„Bio-Gedanken in Bezug auf die Medien entwickeln“: H-BRS-Professor Andreas Schümchen zur Zukunft des Journalismus
Vom Smarthome über die Energiewende bis hin zu Mobilitätsfragen – mit der
fortschreitenden Digitalisierung begegnen wir in unserem Alltag häufig
technischen Themen. „Es gibt einen großen Bedarf an Kommunikation über
komplizierte Techniken, die unser Leben beeinflussen“, sagt Journalismus-
Professor Andreas Schümchen von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS). Im
Interview für das Format H-BRS aktuell spricht er über die Entwicklung des
Journalismus, aktuelle Herausforderungen und den Einfluss von Künstlicher
Intelligenz.
Herr Professor Schümchen, Sie sind seit 25 Jahren Professor für
Journalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Wie hat sich Ihre
persönliche Mediennutzung in dieser Zeit verändert?
Professor Andreas Schümchen: Als ich 1999 an der Hochschule angefangen
habe, hat das Internet noch keine große Rolle gespielt. Da habe ich mich
vor allem klassisch aus Zeitung, Radio und Fernsehen informiert. Manchmal
habe ich erst am Abend zu Hause erfahren, was den Tag über so in der Welt
passiert ist. Natürlich hat sich das inzwischen fundamental geändert. Das
fing an mit Spiegel Online auf meinem Rechner. Heute lese ich Zeitungen
nur noch digital und nicht mehr gedruckt.
Nicht nur Ihre persönliche Mediennutzung hat sich gewandelt, sondern auch
der Journalismus. Welche Entwicklung beobachten Sie hier?
Schümchen: Der Journalismus sucht gerade seine neue Rolle, denn die hat
sich stark verändert. Vor 25 Jahren sammelten journalistische Profis die
Informationen, bereiteten sie auf und vermittelten sie den Menschen. Heute
kann im Internet jeder schreiben, was er will, vollkommen egal, ob die
Informationen wahr oder erfunden sind, und wie sie präsentiert werden im
Hinblick auf Rechtschreibung, Zeichensetzung und Gestaltung. Viele
Menschen sagen: „Warum brauche ich noch Journalisten? Ich bekomme meine
Informationen doch auch so.“ Denen kann man nur entgegnen, dass sie sich
vermutlich auch nicht von Amateuren operieren lassen würden oder den
defekten Wasserhahn reparieren lassen wollen. Die Qualität ist besser,
wenn man Profis etwas machen lässt.
Was folgt daraus?
Schümchen: Die Denkweise, dass man für Qualitätsjournalismus bezahlen
muss, ist leider noch nicht so weit in der Gesellschaft angekommen wie es
wünschenswert wäre. Das ist eine große Herausforderung. Es gilt, den
Mediennutzenden die Bedeutung eines professionellen Journalismus
klarzumachen, dass er Geld kostet und Geld wert ist. Ich bin da übrigens
gar nicht pessimistisch, denn wir haben zum Beispiel im
Lebensmittelbereich eine vergleichbare Entwicklung gesehen. Lange Zeit war
es vielen Menschen egal, wo das Frühstücksei herkam, es musste nur günstig
sein. Heute wollen viele Menschen wissen, wie das Huhn heißt und ob es ein
glückliches Huhn ist. Diesen Anspruch, diesen Bio-Gedanken, müssen wir
auch in Bezug auf Medien entwickeln, also dass die Menschen wissen wollen,
wo die Informationen eigentlich herkommen und wer sie gesammelt hat.
Wie kann das gelingen?
Schümchen: Journalistinnen und Journalisten müssen viel mehr als bisher
für Transparenz sorgen und offenlegen, wie sie arbeiten, denn darüber gibt
es häufig völlig falsche Vorstellungen. Sie müssen sich mehr über die
Schulter schauen lassen und erklären, wo die Nachrichten herkommen, was
mit den Informationen passiert, und wie sie zu den Nutzenden gelangen. Man
müsste also den Journalismus selbst immer mal wieder thematisieren.
Journalistinnen und Journalisten müssen heute oftmals mehrere Kanäle von
Print über Bewegtbild bis Social Media bedienen. Hinzu kommen neue
Herausforderungen wie die Künstliche Intelligenz. Welche Szenarien
erwarten Sie hier?
