Zu wertvoll für die Deponie

Das EU-Projekt „Reincarnate“ will den Bausektor umkrempeln – weg von der
Ressourcenverschwendung, hin zu einer Kreislaufwirtschaft
Bei dem schwedischen Unternehmen RAGN SELLS bauen Informatiker derzeit
eine Datenbank auf, in der alle Rohmaterialien erfasst werden, die bei
Abrissarbeiten anfallen. In Deutschland wiederum haben
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein KI-basiertes Werkzeug
entwickelt, mit dessen Hilfe aus den Materialien, die dann in der
Datenbank erfasst sind, neue Baustoffe kreiert werden.
Das KI-basierte Tool ist eines von zehn digitalen Innovationen, die in dem
EU-Forschungsprojekt „Reincarnate“ entwickelt wurden und die nun an
dreizehn Praxisprojekten in Europa und China demonstriert werden. Die
Datenbank des in der Abfallwirtschaft tätigen Unternehmens RAGN SELLS ist
eines dieser Praxisprojekte. Ziel von „Reincarnate“ ist es, den Bausektor,
der gigantische Ressourcen verbraucht, in eine Kreislaufwirtschaft zu
überführen. „Bislang funktioniert die Bauwirtschaft nach der Devise:
bauen, nutzen, abreißen“, sagt Timo Hartmann, Professor für Systemtechnik
baulicher Anlagen an der TU Berlin und Koordinator des Projekts, in dem
Wissenschaft und Wirtschaft eng kooperieren. „Von dem linearen,
umweltfeindlichen Bauen müssen wir uns verabschieden – dem Planeten
zuliebe, aber auch, weil Europa vor dem Problem knapper werdender
Ressourcen steht und aufgrund geopolitischer Veränderungen nicht mehr, wie
bisher, ohne Weiteres Zugriff auf Ressourcen haben wird.“
Derzeit werden in Europa Gebäude nach circa 40 Jahren abgerissen. Alles,
was verbaut ist – Fenster, Türen, Leitungen, Gipskartonplatten –, landet
meist auf Deponien; im besten Fall wird der Bauschutt zum Verfüllen im
Straßenbau wiederverwendet. Der Bauabriss macht 25 bis 30 Prozent des
gesamten Abfalls in Europa aus.
Um im Bausektor eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, fokussiert sich
das Projekt auf zwei Dinge: Erstens soll die Lebensdauer bestehender
Gebäude, Bauprodukte und Materialien verlängert werden. Zweitens sollen
Materialien, wenn sie dann wirklich an ihr „Lebensende“ gekommen sind, so
recycelt werden, dass ein neuer hochwertiger Baustoff oder -teil entsteht.
Beispiele, an denen die TU Berlin forscht: Die Türen eines umzubauenden
Gebäudes werden automatisiert und zerstörungsfrei aus- und in einem
anderen Gebäude wieder eingebaut. Oder einfachverglaste Fenster werden
roboterbasiert demontiert und zu mehrfachverglasten Fenstern
zusammengefügt, um sie erneut zu verwenden und daraus ganze Fassaden neu
zu gestalten.
Die zehn entwickelten Innovationen zielen unter anderem auf drei Bereiche:
digitale Werkzeuge für die Materialverfolgung und das Management von Bau-
und Abrissabfällen, automatisierte Lösungen für Rückbau und Abfalltrennung
sowie branchenübergreifende Lösungen aus dem Bauprodukt- und
Baustoffbereich. Getestet werden sie nicht nur bei RAGN SELLS, sondern
unter anderem bei der Sanierung von Gebäuden der Berliner
Immobilienverwaltungsgesellsch
niederländischen Amersfoort, bei der automatischen Gebäudeinspektion eines
Hotels in Hongkong sowie beim Abriss dreier Klärwerke und dem Bau eines
neuen in Spanien.