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„Sich das Gehirn wegsaufen“ – leider mehr als nur ein Spruch

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Alkohol ist gesellschaftlich akzeptiert, auch wenn der Mythos vom
„gesunden Gläschen Wein“ nicht mehr länger zu halten ist. Gerade die
Auswirkungen einer Alkoholsucht auf das Gehirn sind katastrophal, Menschen
mit „Trinkerkarrieren“ erreichen bereits in mittleren Lebensjahren
demenzähnliche Zustände mit z. T. komplettem Verlust der Selbstautonomie.
Denn Alkohol schädigt Nervenzellen über verschiedene Mechanismen. Diese
Gefahr des Alkoholkonsums wird nur selten thematisiert, da Betroffene
nicht an den neurologischen Folgen, sondern an Leberversagen oder Krebs
sterben. Das Thema „Gehirn und Alkohol“ ist auch ein Thema einer
Veranstaltung der Deutschen Hirnstiftung auf dem DGN-Kongress.

Alkoholkonsum – zu hoch und immer noch gesellschaftlich akzeptiert
Laut Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit [1] konsumieren 7,9
Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland
Alkohol sogar in gesundheitlich riskanter Menge . Der Gesamtkonsum an
reinem Alkohol (Liter pro Kopf) ist in den Jahren zwischen 2010 und 2020
zwar zurückgegangen (von 11,6 auf 10,6 l), doch im „DHS Jahrbuch Sucht
2024“ [2] ist nachzulesen: „Der Gesamtverbrauch an alkoholischen Getränken
stieg im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr (2021: 118,5 l) um 1,4 % (1,6
Liter) auf 120,1 Liter Fertigprodukt pro Kopf der Bevölkerung.“ Auch wenn
der Trend offensichtlich zu weniger hochprozentigen alkoholischen
Getränken geht, ist der Konsum zu hoch, regelmäßig und offensichtlich
unbedacht.

Gut für die Gesundheit? Ein Mythos …
Woher kommt diese unkritische Einstellung? Es gab eine Reihe
epidemiologischer Studien, die eine sogenannte J-Kurve zeigten; d. h.
Menschen, die „null Alkohol“ konsumierten, hatten eine höhere
Sterblichkeit als die, die einen moderaten Alkoholkonsum angaben. Bei
höheren Alkoholmengen stieg das Sterberisiko dann deutlich an. Dann kam
aber heraus, dass unter den Personen, die einen „Null-Alkohol-Konsum“
angegeben hatten, viele abstinente Ex-Alkoholkranke waren, sodass die
„J-Kurve“ das Produkt einer methodischen Verfälschung war. Eliminierte man
diesen Fehler, stieg die Risikokurve auch bei kleinen Alkoholmengen schon
an. Damit ist der Mythos, ein „bisschen“ Alkohol sei besser als Abstinenz,
definitiv vom Tisch.

Alkohol schädigt Nerven und Gehirn – die zugrunde liegenden Mechanismen
Bekannt ist, dass Alkohol süchtig machen kann, die Leber schädigt und auch
das Krebsrisiko erhöht. Aber kaum jemand spricht von den Folgen von
Alkohol auf die Nerven und das Gehirn. Wie sehr Alkohol die Nerven
schädigt, wird klar, wenn man betrunken ist: Man reagiert verlangsamt, hat
eine gestörte Koordination und später dann Erinnerungslücken. Dies gibt
bereits einen Vorgeschmack auf die potenziellen Langzeitschäden von
Alkohol für das Nervensystem. Die neurotoxische Wirkung von Alkohol wird
über verschiedene Wirkweisen vermittelt [3]:

