Verbinden, bewahren, verbessern: Wie Forschung Korallen schützt – und unsere Zukunft

Am 28. Juli war Welttag des Naturschutzes – ein Anlass, den Blick auf besonders
empfindliche Lebensräume zu richten: etwa auf Korallenriffe, die als
artenreiche Ökosysteme nicht nur faszinieren, sondern auch wichtige
Indikatoren für den Zustand unserer Umwelt sind. Doch sie sind stark
bedroht – etwa durch Klimawandel, Meereserwärmung, Tiefseebergbau,
Überfischung und Umweltverschmutzung.
Vielerorts ist ihr Überleben
ungewiss. Zwei aktuelle Studien unter Beteiligung des Leibniz-Instituts
zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) zeigen, wie wissenschaftliche
Forschung dazu beitragen kann, Korallenriffe widerstandsfähiger zu machen
und ihre biologische Vielfalt langfristig zu erhalten.
Wie lässt sich die Widerstandskraft von Korallenriffen gezielt stärken?
Einerseits schauten die Forschenden genauer auf die genetische Vielfalt
von Korallen und haben festgestellt, dass zentrale Riffzonen besonders
widerstandsfähig gegenüber sich verändernden Umweltbedingungen sind. Zum
anderen untersuchten sie, wie das Mikrobiom der Korallen beeinflusst
werden kann, um sie besser vor Umweltverschmutzung und Klimawandel zu
schützen.
Genetische Vielfalt erkennen – und gezielt schützen: Veröffentlicht in der
Fachzeitschrift Evolutionary Applications, widmet sich eines der
Forschungsvorhaben der genetischen Struktur von Staghorn-Korallen
(Acropora cf. pulchra) in Mikronesien. Ein Forschungsteam unter
Beteiligung von Dr. Sarah Lemer, Molekularbiologin am LIB, David Combosch,
Gast-Wissenschaftler am LIB, und Mitarbeitern der Universität Guam (UOG),
hat mithilfe populationsgenomischer Methoden Korallen an fünf
verschiedenen Standorten der Marianeninseln untersucht – darunter Guam und
Saipan. Die zentrale Frage war, wie stark diese Populationen genetisch
miteinander verbunden sind und wo sich potenzielle Schwachstellen oder
besonders widerstandsfähige Gruppen befinden.
Die Ergebnisse dieser groß angelegten genetischen Analyse zeigen deutlich,
dass viele Populationen eine extrem hohe Klonalität aufweisen. Das
bedeutet: In vielen Fällen bestehen ganze Riffabschnitte aus genetisch
nahezu identischen Korallen, die sich durch asexuelle Vermehrung – also
etwa durch Abbrechen und Anwachsen von Fragmenten – ausgebreitet haben.
Die genetische Vielfalt innerhalb dieser Populationen ist dadurch deutlich
eingeschränkt. Zudem stellten die Forschenden ein klares Muster von
„Isolation-by-Distance“ fest: Je größer die geographische Distanz zwischen
zwei Populationen, desto weniger genetischer Austausch findet statt. Diese
genetische Trennung kann die Fähigkeit der Korallen, sich an veränderte
Umweltbedingungen anzupassen, erheblich beeinträchtigen.
Dennoch bietet die Studie auch Anlass zur Hoffnung. In einigen Bereichen
identifizierte das Forschungsteam sogenannte Konnektivitäts-Hubs –
zentrale Riffzonen, in denen genetischer Austausch nachweislich
stattfindet und sich Vielfalt sammelt. Diese Hotspots könnten künftig
gezielt in Schutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen eingebunden werden.
„Genetische Knotenpunkte wie diese sind mehr als nur biologische
Eigenheiten – sie sind Ankerpunkte für restaurative Intervention“, erklärt
Dr. Sarah Lemer. „Wenn wir wissen, wo genetische Vielfalt konzentriert
vorkommt, können wir Restaurationsmaßnahmen genau dort ansetzen – mit
deutlich größerem Effekt.“
Aus dieser Erkenntnis ergibt sich eine klare Handlungsempfehlung: Indem
Korallen aus genetisch vielfältigen Populationen gezielt genutzt werden,
um andere, genetisch verarmte Riffbereiche wieder zu besiedeln, lässt sich
die Widerstandsfähigkeit des lokalen Ökosystems langfristig stärken.
Mikrobiom-Fusion: Ein zukunftsweisender Vorschlag in der Korallenforschung
„Wenn Korallen die Möglichkeit haben, mikrobielles Wissen auszutauschen,
könnte daraus eine Art kollektive Widerstandskraft entstehen“, sagt Dr.
