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Welttag der Lehrer:innen am 5. Oktober: Neue Herausforderungen und mangelnde gesellschaftliche Anerkennung

Prof. Dr. Brigitte Latzko  Foto: Christian Hüller
Prof. Dr. Brigitte Latzko Foto: Christian Hüller
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Prof. Dr. Brigitte Latzko  Foto: Christian Hüller
Prof. Dr. Brigitte Latzko Foto: Christian Hüller

Haben sich die Anforderungen an Lehrer:innen in den vergangenen Jahren
verändert? Warum ist gerade diese Berufsgruppe besonders häufig von
Burnout betroffen? Was muss sich in der Lehrkräfteausbildung ändern, um
diesem Trend entgegenzuwirken? Dazu äußert sich
Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Brigitte Latzko von der Universität
Leipzig anlässlich des Welttages der Lehrerin und des Lehrers am 5.
Oktober.

Frau Prof. Latzko, welche Anforderungen sollte eine Lehrerin, ein Lehrer
heutzutage erfüllen, was ist anders als noch vor zehn Jahren?

Grundsätzlich ist der Kern der Anforderungen an Lehrkräfte gleich
geblieben: Sie sind Expert:innen für Lehr-Lern- und Entwicklungsprozesse
von Kindern und Jugendlichen, befördern deren Wissensaufbau und deren
Fähigkeiten zum selbstregulierten Lernen. Gleichzeitig haben sich in den
letzten Jahren durchaus auch inhaltliche Anforderungen verändert. Aufgrund
von neuen gesellschaftlichen Herausforderungen sind neue Lehr-Lerninhalte
hinzugekommen. Die zunehmende Digitalisierung unserer Gesellschaft ist ein
gutes Beispiel dafür, dass sich Anforderungen an Lehrkräfte in zweierlei
Hinsicht geändert haben: Zum einen wird von Ihnen gefordert, digitale
Kompetenzen bei Ihren Schüler:innen aufzubauen und zum reflexiven Umgang
mit digitalen Medien anzuregen. Zum anderen beziehen sich die
Anforderungen auch auf die Kompetenzen angehender und bereits etablierter
Lehrkräfte. Das heißt, die Ausbildung digitaler Lehr-Lernkompetenzen wird
sowohl Bestandteil des schulischen, als auch des universitären Curriculums
für die Lehrerbildung. Von Lehrpersonen im Schuldienst wird erwartet,
digitalisierungsbezogene Kompetenzen in Weiterbildungen zu erwerben.

Lehrkräfte unterrichten verstärkt auch Schüler:innen, die Deutsch als
Unterrichtssprache nicht beherrschen. Auch scheinen Lehrer:innen aller
Schularten verstärkt mit sozial-emotionalen Herausforderungen wie
mangelnder Impulskontrolle oder geringer Konfliktlösefähigkeit von
Schüler:innen konfrontiert zu sein, mit denen sie umgehen müssen. Sie
machen Schüler:innen fit für die Gesellschaft. Deshalb ergeben sich die
spezifischen Anforderungen aus der sich ändernden Gesellschaft. In einer
sehr heterogenen Gesellschaft liegt die Kernanforderung für Lehrende
darin, heterogene Lerngruppen zu unterrichten.

Geben Eltern Ihrer Ansicht nach zu viel Verantwortung in Sachen Erziehung
an die Lehrkräfte ab?

Ja, sicher geben viele Eltern zu viel Verantwortung ab und stellen hohe
Erwartungen an Lehrkräfte – zumindest in der Wahrnehmung der Lehrkräfte.
Allerdings findet sich auch das andere Extrem, dass Lehrkräfte sich
wünschen, Eltern würden sich etwas zurücknehmen und die Lehr-Lern- und
Erziehungsexpertise im Schulkontext den Lehrkräften überlassen. Bei uns
hat die Schule als Institution einen Bildungs- und Erziehungsauftrag.
Dabei muss klar sein, dass Eltern die Personensorgenberechtigten sind.
Gleichwohl verbringen die Kinder und Jugendlichen viel Lebenszeit in der
Schule. Die Schulgemeinschaft ist neben der Familie eine weitere
Lebensgemeinschaft, in der Kinder und Jugendliche soziales Leben teilen.
Insofern kommt der Schule hier auch eine explizite Erziehungsverantwortung
zu. Aus empirischen Befunden wissen wir, dass sich nicht alle Lehrkräfte
in gleicher Weise für Erziehung verantwortlich fühlen. Sie vertreten
durchaus die Position, dass Erziehung in den Verantwortungsbereich der
Eltern gehöre und Wissensvermittlung in den Verantwortungsbereich der
Lehrkräfte. Wenn Sie Lehrkräfte und Eltern befragen, werden Ihnen die
eingangs gezeichneten unterschiedlichen Positionen begegnen. Dieser
Diskurs ist meiner Ansicht nach nicht hilfreich. Vielmehr sollten wir
versuchen, eine Erziehungspartnerschaft mit Lehrern, Eltern und Kindern zu
etablieren. Die Idee, dass Eltern Verantwortung abgeben, kann darauf
zurückzuführen sein, dass unterschiedliche Auffassung von Erziehung
vorherrschen. Ein konkretes Beispiel: Die Schule stellt die Regeln auf,
dass alle Erwachsenen gegrüßt werden müssen. Die Eltern sagen dagegen,
dass fremde Menschen nicht gegrüßt werden. Hier gibt es kein Richtig oder
Falsch, weil beide Regeln im jeweiligen Kontext sinnvoll sein können, aber
letztlich das Kind in ein Spannungsfeld bringt.

