken in Verbindung mit Landwirtschaft,
Holzeinschlag und Bergbau die Erwärmung und die Veränderungen der
Niederschlagsmuster und führen zu einem weiteren Waldverlust.

Wie fühlt es sich für Sie persönlich an, wenn Sie in einem Tropenwald
stehen?

Jeder Tropenwald hat seine eigene Klangkulisse. In manchen Wäldern ist es
ruhig, fast still, in anderen wird man von einem Klangteppich aus
übermächtigen Geräuschen umhüllt: dem lauten Summen der Zikaden,
zwischendurch dem Kreischen von Affen, ab und an dem Ruf eines Vogels –
dazu die drückende, warme, feuchte Luft, die an der Haut klebt und den
Wald wie eine lebendige, atmende Masse erscheinen lässt. Überwältigende,
geballte Energie und biologische Vielfalt!

Liegt Ihnen sonst noch etwas zum Tag der Tropenwälder am Herzen?

Wie schon zuvor erwähnt, gibt es in den Tropen weit mehr als nur
Tropenwälder! Tropische Savannen und Graslandschaften nehmen mit 12,54
Prozent sogar eine noch größere Fläche ein als tropische und subtropische
feuchte Laubwälder und umfassen wichtige Regionen für den Erhalt der
Artenvielfalt, wie beispielsweise den Cerrado, die größte Savanne der
Welt, die sich in Brasilien, Paraguay und Bolivien befindet. Alle diese
Lebensräume sind schützenswert und wichtig – nicht zuletzt für uns
Menschen!

Die Fragen stellte Charlotte Huster.

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