Zum Hauptinhalt springen

Symbionten ohne Grenzen: Bakterielle Untermieter bereisen die Welt

Eine Mondmuschel erkundet ihre Umgebung. Mondmuscheln sind die artenreichste und am weitesten verbreitete Familie von Meeresmuscheln, die bakterielle Endosymbionten beherbergen.  Laetitia Wilkins
Eine Mondmuschel erkundet ihre Umgebung. Mondmuscheln sind die artenreichste und am weitesten verbreitete Familie von Meeresmuscheln, die bakterielle Endosymbionten beherbergen. Laetitia Wilkins
Pin It
Eine Mondmuschel erkundet ihre Umgebung. Mondmuscheln sind die artenreichste und am weitesten verbreitete Familie von Meeresmuscheln, die bakterielle Endosymbionten beherbergen.  Laetitia Wilkins
Eine Mondmuschel erkundet ihre Umgebung. Mondmuscheln sind die artenreichste und am weitesten verbreitete Familie von Meeresmuscheln, die bakterielle Endosymbionten beherbergen. Laetitia Wilkins

Dieses Jahr der Pandemie hat uns an unser Zuhause gebunden und daran
gehindert, die Welt zu bereisen und Freunde zu treffen. Einige winzige
Bakterien im Ozean hatten keine solchen Probleme: Weltweit tun sie sich
mit Muscheln aus der Familie der Mondmuscheln zusammen, die unbemerkt im
Sand unter blau schimmernden Küstengewässern leben. Diese Partnerschaft
ermöglicht den Muscheln eine weltweite Verbreitung. Aber auch die
Bakterien kommen weit herum. Forschende des Max-Planck-Instituts für
Marine Mikrobiologie in Bremen und der Universität Wien zeigen nun im
Fachjournal PNAS, dass die bakteriellen Symbionten, die in den Kiemen der
Muscheln leben, ohne Grenzen um die Welt reisen können.

Die Familie der Mondmuscheln (Lucinidae) umfasst etwa 500 lebende Arten.
Fossilien zeigen, dass diese Muscheln mindestens 400 Millionen Jahre alt
sind. Sie leben in vielen verschiedenen Lebensräumen, von malerischen
Stränden bis hinab in die Tiefsee, fern des Sonnenlichts. Dass sie an so
unterschiedlichen Orten leben können, liegt an ihren winzigen “Komplizen”:
schwefeloxidierende symbiotische Bakterien, die den typisch nach faulen
Eiern stinkenden Schwefelwasserstoff als Energiequelle für die
Primärproduktion nutzen. Sie machen das ähnlich der Photosynthese, sind
aber unabhängig vom Sonnenlicht und erzeugen so genug Zucker, um sowohl
sich selbst als auch die Mondmuscheln zu ernähren.

Partner finden, aus nah und fern

Es ist eine Frage von Leben und Tod für die Mondmuscheln: Die Suche nach
einem geeigneten Partner in ihrem Lebensraum. Sie müssen ihre bakteriellen
Untermieter schon in einem sehr frühen Lebensstadium aufnehmen, wenn sie
sich nach ihrem Larvenstadium im Meeresboden niederlassen. Ab dann sind
sie zur Ernährung auf die bakteriellen Symbionten angewiesen. Das Problem:
Bakterien sind winzig und die Ozeane sind voll mit Unmengen möglicher
Kandidaten. Man würde erwarten, dass Tiere, die so stark darauf angewiesen
sind, sich ihre Partner unter den “einheimischen” Bakterien suchen. Denn
diese Mikroben funktionieren vermutlich am besten unter den jeweiligen
Bedingungen vor Ort. Eine neue Studie, die mit metagenomischen Analysen
die symbiotischen Bakterien in Mondmuscheln unter die Lupe nimmt, zeigt
nun, dass dies nicht immer der Fall ist: Einige bakterielle Symbionten
reisen um die Welt und sind wahre Kosmopoliten.

