Kämpferin für die Rechte Behinderter: EvH Bochum verabschiedet Prof. Dr. Theresia Degener in den Ruhestand
Sie ist eine Aktivistin der ersten Stunde, eine Rebellin und Vorreiterin:
Prof. Dr. Theresia Degener setzt sich seit mehr als 40 Jahren für die
Rechte und die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung ein. Die
Juristin war maßgeblich an der Entstehung der UN-
Behindertenrechtskonvention beteiligt und gründete das Bochumer Zentrum
für Disability Studies (BODYS), das unter ihrer Führung zu einer wichtigen
Institution in der Forschung und Lehre im Bereich der Behindertenrechte
wurde. Nun geht Prof. Degener nach 26 Jahren an der Evangelischen
Hochschule Bochum (EvH Bochum) in den Ruhestand.
„Als eine herausragende Persönlichkeit in den Bereichen Recht und
Disability Studies, hat Theresia Degener nicht nur die akademische
Landschaft in Deutschland geprägt, sondern auch auf internationaler Ebene
bedeutende Impulse gesetzt“, sagte EvH-Rektorin Prof. Dr. Dr. Sigrid
Graumann in ihrer Festrede. „Sie ist eine beeindruckende Persönlichkeit,
die es stets verstanden hat, die wissenschaftliche Perspektive mit ihrem
Engagement in der Behindertenrechtsbewegung zu verbinden. Den Studierenden
hat sie die Möglichkeit gegeben, sich direkt an den Prozessen zu
beteiligen. Davon haben alle enorm profitiert.“
Theresia Degener forschte zu internationalen Menschenrechten, Gender und
Disability Studies, sowie Anti-Diskriminierungsrecht. In ihrer
Abschiedsvorlesung reflektierte sie, wie sich Behindertenforschung in
Deutschland verändert hat und mit welchen Hürden behinderte Forschende in
der akademischen Welt konfrontiert werden. Mit Blick auf die EvH Bochum
sagte sie anerkennend: „Was mich besonders erfreut, ist die zunehmende
Barrierefreiheit. Während ich für meine Antrittsvorlesung die
Gebärdensprachdolmetschung noch selbst organisieren musste, übernimmt das
heute die Hochschule aus einem Topf, der eigens dafür eingerichtet wurde.
Auch baulich hat sich einiges getan.“
In ihrer letzten Vorlesung betonte Degener die besondere Bedeutung der UN-
Behindertenrechtskonvention (UN BRK), an der sie maßgeblich mitgewirkt hat
– zunächst als Co-Autorin der Hintergrundstudie, dann als unabhängige
Sachverständige und Vertreterin Deutschlands bei der Ausarbeitung des
internationalen Übereinkommens. Von 2011-2018 hat sie sich als Mitglied
und später Vorsitzende im Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte
von Menschen mit Behinderungen für die Rechte von Menschen mit
Behinderungen stark gemacht. Die UN BRK bietet eine gesetzliche Grundlage,
um die Rechte behinderter Menschen in den verschiedenen Ländern
umzusetzen.
Eines der grundlegenden Prinzipien dabei sei das Motto „Nichts ohne uns
über uns“ sowohl in kollektiver als auch individueller Hinsicht, so
Theresia Degener. Das erfordere auch ein Umdenken in der Forschung, „denn
menschenrechtsbasierte Forschung stellt die herkömmlichen
Machtverhältnisse zwischen Forschenden und Beforschten in Frage.“
Diesen Gedanken griff auch Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung
für die Belange von Menschen mit Behinderungen, in seinem Grußwort auf:
„Theresia Degener hat uns verständlich gemacht, dass die Umsetzung der
Rechte behinderter Menschen nicht etwa eine Nettigkeit ist, sondern dass
es dabei um die Frage geht, in welchem Land wir leben wollen. Leider
erleben wir, dass Leute, die Probleme mit Demokratie haben, auch häufig
Probleme mit Inklusion haben."
Wurzeln in der Protestbewegung
Bereits in frühen Veröffentlichungen zeigte Prof. Degener ihre
emanzipatorische Einstellung – etwa als Mitverfasserin des ersten Buches
von behinderten Frauen in Deutschland mit dem Titel „Geschlecht behindert,
besonderes Merkmal Frau“ (1985). Sich feministisch zu engagieren, blieb
bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn eine Herzensangelegenheit. „Ich
muss noch einmal hervorheben, wie wichtig es ist, die Schnittstellen
zwischen Geschlecht und Behinderung zu betrachten und die spezifischen
Herausforderungen, denen behinderte Frauen gegenüberstehen, sichtbar zu
machen.“
Neben Forschung, Lehre und Networking hat die Wissenschaftlerin nie ihre
Wurzeln in der Behindertenrechtsbewegung vergessen, mit der sie 1981 ihren
ersten großen öffentlichen Auftritt als Mit-Anklägerin im sogenannten
„Krüppeltribunal“ hatte. Zu dessen Jubiläumsfeiern lud Degener
Mitstreitende an die EvH Bochum, sodass Studierende der Hochschule immer
wieder die Gelegenheit bekamen, Zeitzeug_innen der Geschichte der
Behindertenbewegung zu treffen. 2013 brachte Prof. Degener die UN-
Behindertenrechtskonvention auch „nach Hause“, nach Bochum und an die EvH.
Gemeinsam mit Sigrid Graumann organisierte sie die erste barrierefreie,
internationale Tagung der Hochschule mit dem Titel „Menschenrecht
Inklusion“.
Werdegang:
Prof. Dr. Theresia Degener studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt am
Main und in Berkeley, USA. In Frankfurt a.M. legte sie 1986 das Erste
Juristische Staatsexamen und 1993 das Assessorexamen ab. 1992 promovierte
sie zum Thema „Das ambulante Pflegerechtsverhältnis als Modell eines
Sozialrechtsverhältnisses“ an der juristischen Fakultät der Johann-
Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, an der sie von 1995 bis 1998 auch
als Wissenschaftlerin (C1) wirkte.
Außeruniversitäre berufliche Erfahrungen sammelte sie als Juristin bei
verschiedenen Behindertenorganisationen im In-und Ausland. (fib e.V.
Marburg, DREDF, Berkeley). 1998 wurde Theresia Degener Professorin für
Recht, Verwaltung und Organisation am Fachbereich Heilpädagogik der EvH
Bochum. 2010 wechselte sie als Professorin für Recht und Disability
Studies an den Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Diakonie.
Nebenberuflich war sie als Sachverständige und Beraterin zahlreicher
staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen tätig. Sie beriet den
Deutschen Bundestag und die Deutsche Bundesregierung, die Vereinten
Nationen, die Europäische Kommission und die Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa, ebenso wie Disabled Peoples‘ International,
die Open Society Foundation oder das Europäische Behindertenforum. Als
Gastprofessorin lehrte sie an juristischen Fakultäten in den USA,
Südafrika, und den Niederlanden.
Theresia Degener gilt auch als Mitbegründerin der deutschsprachigen
Disability Studies. Das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS)
leitete sie seit 2015.
Informationen zum Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS):
Nach dem Ausscheiden von Prof. Dr. Theresia Degener in den Ruhestand
übernehmen Prof. Dr. Kathrin Römisch und Prof. Dr. Stefan Schache die
kommissarische Leitung von BODYS. Sie werden dabei von Gudrun Kellermann
und Prof. Dr. Karin Tiesmeyer unterstützt.