Sarah Lemer. „Es ist ein Konzept, das ökologische Anpassungsfähigkeit
völlig neu denkt.“ Die im Fachjournal One Earth in Zusammenarbeit mit
Mikrobiologen und Experten für Korallenkrankheiten von der UOG erschienene
Studie bringt dieses bislang wenig beachtetes Konzept ins Spiel: die
gezielte Beeinflussung des Mikrobioms, also der mikrobiellen
Lebensgemeinschaften, in oder an der jede Koralle lebt. Die Forschenden
schlagen vor, diesen inneren Mikrokosmos stärker in die
Restaurationsbiologie einzubeziehen – als potenziellen Schlüssel zu mehr
Resilienz.
Konkret geht es darum, Korallenstücke mit gleichem Erbgut, aber
unterschiedlichen Gemeinschaften von Bakterien und anderen
Kleinstlebewesen (Mikrobiome) gezielt zusammenwachsen zu lassen. Dies
könnte dazu führen, dass sich ihre unterschiedlichen Mikrobiome vermischen
und nützliche Mikroben auf weniger widerstandsfähige Individuen übertragen
werden. Zwar handelt es sich bislang um einen theoretischen Ansatz, doch
er basiert auf gut dokumentierten biologischen Mechanismen wie
Korallenfusion und Mikrobenmigration, die in anderen Kontexten bereits
beobachtet wurden.
Noch ist dieser Vorschlag experimentell – doch er erweitert den Blick auf
Korallen als lernfähige Organismen, die nicht nur genetisch, sondern auch
mikrobiell auf Veränderungen reagieren können. Und er eröffnet neue Wege,
wie sich Korallenriffe künftig aktiver und gezielter unterstützen lassen.
Die praktische Umsetzung dieser Methodik ist auch schon geplant und soll
in folgenden Studien weiter ergründet werden.
Die beiden Studien zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie unterschiedlich,
aber komplementär wissenschaftliche Forschung zum Schutz der Biodiversität
beitragen kann. Während genetische Analysen aufdecken, wo biologische
Vielfalt besonders hoch ist oder verloren zu gehen droht, liefern
experimentelle Ansätze wie die Mikrobiom-Fusion ganz konkrete Werkzeuge
für die ökologische Praxis.
Dr. Sarah Lemer bringt es auf den Punkt: „Naturschutz ist nicht nur ein
ethisches Ziel – es ist eine strategische Aufgabe, die datenbasiertes
Handeln verlangt. Unsere Forschung liefert genau das: belastbare
Grundlagen, um Biodiversität nicht nur zu bewahren, sondern aktiv zu
stärken.“
Der Welttag des Naturschutzes soll uns daran erinnern, dass der Schutz der
Natur kein abstraktes Ideal ist, sondern eine Herausforderung, die lösbar
ist – mit klarem Blick, wissenschaftlicher Genauigkeit und dem Mut, neue
Wege zu gehen. Die Arbeit von Sarah Lemer und dem LIB-Team - in
Zusammenarbeit mit der UOG - steht exemplarisch für eine solche
Herangehensweise. Sie zeigt: Korallen sind nicht nur Opfer, sondern auch
Hoffnungsträger.
Trotz aller Fortschritte bleibe die Wissenschaft nur der erste Schritt auf
dem Weg zum konkreten Wandel. Forschende zeigten zunehmend, wie stark
menschliche Einflüsse die Ökosysteme belasten – und liefern damit wichtige
Grundlagen für den Naturschutz. Doch um wirksame Maßnahmen umzusetzen,
brauche es auch politischen Willen und entschlossenes Handeln, sagt Lemer:
„Wir können die Schäden sichtbar machen und Wege zur Erholung aufzeigen –
doch ohne mutige politische Entscheidungen bleiben unsere Erkenntnisse
Mahnungen statt Lösungen. Die Wissenschaft liefert die Fakten. Jetzt ist
es an der Politik, daraus Konsequenzen zu ziehen und den Schutz unserer
Ökosysteme zur echten Priorität zu machen.“
Originalpublikation:
D. Rios, H. Torrado, S. Lemer, C. Drury, D. Burdick, L. Raymundo, D. J.
Combosch: “Population Genomics for Coral Reef Restoration—A Case
Study of Staghorn Corals in Micronesia”, Evolutionary Applications, Volume
18, Issue 6 June 2025: https://doi.org/10.1111/eva.70
C. J. Anthony, S. Lemer, L. J. Raymundo, H. Rouzé: “Restoration
innovation: Fusing microbial memories to engineer coral resilience”, One
Earth, Volume 8, Issue March 21, 2025:
https://doi.org/10.1016/j.onee