Nachhaltige Carbonfasern der nächsten Generation: vielseitig, leistungsstark und ökonomisch

Ob in Wasserstofftanks, Batterien, Brennstoffzellen oder zur Abschirmung
sensibler Elektronik – Carbonfasern finden vielfältige
Einsatzmöglichkeiten in Hightech-Anwendungen. Das Fraunhofer-Institut für
Angewandte Polymerforschung IAP entwickelt gemeinsam mit der
Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg neuartige
Carbonfasern auf Basis von Cellulose. Sie verbinden strukturelle Vielfalt,
hohe elektrische, thermische und mechanische Leistung mit Nachhaltigkeit.
Das Projekt ist Teil der Carbon Lab Factory Lausitz und wird vom
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Intensiv begleitet
und unterstützt wird das Vorhaben von der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH.
Mehr als Leichtbau: Carbonfasern für alternative Hightech-Anwendungen
Klassische Carbonfasern, wie sie etwa im Leichtbau eingesetzt werden,
werden meist aus dem erdölbasierten Polymer Polyacrylnitril (PAN)
gewonnen. Ihre Herstellung ist aufwändig, energie- und ressourcenintensiv.
Darüber hinaus fallen große Mengen toxischer Nebenprodukte an. Auch
pechbasierte Carbonfasern, eine weitere erdölbasierte Variante mit sehr
guten elektrischen und wärmeleitenden Eigenschaften, sind technisch höchst
anspruchsvoll und kostspielig in der Produktion.
Das Fraunhofer IAP begegnet diesen Herausforderungen mit einer neuen
Generation leistungsfähiger Carbonfasern – biobasiert und nachhaltig. Sie
vereint strukturelle Variabilität mit anpassbaren Eigenschaften sowie
einer attraktiven Umwelt- und Kostenbilanz. Ihre Einsatzmöglichkeiten
reichen dabei über den Leichtbau für Luft- und Raumfahrt, Verteidigung,
Windkraft oder Medizin hinaus: Als Komponente in Batterien und
Brennstoffzellen können sie als elektrisch-thermisch leitfähiges sowie
durchlässiges und chemisch stabiles Gewebe dienen. Auch zur Abschirmung
sensibler Elektronik sind sie bestens geeignet.
Hohe Variabilität durch Spinnverfahren und Additive
Der innovative Ansatz des Fraunhofer IAP: Cellulose dient als
nachwachsender Ausgangsstoff für Präkursoren – die Vorstufe der
Carbonfasern. Präkursor-Fasern können sehr flexibel mittels industriell
etablierter Spinnverfahren wie der Viskose- oder Lyocell-Technologie, aber
auch durch alternative Umformungsverfahren, zu endlosen Fasern versponnen
werden. Additive wie z. B. Lignin, das wie Cellulose aus Holz gewonnen
wird, lassen sich dabei direkt in die Spinnlösung einarbeiten und steigern
so die Kohlenstoffausbeute bei der späteren Konvertierung zu Carbonfasern
erheblich.
Ein Vorteil der Cellulose: Die Struktur der Präkursor-Fasern und damit die
resultierende Carbonfaser lässt sich gezielt über das gewählte
Spinnverfahren und die Spinnprozessparameter steuern. So entstehen
unterschiedliche Porositäten, Orientierungs- und Kristallinitätsgrade
sowie Querschnitte – beispielsweise rund, oval oder gelappt. Letztere
bietet eine besonders hohe spezifische Oberfläche und eignet sich daher
u.a. für den Einsatz in leitfähigen, porösen Trägerstrukturen für
permeable Elektroden in Redox-Flow-Batterien oder für Gasdiffusionslagen
in Brennstoffzellen.
Katalyse macht biobasierte Carbonfasern wettbewerbsfähig
Die gesponnenen cellulosischen Endlosfasern durchlaufen anschließend ein
wässriges Bad mit funktionellen Zusätzen wie Katalysatoren und Additiven.
Dieser Schritt dient der Aktivierung für die anschließende thermische
Umwandlung zu Carbonfasern. Dabei punktet die Cellulosefaser mit einem
besonderen Vorteil: Sie wirkt wie ein Schwamm und saugt die Zusätze aus
dem Bad effizient auf. Ein am Fraunhofer IAP entwickeltes System aus
Katalysatoren und Additiven senkt die Carbonisierungstemperatur um mehr
als 1.000 °C, beschleunigt den Prozess und steigert die Ausbeute an
Kohlenstoff von 15 auf 45 Gewichtsprozent.
Durch gezielte Optimierung der Prozessparameter – z. B. Temperatur,
Verweilzeit oder mechanische Verstreckung – während der Carbonisierung
können Faserdurchmesser von deutlich unter vier Mikrometern erreicht
werden. Das ist insbesondere für Brennstoffzellen interessant. Zum
Vergleich: marktübliche Fasern liegen im Bereich von sieben Mikrometern.
Maßgeschneiderte Hochleistung – mechanisch, elektrisch, thermisch
Die Kombination aus Spinn-, Aktivierungs- und Carbonisierungstechnologie
erlaubt die Entwicklung maßgeschneiderter Fasertypen für
unterschiedlichste Anwendungen. Dr. Jens Erdmann, Experte für biogene
Carbonfasern am Fraunhofer IAP, betont: »Unsere Carbonfasern verbinden
technische Höchstleistung mit Nachhaltigkeit: Ihre mechanischen
Eigenschaften erreichen das Niveau erdölbasierter High-Modulus-
Carbonfasern aus PAN – also das von Hochleistungs-Carbonfasern. Zudem
zeigen sie eine elektrische und thermische Performance, wie man sie von
pechbasierten Fasern kennt.«
Carbon Lab Factory Lausitz: Brücke zur industriellen Skalierung
Die Technikumsversuche am Fraunhofer IAP zeigen das große Potenzial der
Technologie – dieses soll nun durch die Initiative der »Carbon Lab Factory
Lausitz« in den Pilotmaßstab überführt werden. Die neue Infrastruktur wird
die gesamte Wertschöpfungskette – vom Rohstoff über die Carbonfaser bis
hin zum Bauteil – in Deutschland abbilden. Die Initiative wurde gemeinsam
mit der TU Chemnitz und dem Institut für Leichtbau und
Wertschöpfungsmanagement der Brandenburgischen Technischen Universität
Cottbus-Senftenberg gestartet und ist ein länderübergreifendes Projekt
zwischen Sachsen und Brandenburg. Sie unterstützt den Aufbau einer
weltweit einzigartigen Forschungsinfrastruktur für Carbonfasern und damit
den Strukturwandel in der Lausitz.
Nachhaltigkeit trifft Hochleistung – ein wachsender Bedarf
»Wir spüren deutlich, dass das Interesse an nachhaltigen Materialien
stetig wächst«, sagt Erdmann. »Doch ökologische Vorteile allein reichen
nicht aus, um sich am Markt zu behaupten – auch die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit muss überzeugen. Genau hier setzen wir an: Uns ist es
gelungen, ökologische Verantwortung mit technischer Exzellenz und
ökonomischer Effizienz zu verbinden. Die Möglichkeit, die Eigenschaften
unserer Fasern gezielt und flexibel anzupassen, eröffnet neue
Anwendungsfelder und klare Wettbewerbsvorteile – ein entscheidender
Schritt zur wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit.«