Studien zu Schwangerschaftsdiabetes: Mutter und Kind profitieren von Früherkennung und Langzeit-Beobachtung
Weltweit entwickelt jede 7. Schwangere Gestationsdiabetes (GDM), die
häufigste medizinische Komplikation in der Schwangerschaft. Der Trend zu
höherem Gebär-Alter und Körpergewicht begünstigt diese
Stoffwechselstörung. Unbehandelt erhöht GDM das Risiko für Kaiserschnitt
und langfristig Typ-2-Diabetes bei Mutter und Kind. Aktuelle Studien
betonen die Notwendigkeit einer frühen Diagnose und lebenslangen
Überwachung, besonders für Frauen mit GDM in mehreren Schwangerschaften.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft fordert verstärkte Aufmerksamkeit und
frühe Identifikation von Risikopatientinnen, um Folgeerkrankungen zu
verhindern.
Unter Schwangerschaftsdiabetes versteht man einen erstmals während der
Schwangerschaft diagnostizierten erhöhten Blutzucker (Hyperglykämie), der
aber nicht so hoch ist, um die Kriterien eines manifesten Typ-2-Diabetes
zu erfüllen. In Deutschland erkranken jährlich über 50.000 Frauen an
dieser nur während der Schwangerschaft anhaltenden Stoffwechselstörung.
„Alter, Diabetes in der Familie und ein hoher Body-Mass-Index sind
wichtige Risikofaktoren“, erklärt Professorin Dr. med. Tanja Groten aus
Jena, Sprecherin Gynäkologie und Geburtshilfe der DDG Arbeitsgruppe
„Diabetes und Schwangerschaft“. Mit der zunehmenden Verbreitung von
Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Störungen bei Frauen im gebärfähigen
Alter nehme auch die Zahl der GDM-Betroffenen zu.
Schwangerschaftsdiabetes: risikoreich und stigmatisierend
Schwangerschaftsdiabetes erhöht das Risiko für Komplikationen während der
Schwangerschaft und einem späteren Typ-2-Diabetes bei Mutter und Kind.
Insbesondere eine nicht behandelte Hyperglykämie in der Schwangerschaft
führt zu einer sogenannten „Fehlprogrammierung“ des kindlichen
Stoffwechsels. Das Kind hat dann ein höheres Risiko, während seines Lebens
an Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurologischen
Entwicklungsstörungen zu erkranken. Eine GDM-Diagnose kann auch mit einer
hohen psychischen Belastung für die Schwangere einhergehen: Sie muss die
Ernährung ständig überwachen, den Blutzucker kontrollieren und ist dabei
mit Stigmatisierung konfrontiert. „Bei guter Stoffwechselkontrolle in der
Schwangerschaft sind dabei viele der Folgen für das Kind vermeidbar und
die Schwangere muss sich nicht auch noch um das Kind sorgen“, so Groten.
„Das sollte die Betroffenen motivieren unter der Führung der Betreuenden
in den Schwerpunktpraxen und Kliniken eine gute Stoffwechseleinstellung zu
erreichen.“
Studien verdeutlichen: Nach GDM-Diagnose lebenslanger Blick auf Mutter-
Kind-Gesundheit nötig
Eine im Sommer veröffentlichte Lancet-Serie zu Gestationsdiabetes bietet
nun eine umfassende Analyse der aktuellen Erkenntnisse zu
Pathophysiologie, Screening, Management, Prävention und
Langzeitkomplikationen für Mütter und ihre Babys. „Die drei
Übersichtsartikel zeigen eindrucksvoll, dass Gestationsdiabetes nicht zu
einem isolierten Zeitpunkt untersucht und behandelt werden sollte.
Vielmehr wäre es sinnvoll, vom bisherigen alleinigen Fokus auf
Spätschwangerschaft abzurücken – zugunsten eines personalisierten,
integrierten Lebensverlaufsansatzes von der Präkonzeption bis zur
Wochenbettzeit und darüber hinaus“, so Privatdozentin Dr. med. Katharina
Laubner, AG Sprecherin Innere Medizin und Diabetologie der DDG
Arbeitsgruppe „Diabetes und Schwangerschaft“ aus Freiburg.
Die Autoren der Lancet-Serie fordern ein Screening auf eine
Glukosetoleranzstörung bereits im ersten Drittel der Schwangerschaft. Nach
den aktuellen Empfehlungen der S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus
(GDM) sollen alle Schwangeren erst zwischen der 24. und der 28.
