Klimaresilientes Kanalmanagement wird von der Hochschule Hof weiterentwickelt
Vor 30 Jahren wurde die Drehbogentechnik des Hamburger Ingenieurs Günter
Kupczik erstmals im Dresdner Kanalsystem installiert. Nun wird diese
einzigartige Lösung für ein intelligentes Kanalmanagement im
Forschungsprojekt "Drehbogen 4.0" an der Hochschule Hof weiterentwickelt.
Ziel ist es, die Technik mit digitalen Elementen zu optimieren und sie als
klimaresiliente Lösung für moderne Abwassersysteme nutzbar zu machen.
Mit dem Ziel, bei Starkregen ein besseres Volumenmanagement zu erzielen
und das Problem der Ablagerungsbeseitigung ohne Personaleinsatz zu lösen,
befasste sich Günter Kupczik bereits in den 80iger Jahren mit der
innovativen Drehbogenlösung. Vergleichsanalysen der TU Dresden zeigten,
dass der Drehbogen damals die einzige technische Lösung war, bei welchem
die mechanischen Bauteile nicht mit dem Abwasser in Berührung kamen, der
volle Durchflußquerschnitt stets erhalten blieb und eine sichere und
exakte Steuerung auch im angestauten Betriebszustand möglich war.
Alle anderen verfügbaren Lösungen waren entweder in ihrem
Volumenmanagement eingeschränkt, erreichten nur einen Bruchteil der
Reinigungsleistung oder mussten direkt in den Kanalquerschnitt installiert
werden. Bis heute stellt der Drehbogen zusammen mit dem sogenannten ASA-
Wehr nach wie vor eine der wenigen Möglichkeiten dar, ein intelligentes
Kanalmanagement ohne Einschränkung des Durchflußquerschnitts zu
realisieren. Und er bleibt weiterhin die einzige Technik mit der maximalen
Ausnutzung von Speicherpotenzial in einem Kanal.
Zusammen mit der HST Systemtechnik GmbH & Co. KG (HST Systemtechnik GmbH &
Co. KG | ... klar! • HST Systemtechnik ) analysiert die Forschungsgruppe
Wasserinfrastruktur und Digitalisierung unter der Leitung von Prof. Günter
Müller-Czygan in einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten
Vorhaben (Drehbogen 4.0 - inwa ) das vorhandene Konzept des Drehbogens und
wie man diese einzigartige Lösung mit Hilfe intelligenter digitaler
Elemente effektiv für ein klimaresilientes und damit zukunftsfähiges
Kanalnetzmanagement einsetzen kann.
Die Drehbogentechnik ist erst auf Umwegen entstanden. Ausgangspunkt war in
den frühen 80iger Jahren das Problem von Ablagerungen im Hamburger
Kanalsystem, wo Günter Kupczik als Lösungsentwickler viele Jahre
involviert war und hierzu die sog. „Sielwolfanlage“ entwickelte und viele
Jahre betrieb. Diese Spezialentwicklung zur Beseitigung von Ablagerungen
in Kanälen größerer Nennweite kann ohne Unterbrechung des Abflusses als
halbautomatisch arbeitendes Reinigungssystem die Ablagerungen von der
Kanalsohle aufnehmen. Hierzu wurde der Sielwolf (Siel ist in Hamburg die
Bezeichnung für Kanal) mit einer Winde durch das zu reinigende Kanalrohr
gezogen, wobei das Lösen der Ablagerungen durch Kernstrahldüsen, die einen
luftummantelten Wasserstrahl erzeugen, erfolgte. Durch den Lösevorgang
wurde eine Suspension hergestellt und anschließend mittels einer Pumpe in
Absetzcontainer gepumpt.
Bereits nach ca. 5 Jahren war das Ziel der Ablagerungsbeseitigung
erreicht, allerdings mit dem erheblichen Nachteil, dass die geborgenen
Ablagerungen Massen in der Größenordnung von jährlich 8000 m³ erreichten
und entsorgt/behandelt werden mussten. Auch hierzu entwickelte Günter
Kupczik die passende Lösung. Die Ergebnisse waren zwar zielführend, aber
der Aufwand und die Umwelt-/Gesundheitsbeeinträcht
Menschen waren nicht zu unterschätzen. So suchte Günter Kupczik nach einer
Lösung ohne Personaleinsatz und bei der die Ablagerungen im Kanal
verbleiben konnten und entwickelte aus den Erfahrungen mit dem Sielwolf
den Drehbogen, der dann 1994 erstmals in Dresden in Betrieb gehen konnte
(siehe Systembild Drehbogen).