- Thiaminmangel
Thiamin, auch bekannt als Vitamin B1, ist entscheidend für gesunde Nerven,
denn es wird zur Bildung von Nukleinsäuren und Neurotransmittern benötigt.
Der Körper ist nicht in der Lage, Thiamin selbst zu produzieren, es muss
mit der Nahrung aufgenommen werden. Alkoholabhängige Menschen sind oft
mangelernährt und nehmen per se zu wenig Thiamin auf [4]. Es gab sogar
schon Versuche, Thiamin dem Bier beizusetzen. Doch der Effekt ist gering,
denn Alkohol unterbindet die Thiaminaufnahme und -verwertung im Körper. So
gelingt die Aufnahme dieses B-Vitamins aus dem Darm nicht mehr, weil dafür
sowohl Energie als auch ein normaler pH-Wert benötigt wird [5, 6],
Letzterer ist bei Alkoholismus reduziert. Darüber hinaus behindert Alkohol
die Fähigkeit der Zellen, Thiamin zu verwerten. Die sogenannte
Thiaminpyrophosphokinase wird durch Alkohol gehemmt [7].

- Bildung von Acetaldehyd, einem Nervengift
Alkohol wird im Körper zu Acetaldehyd verstoffwechselt. Dieses
Abbauprodukt von Ethanol führt dosisabhängig zum Absterben von
Nervenzellen (neuronaler Zelltod). Chronischer Alkoholkonsum führt daher
zu neuronaler Degeneration [8].

- Neuroinflammation
Alkohol führt zur Entzündung von Nervengewebe. Er erhöht die Zahl
entzündungsfördernder Zytokine, die die Blut-Hirn-Schranke (BHS)
überwinden und Entzündungen im Gehirn verursachen können [9]. Auch
begünstigt er die Inflammation durch Verschiebung der
Neurotransmitterspiegel. So ist beispielsweise bekannt, dass Alkohol den
Glutamatspiegel über die Hemmung des N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptors
erhöht [9]. Hohe Konzentrationen von Glutamat im Gehirn können
neurotoxisch wirken und neuronale Schäden verursachen. Alkohol kann auch
über die Aktivierung von Neuroimmunzellen (Mikroglia und Astrozyten)
direkt eine neuronale Entzündung auslösen, die einen weiteren
neurotoxischen Faktor darstellt [10].

- Lebervermittelte Schädigung der Gehirnzellen
Wenn es durch Alkoholmissbrauch zu einer Leberschädigung kommt, führen die
dann anfallenden neurotoxischen Substanzen wiederum zu einer
Gehirnschädigung („hepatische Enzephalopathie“). Damit ist das Gehirn auch
indirekt ein Opfer der organbedingten Alkoholschäden [11, 12].

Alkoholassoziierte Erkrankungen von Gehirn und Nerven
Häufig unterschätzt, weil im Krankheitsbild zunächst wenig „imposant“, ist
die Polyneuropathie. Sie entsteht durch Schädigung der peripheren Nerven
durch den Alkohol. Sie kann auch andere Gründe haben (z. B. Diabetes), bei
etwa jedem fünften Betroffenen ist sie allerdings alkoholbedingt.
Anfänglich äußert sie sich durch ein unangenehmes Kribbeln in den Beinen,
im Vollbild bringt sie Dauerschmerzen mit sich und beeinträchtigt die
Lebensqualität enorm. Viele Menschen mit Alkoholproblemen sind früher oder
später betroffen (Schätzungen zufolge zwischen 22 und 66 %).

Die neurologischen Folgekrankheiten und Syndrome eines erhöhten
Alkoholkonsums, die durch Schädigungen der Nervenzellen des zentralen
Nervensystems entstehen, ähneln den typischen Symptomen der Betrunkenheit,
sind allerdings dann chronisch. Beim Korsakow-Syndrom oder dem extrem
seltenen Marchiafava-Bignami-Syndrom beispielsweise nehmen die kognitiven
Fähigkeiten ab, es kommt zu Sprachstörungen, unkontrollierten Bewegungen –
und im Endstadium zu einer Demenz (siehe Beschreibung der Krankheitsbilder
im Anhang).