Schwangerschaftswoche ein Screening auf eine Glukoseintoleranz erhalten.
Fraglich ist bisher noch, wie und ob Glukosetoleranzstörungen, die noch
nicht die Diagnosekriterien eines vorbestehenden Diabetes mellitus
erfüllen, auch bereits in der Frühschwangerschaft behandelt werden sollen.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Kinder von einer frühen Behandlung,
also einer unmittelbaren Einstellung der Schwangeren auf
Blutzuckerzielwerte im Bereich der für den Gestationsdiabetes empfohlenen
Range, profitieren.2 „Je früher wir diagnostizieren, desto eher können
schwerwiegende Komplikationen verhindert werden“, bestätigt Laubner die
Autoren. Ein flächendeckendes frühe Screening auf einen frühen GDM sei
jedoch weniger sinnvoll. Stattdessen sollten Risikogruppen gezielt
identifiziert und überwacht werden, wie auch in der Lancet-Serie
gefordert. „Hier haben wir in Deutschland noch Nachholbedarf“, sagt
Laubner und fügt hinzu: „Im Rahmen der aktuellen Überarbeitung der
Leitlinie werden wir dazu Stellung beziehen.“
Gestationsdiabetes in der zweiten Schwangerschaft folgenreicher
Eine ebenfalls aktuelle Untersuchung in JAMA3 zeigt, dass für die
Risikoabschätzung von Folgeerkrankungen des GDM nicht nur dessen Diagnose
aussagekräftig ist, sondern auch, wann und wie häufig die Diagnose
gestellt wird. „Die Autoren konnten veranschaulichen, dass Frauen, die in
ihrer zweiten Schwangerschaft an GDM erkrankten, ein über siebenfach
erhöhtes Risiko hatten, später an Typ-2-Diabetes zu leiden. Besonders
häufig erkrankten Frauen an einem manifesten Diabetes, wenn sie in beiden
Schwangerschaften einen GDM entwickelten. Für diese Frauen ist das Risiko
sogar fast 16-fach höher im Vergleich zu Frauen, die nie einen
Gestationsdiabetes hatten“, fasst Groten die Studienergebnisse zusammen.
Das Risiko, erneut einen GDM oder in Folge einen Diabetes Typ 2 zu
entwickeln ist geringer, wenn Frauen ihr Ausgangsgewicht wieder erreichen,
lange Stillen oder sogar abnehmen, weil sie zum Beispiel die in der
Schwangerschaft erlernten Essens- und Bewegungsgewohnheiten beibehalten.
„Das zeigt deutlich, dass die Frauen von der intensiven Beratung und
Betreuung, die sie mit der Diagnose GDM in der Schwangerschaft erhalten,
lebenslang profitieren“, sagt Groten.
Ganzheitliche, interdisziplinäre Sicht auf GDM muss in die Praxis
überführt werden
„Die aktuellen Studienergebnisse zu Gestationsdiabetes zeigen, dass ein
Lebensverlaufsansatz zur Betreuung der betroffenen Mütter und Kinder
notwendig ist, um ein lebenslanges Risiko für schwere gesundheitliche
Probleme zu reduzieren“, so DDG Präsident Professor Dr. med. Andreas
Fritsche aus Tübingen. Gleichzeitig nehmen aber auch etwa 60 % der Frauen
ihre Nachsorgetermine gar nicht wahr. Die DDG rät daher dazu, die
perinatale Betreuung zu verbessern und regelmäßige Nachfolge-
Untersuchungen bei GDM-Patientinnen anzubieten. Ebenfalls sei es wichtig,
die Kinder in der weiteren pädiatrischen Versorgung im Blick zu behalten.
Originalpublikation:
[1] The Lancet Series on gestational diabetes.
https://www.thelancet.com/seri
[2] David Simmons et al., TOBOGM Research Group: Treatment of Gestational
Diabetes Mellitus Diagnosed Early in Pregnancy. Randomized Controlled
Trial N Engl J Med. 2023 Jun 8;388(23):2132-2144. doi:
10.1056/NEJMoa2214956. PMID: 37144983 DOI: 10.1056/NEJMoa2214956.
[3] Incident Diabetes in Women With Patterns of Gestational Diabetes
Occurrences Across 2 Pregnancies | Diabetes and Endocrinology | JAMA
Network Open | JAMA Network. DOI:10.1001/jamanetworkopen.20