Polarstern-Neubau: Auftrag für deutschen Forschungseisbrecher vergeben

Gute Nachricht für die deutsche Forschungsflotte, den deutschen Schiffbau
und die internationale Polarforschung: Die neue Polarstern wird in Wismar
von thyssenkrupp Marine Systems gebaut.
Die Werft hat heute vom Alfred-
Wegener-Institut (AWI) den Zuschlag zum Bau des neuen
Forschungseisbrechers erhalten. Ein knapp zweieinhalbjähriges europaweites
Vergabeverfahren kommt damit zum Abschluss. Das neue Flaggschiff für die
deutsche Klimaforschung soll 1,185 Mrd. Euro kosten. Nach fünfjähriger
Bauzeit soll die neue Polarstern im Jahr 2030 an die Forschung übergeben
werden.
Dazu erklärt Bundesforschungsminister Cem Özdemir:
„Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat gestern den Weg frei gemacht
für den Bau eines der modernsten Forschungsschiffe weltweit. Ich freue
mich sehr, dass die Polarstern II voraussichtlich Ende der Dekade in den
Dienst der Polar- und Meeresforschung gestellt werden kann. Schon ihre
Vorgängerin, die Polarstern I, hat uns essentielle Erkenntnisse in der
Erforschung der Folgen des Klimawandels für das Polarmeer und unseren
Planeten geliefert. Auf diese Forschungsergebnisse können wir nicht
verzichten, wenn wir den Klimawandel verstehen und seine Folgen
antizipieren wollen. Dafür brauchen wir die Polarstern II.“
Um die Polar- und Meeresforschung auch in Zukunft auf höchstem
wissenschaftlichem und technischem Niveau zu ermöglichen, hatte das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das AWI im Jahr 2022 in
die Lage versetzt, den Bau eines modernen, leistungsfähigen und
nachhaltigen Nachfolgeschiffs auszuschreiben und zu koordinieren. Das etwa
20-köpfige Projektteam des AWI unter der Leitung von Detlef Wilde arbeitet
seit dem am Standort Bremerhaven an der Umsetzung.
Dazu Kathrin Moosdorf, Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft: „Dass
das AWI ein neues Forschungsschiff erhalten wird, ist eine sehr gute
Nachricht für unseren Wissenschaftsstandort. Klima- und Naturschutz auf
Basis des besten wissenschaftlichen Wissens zu unterstützen ist mir ein
besonderes Anliegen. Mit der neuen Polarstern wird diese Forschung
weiterhin auf höchstem internationalen Niveau wirken können, und
Bremerhaven und Bremen werden vor Ort von der Anziehungskraft eines
solchen modernen Forschungseisbrechers profitieren.“
„Wir freuen uns riesig, dass der Bau nun beginnen kann“, sagt Prof. Dr.
Antje Boetius, die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-
Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Wir mussten lange auf
diesen Moment warten. So lieb wir die alte Polarstern haben, die
Wissenschaft braucht dringend ein neues Forschungsschiff, das moderne
Technologien einsetzen kann. Mit der technischen Ausstattung an Bord,
beispielsweise der Unterwasserrobotik, den unbemannten Flugkörpern und
neuer Bohrtechnologie werden wir auch neue und dringende Fragestellungen
besser angehen können. Vor allem freut es mich, dass Deutschland so die
neue UN-Dekade für die Wissenschaft der Kryosphäre und das Internationale
Polare Jahr ausgezeichnet unterstützen kann.“
Mit einer Länge von ca. 160 Metern, einer Breite von 27 Metern und einer
Höhe von 14 Metern wird die neue Polarstern pro Fahrt 60 bis 90
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt sowie 50
Crewmitgliedern die Möglichkeit geben, insbesondere aus den Polarregionen
entscheidende Erkenntnisse zu den Wirkungen des Klimawandels, zu
Funktionen der polaren Lebensgemeinschaften sowie zum Umweltschutz zu
gewinnen. Für die interdisziplinäre Erdsystemforschung sind Labore und
Werkzeuge für die verschiedensten Fachgemeinschaften eingeplant: von der
Geologie und Geophysik über die Biologie und Ozeanographie bis hin zur
Meereis- und Atmosphärenforschung. Die neue Polarstern wird an mehr als
300 Tagen pro Jahr auf See unter sich verändernden Eis- und
Witterungsbedingungen einsetzbar sein.