Fast drei Jahrzehnte wurde das Potenzial des Drehbogens nicht genutzt, so
dass es beim einmaligen Einbau im Dresdner Kanalsystem blieb (Fotos mit
Technik). Mit der Zunahme der Möglichkeiten der Digitalisierung lassen
sich die Potenziale des Drehbogens heutzutage aber weitaus besser nutzen
als vor 30 Jahren. Hinzu kommt, dass mit der neuen EU-
Kommunalabwasserrichtlinie der Bedarf intelligenter
Kanalmanagementlösungen stark ansteigt, da Kommunen und Städte nun
aufgefordert sind, bei Regenereignissen den Austritt von ungereinigtem
Abwasser aus dem Kanal in die Gewässer auf ein festgelegtes Minimum zu
beschränken. Dazu müssen entweder teure Speicherbecken gebaut werden, oder
die bestehenden Kanalsysteme werden mit Technologien wie dem Drehbogen
wirtschaftlich nachgerüstet, um ein besseres Volumenmanagement zu
erreichen.
Dabei stützt sich das Prinzip auf zwei wesentlichen Funktionen. Zum einen
ist es die Bogenkonstruktion, die dem System seinen Namen gab. Zum anderen
ist es die spezielle Drehverbindung (der sog. Torsionskompensator), die
die Bogenkonstruktion mit dem Bauwerk verbindet und die Drehung
ermöglicht. Dadurch kann (Ab-)Wasser gezielt im Kanal aufgestaut und als
Welle wieder abgelassen werden, um mit der Wellenenergie Ablagerungen über
lange Kanalstrecken zu beseitigen und zur Reinigung direkt der Kläranlage
zuzuführen.
Neben der Untersuchung von Einsatzmöglichkeiten und Anwenderanforderungen
wird im Projekt „Drehbogen 4.0“geprüft, wie auf der Basis der bislang
einmalig realisierten Größenordnung von rd. 1200 mm Durchmesser eine
wirtschaftliche Größenskalierung gelingen kann. Dazu führt Imam Burhani
aus dem Team von Prof. Günter Müller-Czygan in seiner Promotion in
Kooperation mit Prof. André Niemann von der Universität Essen-Duisburg
verschiedene Simulationen und Berechnungen durch. Im Zuge eines
Arbeitstreffens am 27. Januar 2025 erläuterte Prof. Günter Müller-Czygan
dem Drehbogenerfinder den aktuellen Stand der Arbeiten (siehe Fotos von
beiden Herren). Günter Kupczik teilte seinerseits weitere wertvolle
Details zur Technik mit, um den weiteren Entwicklungsverlauf aktiv zu
unterstützen und seine jahrzehntelange Erfahrung im Bereich des
Maschinenbaus und Kanalsysteme mit in das Vorhaben einfließen zu lassen.
„Ich bin glücklich, dass wir zukünftig die Drehbogen-Technik gemeinsam zum
Erfolg bringen wollen“, so Günter Kupczik über sein Herzensprojekt im
Gespräch mit Prof. Günter Müller-Czygan.
Das Vorhaben „Drehbogen 4.0“ reiht sich ein in den Forschungsschwerpunkt
„Klimaresiliente Wasserinfrastrukturen“ der Forschungsgruppe
Wasserinfrastruktur und Digitalisierung. Hier befassen sich die
Forschenden mit verschiedenen Themen und Entwicklungen, um
wasserwirtschaftliche Infrastrukturen in Städten und Kommunen besser an
Wetterextreme wie Starkregen und Trockenperioden anzupassen, wie z.B. im
BMBF-Vorhaben „InSchuKa4.0 (InSchuKa4.0 - inwa) oder den Initiativen im
Kompetenz- und Transferzentrum nachhaltige Schwammstadt/-region (ktns)
(ktns - inwa) am Institut für nachhaltige Wassersysteme (inwa). „Im
Projekt „Drehbogen 4.0“ haben wir die Möglichkeit, eine außergewöhnliche
und für die damalige Zeit zukunftsweisende Technik zu analysieren. Es ist
uns Freude und Ehre zugleich, diese Technologie wiederzuentdecken, mit
modernen IT-Elementen zu verbinden und als Teil von klimaresilienten
Technologiesystemen zukunftsfit zu machen. Das wir dabei auf das Wissen
und die Erfahrung von Günter Kupczik persönlich zurückgreifen können, ist
für uns besonders wertvoll“, so Prof. Günter Müller-Czygan nach dem
Arbeitstreffen am 27. Januar 2025.