Feministisches Netzwerk hilft Gorillaweibchen in neue Gruppen zu wechseln
Gorillaweibchen wenden im Sozialverhalten ähnliche Strategien wie Menschen
an, wie Forschende der Universität Zürich zeigen: Wechseln sie in eine
neue soziale Gruppe, suchen sie nach Weibchen, mit denen sie früher
zusammengelebt haben – und meiden gleichzeitig Männchen aus ihrer
Geburtsgruppe.
Viele Tierarten verlassen früher oder später die Gruppe, in die sie
hineingeboren wurden, um sich einer anderen Gemeinschaft anzuschliessen.
Bei Gorillas können Individuen mehrfach ihre Gruppenzugehörigkeit
wechseln. Dieser als Dispersion bezeichnete Vorgang spielt eine wichtige
Rolle, um Inzucht zu vermeiden, die genetische Vielfalt zu verbessern und
soziale Beziehungen zu pflegen. Wie aber wählen die Tiere ihre neue Gruppe
aus?
Forschende der Universität Zürich (UZH) haben diesen Vorgang nun
untersucht. Sie stützen sich dabei auf Daten, die 20 Jahre lang vom Dian
Fossey Gorilla Fund über mehrere Gruppen wild lebender Berggorillas in
Ruanda gesammelt wurden.
Weibchen meiden Männchen, mit denen sie aufgewachsen sind
Die Studie zeigt, dass die Weibchen sich nicht zufällig einer Gemeinschaft
anschliessen. Bei ihrer Wahl scheinen Merkmale wie Gruppengrösse oder
Geschlechterverhältnis keine Rolle zu spielen – dafür aber frühere soziale
Erfahrungen: Die Weibchen meiden Männchen, mit denen sie aufgewachsen
sind, und suchen sich Weibchen, die sie bereits kennen.
«Da weibliche Berggorillas nicht mit Sicherheit wissen, wer ihre Väter
sind, können sie sich auf eine einfache Regel ‹Meide jede Gruppe mit
Männchen, mit denen du aufgewachsen bist› verlassen», erklärt Victoire
Martignac, Doktorandin am Institut für evolutionäre Anthropologie der UZH.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Männchen in ihrer Geburtsgruppe mit ihnen
verwandt sind, ist höher als bei anderen männlichen Tieren.
Da die Weibchen mehrfach ihre Gruppe wechseln, machen sie zwangsläufig mit
vielen Männchen Bekanntschaft. Sie meiden jedoch nur jene aus ihrer
Geburtsgruppe. «Das zeigt, dass es nicht nur darauf ankommt, wen die
Gorillaweibchen kennen, sondern auch, wie sie das Männchen kennengelernt
haben», sagt die Erstautorin.
Investitionen in Beziehungen sind wichtig
Noch wichtiger ist allerdings die Anwesenheit von anderen Weibchen, mit
denen sie zuvor zusammengelebt haben. Diese Beziehungen scheinen auch nach
jahrelanger Trennung noch wichtig zu sein. «Der Eintritt in eine neue
Gruppe kann sich ziemlich beängstigend anfühlen, da das einzelne
Individuum dann in der Regel am unteren Ende der sozialen Hierarchie
steht. Wie bei den Menschen könnte eine vertraute Bekanntschaft dazu
beitragen, diese Angst zu verringern, und als soziale Verbündete wirken»,
fügt Letztautorin Robin Morrison hinzu. Wenn sich ein Weibchen auf
Empfehlung einer Freundin einer Gemeinschaft anschliesst, ist dies auch
ein positives Zeichen für die Gruppe als Ganzes oder für das dominante
Männchen, das diese anführt.
Die Studie ergab zudem, dass jene Gorillaweibchen, die mindestens fünf
Jahre lang zusammengelebt und sich in den letzten zwei Jahren getroffen
haben, über den grössten Einfluss verfügen. «Investitionen in solche
feministischen Beziehungen sind bei den Gorillas wichtig. Eine räumliche
Trennung kann vorübergehend sein. Wenn die Weibchen sich später in einer
anderen Konstellation wieder begegnen, kann dies den Neuanfang in der
neuen Gruppe erheblich erleichtern», so Morrison.
Evolutionärer Schlüssel für kooperative Gesellschaften
Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig bei den Gorillas der soziale
Austausch innerhalb verschiedener Gemeinschaften ist. Er ermöglicht nicht
nur neue Bekanntschaften, sondern erleichtert auch die Aufrechterhaltung
bereits bestehender Beziehungen. Indem die Individuen mehrfach die
Zugehörigkeit wechseln, verschiedene Gruppen häufig interagieren und sich
überlappende Gebiete teilen, weiten sich die Beziehungen der Menschenaffen
über die Gruppengrenzen hinaus aus.
«Ein ausgedehntes Beziehungsnetz, das über Grenzen der Gemeinschaft hinweg
besteht, scheint eine evolutionäre Schlüsselrolle bei der Entwicklung
grösserer und kooperativerer Gesellschaften gespielt zu haben», folgern
die Forschenden. Denn starke Bindungen zwischen verschiedenen sozialen
Gruppen sind auch ein Schlüsselaspekt menschlicher Gesellschaften.
Finanzierung
Die von Forschenden der Universität Zürich und dem Dian Fossey Gorilla
Fund durchgeführte Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds und dem
Dian Fossey Gorilla Fund finanziert.
Literatur
Victoire Martignac et al. Dispersed female networks: female gorillas’
inter-group relationships influence dispersal decisions. Proceedings of
the Royal Society B. 4 August 2025. DOI:
https://doi.org/10.1098/rspb.2