„Die Vergabe des Neubaus der ‚Polarstern II‘ an unseren Standort in Wismar
freut uns sehr“, sagt Oliver Burkhard, CEO von thyssenkrupp Marine
Systems. „Die Entscheidung ist ein Vertrauensbeweis in thyssenkrupp Marine
Systems, seine Fähigkeiten auch im zivilen Bereich zu demonstrieren. Zudem
zeigt der heutige Beschluss, dass wir technologische Spitzenleistungen zu
international wettbewerbsfähigen Konditionen anbieten können. Auch im
Schiffbau mit neuen nachhaltigen Antriebstechnologien voranzukommen, ist
eine große Aufgabe, der wir uns gerne widmen werden. Für unsere Werft in
Wismar ist die heutige Entscheidung ein wichtiges Zukunftssignal:
Perspektivisch könnten wir bei einer vollen Auslastung im Unter- und
Überwasserbereich ca. 1.500 Arbeitsplätze schaffen.“
Das Forschungsschiff wird unter anderem eine höhere Eisbrechleistung
besitzen als seine Vorgängerin, die sogenannte Polarklasse 2. Damit kann
es auch in Gebiete vordringen, in denen das Eis für die heutige Polarstern
zu dick ist, etwa das südliche Weddellmeer in der Antarktis. Als
multidisziplinäre Forschungsplattform wird die neue Polarstern modernstes
Großgerät an Bord haben, beispielsweise Helikopter und Drohnen, sowie
Roboter für tiefe Tauchgänge unter das dicke Eis der Antarktis oder auch
für tiefe Sedimentbohrungen. Polarstern wird dafür über einen sogenannten
„Moonpool“ verfügen. Das ist eine geschützte Rumpföffnung im Schiff, damit
komplexe Tauchroboter auch unter dem Eis zum Einsatz kommen. Die
robotischen Systeme können in bis zu 6000 Metern Tiefe eingesetzt werden.
Zudem wird die neue Polarstern, die weiterhin unter der Bundesdienstflagge
fährt, auch die Versorgung der Neumayer-Station III in der Antarktis
fortführen. Die Station dient als Basis für die deutsche landbasierte
Antarktis-Forschung. Das neue Forschungsschiff soll eine Lebensdauer von
mindestens 30 Jahren haben und auch im Eis überwintern können. „Die neue
Polarstern wird eines der ambitioniertesten Infrastrukturprojekte in der
Geschichte der Helmholtz-Gemeinschaft. Mit diesem Schiff setzen wir völlig
neue Maßstäbe in der Erforschung des Erdsystems und tragen dazu bei, dass
das Alfred-Wegener-Institut ein weltweiter Top-Standort für die
internationale Polar- und Meeresforschung bleibt“, sagt Prof. Dr. Otmar
Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. „Das Projekt ist außerdem
gerade in diesen Zeiten eine wichtige wirtschaftsfördernde Maßnahme und
zeigt, wie Wissenschaft zum Impulsgeber für nachhaltige
Zukunftstechnologien werden kann.“
Die Bereederung für die ersten zehn Betriebsjahre erfolgt – wie schon bei
der jetzigen Polarstern – durch die Reederei F. Laeisz. Mit ihrer
200-jährigen Erfahrung in der Schifffahrt und 30-jährigen Aktivitäten in
den Polarmeeren ist die Reederei bestens für die anstehende Bauaufsicht
und spätere Bereederung des Schiffes vorbereitet. „Die Seemannschaft und
Kompetenz unserer Crew für den Einsatz in Polarregionen ist ausgezeichnet,
wir freuen uns auf die Arbeit mit einem High-Tech-Schiff. Es bedeutet, bei
absoluter Spitzenforschung dabei sein zu dürfen – wer würde sich darüber
nicht sehr freuen?“, sagt Niko Schües, Inhaber und CEO der Reederei.
Als einer der umweltfreundlichsten Eisbrecher der Welt wird die neue
Polarstern eine Botschafterin für innovative technische Lösungen und
Materialien im Bereich der Nachhaltigkeit sein, etwa durch ihren neuen
Antrieb, der auch mit grünem Methanol möglich ist. Schadstoffe im Abgas
werden bis an die Grenze des heute Machbaren reduziert. So wird die neue
Polarstern mit modernsten Rußpartikelfiltern, Katalysatoren und einer
Harnstoff-Einspritzung zur Reduzierung des Stickoxid-Ausstoßes
ausgestattet.
In das Anforderungsprofil sind die Erfahrungen aus über 40 Jahren
Polarstern-Betrieb eingeflossen. Die aktuelle Polarstern wurde am 9.
Dezember 1982 in Betrieb genommen, fährt nun also seit 42 Jahren als
einziger deutscher Forschungseisbrecher in die Arktis und die Antarktis
und hat derzeit noch einen so genannten Schiffs-TÜV (Schiffs-
Klassifikation) bis 2027. Um die Polar- und Meeresforschung in der
Übergangszeit bis zur Inbetriebnahme der neuen Polarstern zu ermöglichen,
soll die Klassifikation entsprechend verlängert werden. Seit ihrer
Indienststellung hat das Forschungsflaggschiff der Bundesrepublik
Deutschland rund 1,9 Millionen Seemeilen zurückgelegt.
Mit einem Beschluss des Bundeshaushalts 2022 durch den Deutschen Bundestag
konnte das Vergabeverfahren am 3. Juni 2022 mit einer europaweiten
Ausschreibung starten. Das AWI-Projektteam unter Leitung von Detlef Wilde
wird nun auch die weitere Bauaufsicht des neuen Forschungs- und
Versorgungsschiffes bis zur Abnahme übernehmen. Nach der Abnahme geht die
neue Polarstern in den Besitz des AWI über.