Spurensuche im Museum. NS-Raubgut in der Sammlung entdeckt
Metallobjekte, die jahrzehntelang als römische Funde aus dem
niedersächsischen Bentumersiel galten, entpuppen sich als mögliches NS-
Raubgut. Neue Recherchen des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg in
Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) und dem
Fries Museum in Leeuwarden brachten eine brisante Herkunftsgeschichte ans
Licht.
Die sieben Metallobjekte – darunter Fibeln, eine Statuette und andere
Metallobjekte – wurden 1983 vom Landesmuseum angekauft, nachdem sie
gemeinsam mit weiteren Stücken von einem Sammler angeboten worden waren.
Als Fundort war damals „Bentumersiel“ angegeben – ein bedeutender
archäologischer Fundplatz an der Ems mit einem ungewöhnlich hohen Anteil
von Funden römischer Militaria und Luxusgüter. Schon zu diesem Zeitpunkt
des Kaufs wurden Zweifel laut: Denn in den damaligen Akten wurde vermerkt
„angeblich Bentumersiel?“
Im Rahmen eines aktuellen archäologischen Projektes am Landesmuseum Natur
und Mensch wurden die der Fundstelle Bentumersiel zugeschriebenen Stücke
gemeinsam mit dem LEIZA erneut ausgewertet – mit einem eindeutigen
Ergebnis: Sie sind zeitlich und auch in ihrer Zusammensetzung untypisch
für diese Fundstelle.
Neue Recherchen auf Basis der Ankaufsdokumentation weisen nun in eine
andere Richtung – nach Arnheim in den Niederlanden und in die Zeit der
schweren Kämpfe im Zweiten Weltkrieg. In der Endphase des Krieges, während
der Schlacht um die Rheinbrücke von Arnheim, kam es nachweislich zu
Plünderungen leerstehender Häuser durch Wehrmachtseinheiten – in diesem
Zusammenhang ist auch die Verschleppung von Kulturgut dokumentiert.
Fotografien der angebotenen Funde und Beschriftungsvergleiche legen nahe,
dass die Objekte aus der Privatsammlung des Arnheimer Fotografen und
Privatsammlers Adam Jacobus Hieronimus Van der Toorn (1870–1919) stammen.
Diese Sammlung befindet sich heute zu großen Teilen im Fries Museum
Leeuwarden und im Museum Arnhem. Sie wurde von den Erben an die
niederländischen Museen übergeben.
„Die Indizien sprechen klar dafür, dass es sich bei den Objekten um
Raubgut handelt“, so Archäologin Dr. Annette Siegmüller derzeit
wissenschaftliche Mitarbeiterin im Landesmuseum Natur und Mensch
Oldenburg. „Die aktuellen Recherchen erweitern nicht nur das Wissen zu
unserer Sammlung, sondern sie sind Teil unserer ethischen Verantwortung im
Umgang mit Sammlungsgut.“
Museumsdirektorin Dr. Ursula Warnke erklärt: „Museen sind nicht nur Orte
der Bewahrung, sondern auch der kritischen Auseinandersetzung mit der
eigenen Sammlungsgeschichte. Provenienzforschung bedeutet, genau
hinzusehen – auch dort, wo Herkunft lange als gesichert galt. Wir nehmen
diese Aufgabe ernst und verstehen Transparenz, Kooperation und
Aufarbeitung als festen Bestandteil unserer Museumsarbeit.“
Das Landesmuseum geht derzeit der Frage nach, was aus den übrigen, nicht
angekauften Objekten des damaligen Konvoluts wurde. Von diesen sind
lediglich Fotografien erhalten. Sie zeigen kunstvoll gearbeitete
Metallobjekte und seltene Knochenfunde, deren Formgebung eine Ansprache
als frühmittelalterliche Objekte aus dem niederländischen Küstengebiet
erlaubt. In Kooperation mit den niedersächsischen und niederländischen
Museumskolleg*innen wird nun versucht, ihre Herkunft und ihren Verbleib
weiter aufzuklären.
Es ist geplant, die nun neu zugeordneten Funde und ihre bewegte
Sammlungsgeschichte im Herbst temporär im Museum zu zeigen.
Presseabbildungen
zum Download unter https://www.naturundmensch.de/
1_Die Archäologen Dr. Frank Both und Dr. Anette Siegmüller haben die
wirkliche Herkunft der Funde im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg
ausfindig gemacht.
© Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg
2_ Dr. Frank Both und Dr. Anette Siegmüller begutachten die neu
zugeordneten Funde.
© Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg
3_ Römische Statuette aus dem angebotenen Konvolut. © Landesmuseum Natur
und Mensch Oldenburg
4_Dokumentation der zum Kauf angebotenen Funde.
© Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg
5_Dr. Anette Siegmüller mit Fotografien der 1982 dem Museum angebotene
Funde, die letztlich die Zuordnung des Fundkonvoluts zur Sammlung Van der
Toorn ermöglichten.
© Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg
6_1983 erworbene Metallfunde mit der Herkunft angeblich Bentumersiel, die
sich nun als Raubgut während des zweiten Weltkriegs entpuppten.
© Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg
7_ Der Vergleich der Etiketten auf Fotografien lenkt die Spur ins Fries
Museum zum Sammler Van der Toorn.
© Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg