Hintergrundinformationen und aktuelle Einschätzungen zu Wildschweinen in Städten
Wildschweine sind intelligente und anpassungsfähige Tiere. Einige
Wildschweine haben sich flexibel an das Leben in oder nahe Städten
angepasst, nutzen das reiche Nahrungsangebot und tolerieren menschliche
Nähe.
Dies führt teilweise zu Konflikten im Verkehr, mit Spaziergängern
oder Gartenbesitzern. Aufgrund günstiger Witterungs- und
Vegetationsbedingungen werden im Spätwinter und Frühjahr 2025
überdurchschnittlich viele Wildschweine geboren, wodurch Begegnungen und
Konflikte – etwa in der grünen Metropole Berlin – wahrscheinlicher werden.
Forschende des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung
(Leibniz-IZW) geben wissenschaftsbasierte Hintergrundinformationen,
Einschätzungen der aktuellen Lage und Ratschläge zum Verhalten gegenüber
den Wildschweinen. Am Leibniz-IZW wurden und werden Forschungen zu
verschiedenen Fragestellungen in Bezug auf Wildschweine durchgeführt:
• Ökologie und Verhalten: Anpassungen an Stadtlebensräume
• Reproduktion und Bestandsmanagement
• Wildtierkrankheiten, räumliche Krankheitsdynamik,
Krankheitsfrühwarnsysteme und Tierseuchenerkennung/-bekämpfu
• Technische Spezialsysteme zur automatisierten Erkennung von
Wildschweinen zur Abgabe von Präparaten
Am Leibniz-IZW ist Dr. Konstantin Börner wissenschaftlicher Mitarbeiter in
der Abteilung für Ökologische Dynamik. Er führte und führt
Forschungsprojekte zu lokaler Fauna, unter anderem zu Wildschweinen, durch
und kann Hintergrundinformationen, Einschätzungen der aktuellen Lage und
Ratschläge zum Verhalten gegenüber den Wildschweinen geben. Dr. Börner ist
erreichbar unter
Auskünfte unter anderem zu folgenden Fragen geben:
> Gibt es tatsächlich Jahre, in denen Wildschweine mehr Nachwuchs
reproduzieren als in anderen Jahren? Und wenn ja, woran liegt das?
Ja, das ist tatsächlich so. Dabei existiert ein direkter Zusammenhang
zwischen energiereicher Nahrung und der Ovulationsrate, also der
Häufigkeit des Eisprungs. Durch die Versorgung des Körpers mit
energiereicher Kost (insbesondere stärke- und zuckerhaltigem Futter),
kommt es zu einem Anstieg des Insulinspiegels, wodurch sich die Zahl der
Eizellen erhöht, die aus dem Eierstock in den Eileiter ausgestoßen werden.
Das bedeutet, dass sich eine günstige Versorgung des Körpers direkt auf
die Zahl der Frischlinge auswirkt – die Reproduktion wird über das Futter
angekurbelt.
Faktoren wie Getreide- und Maisanbau haben also zweifellos einen Einfluss
auf die Populationsdichte von Wildschweinen. Mastjahre zeigen insgesamt
jedoch die deutlichste Wirkung. Eichenbestände (der Grunewald in Berlin
besteht beispielsweise zu etwa einem Viertel daraus) können in solchen
Jahren einige Tonnen Eicheln pro Hektar produzieren. Die Häufung von
Mastereignissen hängt in erster Linie mit Klima- und Wetterveränderungen,
sowie hohem Stickstoffeintrag zusammen. Wildschweine nutzen Mastjahre
reproduktiv ideal aus, dies ist das Ergebnis einer Jahrtausende währenden
Koevolution zwischen ihnen und den bei uns vorkommenden masttragenden
Bäumen.
> Stimmt die subjektive Wahrnehmung der Berliner*innen, dass es in diesem
Jahr mehr Wildschweine gibt als davor?
Ja, das ist tatsächlich so. Eine Wildschweinpopulation kann einer
erheblichen Dynamik unterworfen sein. Die Schwankungen in den jährlichen
Reproduktionsraten liegen zwischen 150-300 %. In diesem Zusammenhang
erlegen Jäger nach Mastjahren nicht selten doppelt so viele Wildschweine,
wie nach Jahren mit ausbleibender Mast. Tatsächlich ist die höhere Zahl an
Tieren dann auch für die Berliner Bevölkerung wahrnehmbar. Fest steht,
dass wir es in Berlin mit einer sehr vitalen städtischen Subpopulation zu
tun haben.
> Wildschweine scheinen sich ungehemmt in Gärten, Parks und Grünanlagen
auszubreiten – legen einige Wildschweine ihre Scheu vor menschlicher Nähe
ab oder sind sie grundsätzlich eher furchtlos in Bezug auf Menschen?
Raumnutzungsdaten zeigen zunächst grundsätzlich, dass Wildschweine
überwiegend dann aktiv sind, wenn der Mensch inaktiv ist. Dadurch kommt es
zu einer zeitlichen Aufteilung des gemeinsamen Lebensraums. Hinsichtlich
der Nutzung unmittelbar urbaner Bereiche lassen sich verschiedene
Verhaltensweisen beobachten: Ein Teil der Wildschweine meidet den
städtischen Raum vollständig, auch wenn dieser räumlich zur Verfügung
stünde. Diese Tiere bleiben schlicht in den Wäldern in Berlin oder dem
Umland. Daneben gibt es jedoch auch einen Typ Wildschwein, der vor allem
nachts in urbane Gebiete vordringt. Auf der Suche u.a. nach Insektenlarven
und Regenwürmern können sie dabei sichtbare Schäden an Grünflächen
verursachen. Diese Tiere haben gelernt, dass die Futtersuche in der Nähe
menschlicher Siedlungen weitgehend gefahrlos möglich ist. Dieses Wissen
wird durch die Bachen an ihre Frischlinge weitergegeben und somit
tradiert.
> Außer einem durchwühlten Garten – welche Gefahren gehen von
Wildschweinen in Bezug auf Krankheiten aus? Können sie Krankheiten
beispielsweise auf Haustiere übertragen?
Wildschweine sind generell sehr vital und robust. Krankheitserreger, die
auf Menschen übertragbar sind, spielen praktisch keine Rolle. Für Hunde
hingegen kann die Aujeszkysche Krankheit von Bedeutung sein, obwohl das
Ansteckungsrisiko sehr gering ist. Dennoch sollten Hunde keinen direkten
Kontakt mit Wildschweinen haben, auch nicht mit toten Tieren.
Anders verhält es sich mit der Afrikanischen Schweinepest, die für
Schweinehaltungen äußerst problematisch ist. Der Erreger tötet über 90
Prozent der infizierten Wildschweine. Dringt er in einen
Hausschweinbestand ein, muss dieser vollständig gekeult werden. Für
Menschen besteht jedoch keinerlei Infektionsgefahr. Auch die Maul- und
Klauenseuche ist für den Menschen ungefährlich, stellt jedoch ein
ernstzunehmendes Risiko für alle Paarhufer dar, einschließlich
Wildschweinen. Ein Ausbruch hätte gravierende Folgen für Tierbestände und
landwirtschaftliche Betriebe.
> Wie kann die Reproduktion von Wildschweinen gesteuert/eingedämmt werden,
geht das überhaupt?
Prinzipiell wird in Deutschland mit jagdlichen Eingriffen versucht die
Bestände zu reduzieren. Für einige Sonderbereiche, wo jagdliche Eingriffe
nicht oder nur schwierig realisierbar sind, wie beispielsweise im urbanen
Raum, ist auch denkbar die Fertilität der Wildschweine pharmakologisch zu
kontrollieren. Das ist bislang aber nur ein theoretischer Ansatz. Es wurde
noch nie tatsächlich umgesetzt.
> Wie effektiv ist Abschuss als Methode der Bestandsregulation?
Kompensieren die Tiere den Verlust und hilft Bejagung überhaupt?
In Offenlandschaften hilft die Bejagung, die Zahl der Wildschweine zu
reduzieren und Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen zu verhindern. Im
urbanen Raum gestaltet sich das jedoch deutlich schwieriger. Zwar können
die Tiere durch gezielte Jagdmaßnahmen von sensiblen Flächen ferngehalten
werden, eine dauerhafte Verdrängung aus städtischen Gebieten ist jedoch
nicht möglich. Wildschweine sind mittlerweile ein fester Bestandteil
urbaner Lebensräume und werden es auch bleiben. Wir werden lernen müssen,
sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte dieses Zusammenlebens
zu akzeptieren und damit umzugehen.
> Was können oder müssten Bürger*innen tun oder sich wie verhalten, um der
Ausbreitung von Wildschweinen in Bereiche entgegenzuwirken, in denen wir
sie nicht wollen?
Ein Bereich wird für Wildschweine uninteressant, wenn er keine
Nahrungsquellen bietet. Daher sollten Essensreste so entsorgt werden, dass
sie für die Tiere unerreichbar sind. Schwieriger wird es jedoch bei
unterirdischen Nahrungsquellen, wie beispielsweise Larven und
Regenwürmern, da diese naturgemäß schwer zu kontrollieren sind. Ein
stabiler, wildschweinsicherer Zaun ist zwar finanziell aufwendig, bietet
jedoch einen wirksamen Schutz. Die gezielte Manipulation oder Bekämpfung
von Bodenlebewesen, um Wildschweine fernzuhalten, ist hingegen umstritten
und sollte nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden.
> Wie verhalte ich mich korrekt, wenn eine Wildschweinrotte in meinem
Garten wühlt oder mir beim Gassi gehen/joggen begegnet?
Wildschweine sind nicht grundsätzlich gefährlich, aber durchaus wehrhaft.
Sollten Sie einem Wildschwein begegnen, bleiben Sie zunächst ruhig stehen
und nähern sich nicht weiter. Kritische Situationen entstehen vor allem,
wenn Frischlinge dabei sind, da die Bache ihre Jungtiere entschlossen
verteidigt, wenn sie sich bedroht fühlt. Bevor es zu einem tatsächlichen
Angriff kommt, führen Wildschweine meist Scheinangriffe durch.
Da Wildschweine keine ausgeprägte Mimik besitzen, sind ihre Absichten
schwer zu deuten. Besonders aufmerksam sollten Sie werden, wenn die Tiere
die Ohren hochstellen und den Schwanz aufrichten. Diese Signale sollten
Sie unbedingt als Warnung verstehen und sich langsam und ruhig
zurückziehen. Solche Situationen sind jedoch äußerst selten und treten
fast nur auf, wenn Wildschweine überrascht werden. In der Regel haben sie
Menschen längst bemerkt und ziehen sich von selbst zurück. Besondere
Vorsicht ist geboten, wenn Sie mit einem Hund unterwegs sind. In der
Vergangenheit kam es vor allem bei Begegnungen mit freilaufenden Hunden zu
Angriffen. Lassen Sie Ihren Hund in Gebieten, in denen Wildschweine leben,
daher stets angeleint.
Grundsätzlich haben Wildschweine mehr Angst vor Menschen als umgekehrt.
Sollten Sie ihnen dennoch unerwartet nahekommen, machen Sie durch ruhige
Geräusche auf sich aufmerksam – das Tier wird in der Regel den Rückzug
antreten. Beobachten Sie Wildschweine am besten aus sicherer Distanz und
genießen Sie das beeindruckende Naturerlebnis.