Lehrer:innen sind – wie man oft liest – überdurchschnittlich stark von
Burnout betroffen. Wo liegen hierfür die Ursachen? Was müsste sich ändern,
um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Untersuchungen zur Gesundheit von Lehrkräften weisen schon seit längerem
auf die hohe psychische Belastung im Lehrerberuf hin. Die Ergebnisse
verdeutlichen, dass die langfristige Ausübung des Lehrerberufs bei vielen
Lehrkräften zu erheblichen gesundheitlichen und leistungsbezogenen
Beeinträchtigungen führt. Dies wirkt sich negativ auf die Schüler:innen
und letztlich auch auf die gesamte Gesellschaft aus. Die Forschung zur
Wirksamkeit unterschiedlicher Präventions- und Interventionsansätze ist
hier sehr weit und es gibt eine Vielzahl von guten Ansätzen, die teilweise
auch direkt von den Krankenkassen finanziert werden. Noch wichtiger aber
ist festzuhalten, dass auch strukturell einiges im Argen liegt. Die
Anforderungen an Lehrkräfte, gemessen an der Vielzahl der Aufgaben und der
dafür notwendigen Flexibilität, steigen. Lehrkräfte müssen im Berufsleben
neue Kompetenzen erwerben, wie ich zuvor bereits gesagt habe. Sie müssen
komplexere Aufgaben in der Selbstverwaltung der Schulen übernehmen,
bekommen dafür häufig nur wenig Abminderungsstunden. Klassengrößen von
teilweise über 28 Kindern, die binnendifferenziert und inklusiv
unterrichtet werden sollen, sind herausfordernd. Es herrscht
Lehrpersonenmangel.

Die Ursachen liegen sowohl in der Person, als auch im System. Es gibt
Lehrkräfte, die eine hohe Belastung empfinden. Entweder man prüft, welche
Personen für den Lehrerberuf geeignet sind oder aber man versucht, über
eine Eingangsdiagnostik Risikogruppen herauszufiltern, die dann während
des Studiums entsprechende Kompetenzen ausbauen oder aber auch die
Kompetenz entwickeln, mit diesen Eigenschaften konstruktiv umgehen zu
können. Bereits im Lehramtsstudium müssen die kommenden Belastungen
reflektiert, über mögliche individuelle Bewältigungsstrategien gesprochen
und diese auch erprobt werden.

Welche Änderungen hat es in den vergangenen Jahren in der Lehrerausbildung
an der Universität Leipzig gegeben, um den veränderten Anforderungen an
die Lehrerschaft gerechter werden zu können?

Die Universität Leipzig hat sich in vielerlei Hinsicht den veränderten
Anforderungen gestellt: Das Curriculum wurde weiterentwickelt, Inhalte der
Lehrerbildung angepasst, Kooperationen zwischen Universität und Schulen
aufgebaut, insbesondere bezogen auf den Aufbau digitaler Kompetenzen
beziehungsweise dem Umgang mit digitalen Medien, entsprechende Module
wurden verankert.

Wie schätzen Sie die gesellschaftliche Anerkennung des Lehrer:innenberufes
in Deutschland und im Vergleich dazu im Ausland ein?

Schlecht!!! Ansehen und Respekt liegen im Vergleich zu den Niederlanden,
Finnland, Großbritannien oder Frankreich unten. Das heißt: Dem Lehrerberuf
gegenüber wird bei uns weniger Anerkennung und Respekt gezollt. Im
aktuellen "Education and Training Monitor" der Europäischen Kommission
zeigte sich, dass eine deutliche Mehrheit, 76 Prozent, der Ansicht ist,
dass der Lehrerberuf in ihrer Region oder ihrem Land nicht respektiert und
geschätzt wird. Noch mehr Befragte, nämlich 82 Prozent, sind der Meinung,
dass die Arbeit der Lehrer:innen nicht ausreichend gewürdigt wird. Das
Bild der Öffentlichkeit beeinflusst die Arbeitsbedingungen der
Lehrpersonen, die Bezahlung und die Nachwuchsgewinnung von Lehrkräften. In
den meisten EU-Ländern ist es jedoch schwierig, junge Lehrkräfte zu
gewinnen und erfahrene Lehrkräfte im Beruf zu halten, so dass die
Attraktivität des Lehrerberufs gesteigert werden muss. Das öffentliche
Bild geht wahrscheinlich mit einer eher grundsätzlichen Unzufriedenheit
mit dem System Schule einher. Auf individueller Ebene wird immer wieder
versucht, Anerkennung durch mehr Gehalt, Verbeamtung oder ähnliches zu
erhöhen. Wenn dies aber nicht mit einer Verbesserung von
Arbeitsbedingungen einhergeht, dann verpufft der Effekt. Oder anders
gesagt: Wenn ich erschöpft bin, dann nützt mir auch mehr Geld in der
Tasche wenig. Dennoch möchte ich auch dafür sensibilisieren, dass sich
wahrscheinliche jede:r an eine Lehrperson im Laufe ihres Schullebens
erinnert, die sie beeindruckt hat. Nach wie vor nehmen Lehrkräfte eine
zentrale Position und Rolle im Leben von Schüler:innen ein. Manchmal frage
ich mich, ob sich Lehrkräfte darüber im Klaren sind.

Die Fragen stellte Susann Sika.

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