Mikrobe des Jahres 2025: „Keulenbakterium“ Corynebacterium glutamicum - Weltmarktführer im Tonnenmaßstab

Corynebacterium glutamicum – ein „Keulenbakterium“ – ist die Mikrobe des
Jahres 2025. Dieses Bakterium produziert Aminosäuren, die einen Güterzug
quer durch Deutschland füllen würden.
Corynebacterium glutamicum gilt als
hidden champion unter den Bakterien, als unbekannter Weltmarktführer:
Allein 3,5 Millionen Tonnen des Geschmackstoffs Natriumglutamat jährlich
liefert das Bakterium, zudem viele weitere Aminosäuren und Proteine für
die Lebensmittel- und Futterproduktion. Die Vereinigung für Allgemeine und
Angewandte Mikrobiologie (VAAM) ernennt mit Corynebacterium glutamicum
eine Mikrobe des Jahres von hoher industrieller Bedeutung.
Ein herzhafter Geschmack, „umami“ genannt, war der Auslöser für die
Isolierung von Corynebacterium glutamicum: 1956 suchten zwei japanische
Forscher gezielt Bakterien, die einen derartigen Geschmack produzieren.
Ähnlich wie bei den Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig und bitter
gibt es für umami spezielle Sinneszellen auf der Zunge. Natriumglutamat
löst diesen herzhaften Geschmack aus und ist natürlicherweise etwa in
reifen Tomaten, Parmesan und Schinken enthalten. Es wird als Würzmittel
eingesetzt – vor allem in der asiatischen Küche und in Fertigprodukten.
Nachdem Corynebacterium glutamicum als natürlicher Glutamat-Ausscheider
identifiziert war, begann die industrielle Herstellung von Natriumglutamat
aus Mikroorganismen. Heute produzieren die Bakterien weltweit über 3,5
Millionen Tonnen jährlich - das entspricht einem Güterzug mit 50.000
Waggons und einer Länge von über 850 Kilometern.
Seit etwa 40 Jahren erforschen wissenschaftliche Institute und Unternehmen
in Deutschland diese faszinierende Mikrobe des Jahres. Sie nutzen gezielt
gentechnische Methoden und neue Ansätze der synthetischen Biologie, um
neben Aminosäuren eine breite Palette weiterer Produkte mit dieser Mikrobe
herzustellen. Dazu gehören gesundheitsfördernde Naturstoffe,
Antioxidantien und antimikrobielle Peptide.
Um nicht wertvolle Nahrungsmittel als Grundlage für die
Aminosäureherstellung zu „missbrauchen“, veränderten Forschende
Corynebacterium glutamicum so, dass es alternativ Reste aus der
Biodieselproduktion oder Pflanzenabfälle verwerten kann, beispielsweise
Orangenschalen. Dies mindert unsere fossile Abhängigkeit und erlaubt einen
bioökonomischen Kreislauf aus nachwachsenden Rohstoffen. Die intensive
Forschung an den Corynebakterien liefert die Grundlage für weitere
spannende Anwendungen.
Die länglichen Corynebakterien verdanken ihren Namen ihrer Keulen-Form –
griechisch coryne. Ursache ist ein ungleichmäßiges Wachstum der Zellwände
an beiden Zellenden: Während des Wachstums wird neues Zellwandmaterial
zunächst bevorzugt an einem Ende der Zelle eingebaut. Zudem schützt eine
mehrschichtige, sehr stabile und wasserabweisende Zellhülle die Bakterien
vor schädlichen Stoffen. Die besondere Zellhülle führt auch zu einer
ungewöhnlichen Teilung: Die Tochterzellen schnappen einseitig auf, sodass
eine charakteristische V-Form entsteht.
Das natürlicherweise im Boden lebende Corynebacterium glutamicum ist nicht
nur robust und produktiv, sondern für Menschen zudem völlig harmlos. Auch
viele andere Corynebakterien-Arten, die etwa auf unserer Haut leben, sind
ungefährlich, wenn nicht sogar für unser Mikrobiom nützlich. Ganz anders
einige Verwandte: Corynebacterium diphtheriae, der „Würgeengel der
Kinder“, tötete bis Ende des 19. Jahrhunderts jährlich etwa 50 000 Kinder
deutschlandweit. Auch andere in Tieren verbreitete Corynebacterium-Arten
besitzen Toxine – mit dem Risiko, dass daraus auch für den Menschen
gefährliche Krankheiten entstehen. Corynebakterien sind zudem verwandt mit
Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der Lungentuberkulose, an der
jährlich 1,5 Millionen Menschen weltweit sterben. Die Ähnlichkeiten
beispielsweise im Zellwandaufbau können genutzt werden, um mit Hilfe der
Mikrobe des Jahres Angriffspunkte für neue Medikamente zu identifizieren.
So deckt Corynebacterium glutamicum die gesamte Bandbreite vom winzigen
Forschungsobjekt bis zum Industrieproduzenten im Tonnenmaßstab ab.
Anja Störiko (VAAM)
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Die Mikrobe des Jahres weist auf die bedeutsame Rolle der Mikroorganismen
für die Ökologie, Gesundheit, Ernährung und Wirtschaft hin. Die
Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) wählt sie
aus, um auf die Vielfalt der mikrobiologischen Welt aufmerksam zu machen.
Alle Informationen sind auch auf Englisch verfügbar
https://microbeoftheyear.org/.
Die VAAM ist Gründungsmitglied im VBIO und vertritt etwa 3400
mikrobiologisch orientierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus
Forschung und Industrie. Die Bandbreite der Forschung reicht von
Bakterien, Archaeen und Pilzen in allen Ökosystemen und in Lebensmitteln
über Krankheitserreger bis hin zu Genomanalysen und industrieller Nutzung
von Mikroorganismen, ihren Enzymen und Stoffwechselprodukten.
Informationen, Experten-Kontakte, Bildmaterial:
Dr. Anja Störiko |Tel. +49 6192 23605 | <
http://mikrobe-des-jahres.de/ | http://microbeoftheyear.org/
Dr. Katrin Muth | Geschäftsstelle der VAAM | Mörfelder Landstraße 125 |
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