Schümchen: Eine ähnliche Situation, wie wir sie derzeit beim Thema KI
erleben, gab es vor ungefähr drei Jahrzehnten schon einmal, als die
Digitalisierung in den Medien begann. Plötzlich sollten auch
Journalistinnen und Journalisten, die bislang ausschließlich geschrieben
hatten, hochkomplizierte Fernsehkameras bedienen oder die
Webseitenerstellung mit HTML erlernen. Dann hat sich schnell gezeigt, dass
das gar nicht nötig ist, weil die technische Entwicklung weiterging. Heute
kann jeder mit einem Smartphone professionelle Videos erstellen und in
Content-Management-Systemen Inhalte für Websites erzeugen. Momentan
konzentrieren wir uns darauf, sehr viel über KI zu lernen. Künstliche
Intelligenz wird künftig eine große Rolle spielen, aber sie wird auch zu
einer großen Selbstverständlichkeit werden. Nichtsdestotrotz wird KI die
Arbeit im Journalismus sehr stark und sehr schnell verändern.
Inwiefern?
Schümchen: Es gibt Studien, laut denen eine KI fast die Hälfte der
Tätigkeiten im Journalismus übernehmen könnte. Das ist auf den ersten
Blick eine schlechte Nachricht. Aber es ist auch eine gute Nachricht, denn
das bedeutet auch, dass noch sehr viel übrigbleibt, was Menschen machen
müssen. Wir müssen es schaffen, KI als Werkzeug zu sehen, das uns
vielleicht bei Routinetätigkeiten wie dem Verfassen von Kurznachrichten
oder der Verschriftlichung von Interviews unterstützt, oder das uns hilft,
kreative Lösungen zu finden. Momentan wird in dem Bereich viel
experimentiert, und man wird sehen, wo es Vorteile bringt, wo aber auch
nicht.
Wie verändert KI die Journalismus-Ausbildung?
Schümchen: Die angehenden Journalistinnen und Journalisten müssen sich
sehr stark mit der Frage auseinandersetzen, wie man verantwortungsvoll mit
KI umgeht. Es geht gar nicht so sehr darum zu verstehen, wie KI genau
funktioniert. Ich muss aber wissen, was ich mit einer KI bestenfalls
machen und schlimmstenfalls verursachen kann. Hier sind wir im
Journalismus-Studiengang sehr gefordert. Wir müssen unsere Studierenden
dazu bringen, diese Dinge zu reflektieren. Das ist eine wichtige Aufgabe
für die Zukunft, denn die Entwicklung ist sehr dynamisch.
Die H-BRS hat ihren Bachelor-Studiengang Journalismus neu konzipiert. Aus
Technikjournalismus wird ab dem Wintersemester 2025/26 „Digitaler
Journalismus und Technologie“. Wie nimmt der neue Studiengang die aktuelle
Entwicklung auf?
Schümchen: Als wir vor 25 Jahren als bundesweit erste Hochschule den
Studiengang Technikjournalismus eingerichtet haben, spielte Technik schon
eine große Rolle. Doch die Technologien sind heute andere. Die
Neukonzeption greift diese Entwicklung auf. So gut wie alles, was in der
Zukunft technisch und technologisch passieren wird, hat etwas mit
Digitalität und künstlicher Intelligenz zu tun. Beides spielt auch in
unserem neuen Studiengang eine besondere Rolle. Denn der Bedarf an
Journalistinnen und Journalisten, die die neuen Technologien erklären und
einordnen können, sie aber auch kritisch hinterfragen, wächst – man denke
neben der KI nur an die Mobilitätswende oder die Heizungsdiskussion. Wir
als Hochschule haben hier auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Es gibt
einen großen Bedarf an Kommunikation über komplizierte Techniken, die
unser Leben beeinflussen.
Für die Absolventinnen und Absolventen bedeutet das…
Schümchen: …dass so gut wie alle einen Job bekommen, und viele sogar eine
Auswahl haben. Das ist natürlich auch auf den Social-Media-Boom
zurückzuführen. Unsere Ausbildung ist multimedial und umfasst Wort, Bild,
Web, Podcast und Social Media ebenso wie Audio- und Videoproduktionen. Die
Berufsperspektiven sind sehr gut, sowohl in den Medien als auch bei
Unternehmen.
Zur Person: Andreas Schümchen ist Professor für Journalistik, insbesondere
Medieninnovation und Digitalisierung, an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
und leitet den Studiengang „Digitaler Journalismus und Technologie“. Der
Wissenschaftler gehört dem Institut für Medienentwicklung und -analyse
(IMEA) an. Schümchen studierte an der TU Berlin Germanistik,
Medienwissenschaften, Psychologie und Kunstgeschichte und promovierte an
der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg.
Nach Redaktionsvolontariat und journalistischer Tätigkeit für mehrere
Medien kam er als Professor an die H-BRS.