„Alles in allem kann man sagen, dass die neurologischen Langzeitfolgen des
Alkoholkonsums enorm sind. Sie treten oft nicht in Erscheinung, weil sie
natürlich zusammen mit anderen alkoholinduzierten Krankheiten auftreten,
die meistens als Todesursache im Vordergrund stehen. Verstirbt ein
Alkoholiker an einer Leberzirrhose, bleibt in den Köpfen hängen, dass
Alkohol die Leber schädigt, selbst wenn der Betroffene über viele Jahre
zuvor an einer Alkoholdemenz litt“, erklärt Prof. Frank Erbguth, Präsident
der Deutschen Hirnstiftung. „Unser Anliegen ist es deshalb, die Gefahren
des Alkohols auf Nerven und Gehirn bekannter zu machen – denn, um es
einmal plakativ auf den Punkt zu bringen: Ja, man kann sich tatsächlich
sein Gehirn wegsaufen.“

Veranstaltung der Deutschen Hirnstiftung auf dem DGN-Kongress:
Flyin’ high – Drogen und Gehirn
Donnerstag, 7. November 2024, 16:30–18:00 Uhr

[1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-
von-a-z/a/alkohol

[2] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. Das DHS Jahrbuch Sucht 2024.
Abrufbar unter: https://www.dhs.de/service/presse/pressemeldungen/meldung
/dhs-jahrbuch-sucht-2024-ist-ab-sofort-online-verfuegbar

[3] Nutt D, Hayes A, Fonville L, Zafar R, Palmer EOC, Paterson L,
Lingford-Hughes A. Alcohol and the Brain. Nutrients. 2021 Nov
4;13(11):3938. doi: 10.3390/nu13113938. PMID: 34836193; PMCID: PMC8625009.
[4] Thomson AD, Baker H, Leevy CM. Patterns of 35S-thiamine hydrochloride
absorption in the malnourished alcoholic patient. J Lab Clin Med. 1970
Jul;76(1):34-45. PMID: 4912963.
[5] Reidling JC, Said HM. Adaptive regulation of intestinal thiamin
uptake: molecular mechanism using wild-type and transgenic mice carrying
hTHTR-1 and -2 promoters. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol. 2005
Jun;288(6):G1127-34. doi: 10.1152/ajpgi.00539.2004. Epub 2005 Feb 10.
PMID: 15705657.
[6] Thomson AD, Marshall EJ. The natural history and pathophysiology of
Wernicke's Encephalopathy and Korsakoff's Psychosis. Alcohol Alcohol. 2006
Mar-Apr;41(2):151-8. doi: 10.1093/alcalc/agh249. Epub 2005 Dec 29. PMID:
16384871.
[7] Takeuchi M, Saito T. Cytotoxicity of acetaldehyde-derived advanced
glycation end-products (AA-AGE) in alcoholic-induced neuronal
degeneration. Alcohol Clin Exp Res. 2005 Dec;29(12 Suppl):220S-4S. doi:
10.1097/01.alc.0000190657.97988.c7. PMID: 16385226.
[8] He J, Crews FT. Increased MCP-1 and microglia in various regions of
the human alcoholic brain. Exp Neurol. 2008 Apr;210(2):349-58. doi:
10.1016/j.expneurol.2007.11.017. Epub 2007 Dec 3. PMID: 18190912; PMCID:
PMC2346541.
[9] Lovinger DM, White G, Weight FF. Ethanol inhibits NMDA-activated ion
current in hippocampal neurons. Science. 1989 Mar 31;243(4899):1721-4.
doi: 10.1126/science.2467382. PMID: 2467382.
[10] Crews FT, Sarkar DK, Qin L, Zou J, Boyadjieva N, Vetreno RP.
Neuroimmune Function and the Consequences of Alcohol Exposure. Alcohol
Res. 2015;37(2):331-41, 344-51. PMID: 26695754; PMCID: PMC4590627.
[11] Davis BC, Bajaj JS. Effects of Alcohol on the Brain in Cirrhosis:
Beyond Hepatic Encephalopathy. Alcohol Clin Exp Res. 2018
Apr;42(4):660-667. doi: 10.1111/acer.13605. Epub 2018 Feb 27. PMID:
29417604.
[12] Erbguth F, Lange R. Alkoholenzephalopathie. In: Diener HC, Steinmetz
H, Kastrup O. Referenz Neurologie. S. 1077-1081. Georg Thieme Verlag
Stuttgart.

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