„Der politische Kompromiss ist tot“: Der Sozialethiker Prof. Dr. Matthias Braun im Hypothese-Podcast der Uni Bonn
Insbesondere nach dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg und dem
Attentat in Magdeburg wird die Forderung laut, „keine politischen
Kompromisse mehr einzugehen“.
Was aber ist eigentlich ein Kompromiss, kann
es eine Demokratie ohne Kompromisse überhaupt geben und was kann man aus
einem differenzierten Verständnis politischer Kompromisse für eine
Demokratie unter Druck lernen? In der neuen Folge des Hypothese-Podcasts
der Universität Bonn diskutiert Sozialethiker Prof. Dr. Matthias Braun mit
Moderator Denis Nasser die These „Der politische Kompromiss ist tot“.
Ein Kompromiss kann aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden.
Einerseits kann er als Eingeständnis einer Schwäche verstanden werden, das
heißt als Unfähigkeit, seine eigentliche Position durchzusetzen.
Andererseits, erläutert Matthias Braun im Gespräch, verstehen andere
Theorien den Kompromiss als eine Form gemeinsamen Handelns. In diesen wird
etwas geschaffen, dass man alleine so nicht hätte zustande bringen können.
Hier lassen sich viele Beispiele finden wie das Grundgesetz, das
sogenannte Pariser Abkommen oder aber auch bisherige Kompromisse in der
Migrationspolitik.
Hinzu kommt, dass ein Kompromiss auch selbst immer von einer bestimmten
Perspektive zeugt und zur Positionierung zwingt. „Die Person, die die
schreckliche Tat in Aschaffenburg begangen hat, hat nach allem, was wir
wissen, einen Migrationshintergrund“, bemerkt Braun. „Darüber hinaus litt
der Täter jedoch offenbar an einer psychischen Erkrankung.“ Nehmen
Politikerinnen und Politiker den Fall als Aufhänger für die Forderung, in
der Migrationspolitik keine Kompromisse mehr einzugehen, legen sie laut
Braun zugleich fest, dass der Aspekt der Migration Vorrang vor dem
Sachverhalt einer psychischen Erkrankung haben soll. Es sei bemerkenswert,
dass diese Priorisierung kaum in den aktuellen politischen Debatten
hinterfragt wird. Dieser Aspekt sei deswegen so entscheidend, weil sich
die politischen Handlungsoptionen dramatisch verschieben - je nachdem wie
man welchen Aspekt gewichtet.
Hat man sich verständigt, dass es in einem bestimmten Bereich einen
Kompromiss gibt, stellt sich schließlich die Frage, was einen guten
Kompromiss auszeichnet. „Ein wichtiger Punkt ist, dass er nachvollziehbar
und fair ist“, zeigt sich Braun überzeugt. „In einer Demokratie sind die
Kriterien für einen guten Kompromiss letztlich aber Teil der Aushandlung
selbst.“ Transparenz und Fairness reichen allein aber nicht, damit ein
Kompromiss als gut und als stabil verstanden werden kann: Kompromisse
müssen auch gefeiert werden, sollen sie stabil sein. Der Tag der Deutschen
Einheit ist hier ein gutes Beispiel. Kompromisse in Fragen von Migration
haben es hier ungleich schwerer.
In der neuen Folge des Hypothese-Podcasts diskutiert Prof. Dr. Matthias
Braun mit Moderator Denis Nasser die These „Der politische Kompromiss ist
tot“. Ob der Wissenschaftler sie verifiziert (als wahr bestätigt) oder
falsifiziert (widerlegt), hören Sie hier: Link: https://www.uni-
bonn.de/de/neues/der-politisch
Zur Person:
Matthias Braun ist Professor für Sozialethik an der Evangelisch-
Theologischen Fakultät der Universität Bonn und Research Associate an der
Universität Oxford. Nach Stationen in Marburg und Erlangen sowie
Forschungsaufenthalten in Bergen, Maastricht und Oxford leitete er bis
2022 die Nachwuchsforschungsgruppe „Ethik und Governance neuer
Technologien“ an der Friedrich-Alexander-Universitä
Zum Wintersemester 2022/23 wechselte er an die Universität Bonn und leitet
seitdem den Lehrstuhl für (Sozial-)Ethik an der Evangelisch Theologischen
Fakultät. Matthias Braun hat zahlreihe internationale Preise gewonnen.
Darunter einen Forschungspreis des Europäischen Forschungsrats und einen
Falling Walls Award in der Kategorie Social Science and Humanities. Er
arbeitet in mehreren Forschungsverbünden interdisziplinär mit nationalen
und internationalen Forschenden zusammen. Matthias Braun befasst sich in
seiner Forschung mit Fragen der politischen Ethik, ethischen und
governance-bezogenen Herausforderungen neuer Technologien sowie Fragen von
Gerechtigkeit und Solidarität.