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Eine Geschichte der Leerstellen

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„Nichts“, antwortet Historiker Achim Landwehr gerne auf die Frage, woran
er gerade arbeitet. Augenzwinkernd, aber durchaus der Wahrheit
entsprechend: Der Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der
Universität Konstanz beschäftigt sich nämlich mit geschichtlichen Lücken
und Leerstellen.

Rufen wir die letzten 24 Stunden ab, wie gut gelingt uns das – und wo
bleiben Lücken in der Erinnerung? Wie viel schwieriger wird die Sache,
wenn es um die letzten 10, 100, 500 Jahre geht? Bei Zeiten, die uns nicht
mehr unmittelbar zur Verfügung stehen, sind Leerstellen laut
Frühneuzeithistoriker Achim Landwehr der Normalfall. Vergessen, Verlust,
Überlieferungslücken unvermeidbar. „Was uns übrig bleibt, ist nicht etwa
die Spitze des Eisbergs, sondern eher eine kleine Schneekuppe auf der
Spitze des Eisbergs“, so stellt Landwehr es dar.

Wie kommt ein Geschichtswissenschaftler dazu, sich ausgerechnet mit
Leerstellen zu beschäftigen? Kalender aus dem 17. Jahrhundert weckten die
Neugier von Landwehr. Als billige Massenmedien wurden sie damals
millionenfach verkauft. Jeder Haushalt hatte so einen Kalender, der jedoch
ganz anders aussah als heute: Vollgestopft mit Informationen sagten
Kalender für ein Jahr voraus, was passieren würde – bezüglich Wetter oder
Planetenkonstellationen beispielsweise – und gaben Tipps, wann man Haare
schneiden oder die Ernte einfahren sollte. Überrascht stellt der
Historiker fest: In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts leeren sich
diese Kalender, außer dem Datum enthalten sie zuletzt nichts mehr.
Weshalb?

„Mein Verdacht war“, führt der Wissenschaftler aus, „dass hinter dieser
banalen medialen Entwicklung mehr steckt. Dass sich darin eine andere
Einstellung zur Zeit zeigt, ein anderer Umgang mit Zeit und, wenn man so
will, ein anderer Umgang mit Welt. Wenn nicht mehr die Vorstellung
herrscht, dass alles schon im göttlichen Schöpfungsplan steht, ist Zeit
auf einmal nicht mehr vorherbestimmbar. Damit kann sie aber zu einer
bewirtschaftbaren Größe werden. Diese leeren Kalender fordern dazu auf:
Befülle mich.“

Weshalb fallen in dieselbe Zeit naturwissenschaftliche Experimente zum
Vakuum? Was ist die größte Leerstelle des 17. Jahrhunderts? Und wie gingen
Menschen in der Vergangenheit mit Leerstellen um? Unser Hintergrundbeitrag
„Nichts als Leere“ gibt Einblick in das ungewöhnliche Forschungsgebiet des
Frühneuzeithistorikers Achim Landwehr.

Landwehr sagt: „Wir Menschen arbeiten also permanent mit Leerstellen, sind
ständig dabei, diese Kalenderseiten wieder zu füllen. Dabei wissen wir
aber, dass einige dieser Seiten permanent leer bleiben werden. Vergangenes
lässt sich nicht eins zu eins rekonstruieren. Und bei allen modernen
Prognosemöglichkeiten sind uns deren Grenzen bewusst.“

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