Weltweit verbreitete Symbionten

“Mit Hilfe modernster Methoden der DNA-Sequenzierung und der Genom-
Zusammensetzung (genome assembling) haben wir festgestellt, dass in acht
verschiedenen Mondmuschelarten eine einzige Art symbiotischer Bakterien
vorherrschend war – und diese Muscheln lebten verstreut über alle drei
Weltmeere quer durch die Tropen beider Erdhalbkugeln”, berichtet Laetitia
Wilkins vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, die
gemeinsam mit Jay Osvatic von der Universität Wien Erstautorin der Studie
ist. “Diese Symbionten sind praktisch überall.” Kein anderer bekannter
Symbiont ist so erfolgreich darin, sich zu verbreiten und mit Mondmuscheln
zu verpartnern, berichten die Forschenden. Sie gaben ihm den Namen
Candidatus Thiodiazotropha taylori – “um die Weisheit von John Taylor vom
Natural History Museum in London zu würdigen, der 25 Jahre seines Lebens
dem Studium der Biologie und Taxonomie der Mondmuscheln gewidmet hat”,
erklärt Osvatic.

"Dieses überraschende Ergebnis stellt das bisherige Konzept in Frage,
wonach Symbionten aus dem lokalen Umfeld stammen. Augenscheinlich sind die
Mondmuschel-Symbionten viel mobiler”, so Osvatic weiter. Die
bemerkenswerte Flexibilität in dieser Partnerschaft ist sowohl für den
Wirt als auch für die Symbionten von Vorteil: Sie erhöht die
Wahrscheinlichkeit, in verschiedenen Lebensräumen weltweit einen passenden
Partner zu finden. Bislang konzentrierte sich die Mondmuschelforschung vor
allem auf leicht zugängliche Lebensräume. Nun präsentiert das Team um
Wilkins und Osvatic erstmals einen breiten und globalen Datensatz, der
diese neue Entdeckung und sicher auch noch weitere ermöglicht und an dem
die Verbindungen zwischen weit entfernten Lebensräumen untersucht werden
können.

Teamwork in der Forschung auf der Suche nach Teamwork in der Natur

Um die enge Zusammenarbeit zwischen Bakterien und Mondmuscheln zu
erforschen, bedurfte es auch einer engen und weltweiten Zusammenarbeit
zahlreicher Forschender. “Unsere Kolleginnen und Kollegen (und jetzt
Freundinnen und Freunde) auf der ganzen Welt haben uns Zugang zu einer
noch nie untersuchten Vielfalt an Mondmuscheln verschafft, sowohl direkt
aus der Natur als auch aus Museen”, sagt Benedict Yuen von der Universität
Wien, Mitautor der Veröffentlichung. “Durch John Taylor erhielten wir
Zugang zu einer großen Vielfalt an Proben im Natural History Museum in
London. Weitere Proben wurden auch persönlich von unserem Team und unseren
Mitarbeitenden Matthieu Leray in Panama, Yolanda Camacho in Costa Rica,
Olivier Gros in Guadeloupe und Jan A. van Gils in Mauretanien gesammelt.”

Außerdem entdeckt: Zwei neue Arten in trauter Zweisamkeit

Darüber hinaus führte die umfangreiche Datensammlung von Wilkins, Osvatic
und ihrem Team zur Entdeckung und Beschreibung von zwei neuen Mondmuschel-
Symbionten. Benannt wurden die beiden nach Miriam Weber und Christian
Lott, beide ehemalige Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine
Mikrobiologie. Diese Symbionten – jetzt bekannt als Thiodioazotropha
weberae und lotti – stammen aus der Muschelart Loripes orbiculatus auf der
italienischen Insel Elba, wo sie einträchtig in den Kiemen desselben Wirts
koexistieren. “Bevor genomische Analysen eingesetzt wurden, nahm man an,
dass jede Muschel nur eine Art von Symbionten beherbergt”, erklärt
Wilkins. “Viele Muscheln auf Elba beheimaten jedoch zwei Symbiontenarten.
Miriam und Christian entdeckten diese Muschelpopulation in der Bucht von
Fetovaia und sie haben uns ermöglicht, einen sehr aussagekräftigen
Datensatz zu dieser Symbiose zu erstellen.”

Als nächstes wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
herausfinden, wie die Symbionten reisen. “Sie verlassen ihre sichere
Muschelheimat, um den Globus zu überqueren”, sagt Mitautorin Jillian
Petersen von der Universität Wien. “Sowohl nützliche Symbionten wie
Candidatus T. taylori als auch Krankheitserreger können sich in der Umwelt
ausbreiten, aber wir wissen normalerweise nicht, wie.”