"Rechtspopulisten inszenieren sich als die Verteidiger des Abendlandes"


Zwei Monate vor der Europawahl und gut ein halbes Jahr vor der
Landtagswahl in Sachsen wird mit einem Erstarken rechtspopulistischer
Parteien gerechnet. Gerade im Wahlkampf nehmen Rechtspopulisten die
christliche Religion für ihre Zwecke in Anspruch und schaffen so eine
religiös-nationalistische Identität. Das hat Dr. Alexander Yendell von der
Universität Leipzig zusammen mit Dr. Oliver Hidalgo und Dr. Philipp
Hildmann beobachtet. Für die Hanns-Seidel-Stiftung haben sie sechs Thesen
zu „Religion und Rechtpopulismus“ formuliert. Sie basieren auf einer
Fachveröffentlichung in der „Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und
Politik“.
Warum die Diskussion, ob der „Islam zu Deutschland gehört“ den
Rechtspopulisten in die Hände spielt und wo sich Konservative und
Rechtspopulisten in der Religionsfrage unterscheiden, erzählt der
Leipziger Soziologe im Interview.
Sie und ihre Co-Autoren behaupten in diesen sechs Thesen, dass in der
politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus der Religion eine
Schlüsselrolle zukommt. Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung?
Dr. Alexander Yendell: Die Religion ist vor allem deshalb für
rechtspopulistische Bewegungen und Parteien bedeutend, weil die
Identifikation mit dem Christentum – auch wenn sie größtenteils sehr
diffus ist – mit einer Erhöhung der eigenen Kultur und mit einer Abwertung
anderer Kulturen einhergeht. Die Abwertung bezieht sich zurzeit vor allem
auf den Islam und die Muslime. Der Bezug zum Christentum ist positiv
konnotiert, der zum Islam negativ. Die christliche Kultur wird mit
Toleranz, Nächstenliebe und Aufklärung in Verbindung gebracht, der Islam
mit Fanatismus, Gewaltbereitschaft und Unterdrückung der Frau
gleichgesetzt.
Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Aspekt: Je erfolgreicher
Rechtspopulisten in ganz Europa die christliche Religion für sich in
Anspruch nehmen, desto mehr können sich Parteien wie die AfD, FPÖ und SVP,
der Rassemblement National, die Lega Nord, Fidesz oder die polnische PiS
als die „wahren“, im Zweifelsfall „einzigen“ Verteidiger des christlichen
Abendlandes inszenieren.
Sie stellen in Ihrem Thesenpapier oftmals Konservative und
Rechtspopulisten und ihre Ansichten zur Religion gegenüber. Wo ähneln und
wo unterscheiden sich die beiden Gruppen?
Die Konfession spielt auch bei Wahlentscheidungen immer noch eine Rolle.
Die AfD beispielweise weiß das und versucht mit Untergruppierungen wie den
„Christen in der AfD“ zu kaschieren, dass viele Mitglieder und wichtige
Funktionsträger keinen Religions- oder Kirchenbezug haben. Sie maßen es
sich folglich nur an, im Namen von Religion und Christentum zu sprechen.
Rechtspopulisten und Konservative unterscheiden sich insbesondere
hinsichtlich ihrer Politik der Religionsfreiheit. Während christliche
Konservative die Fahne für die Demokratie und damit auch das Gebot der
Religionsfreiheit hochhalten, wollen Rechtspopulisten im Grunde die
Religionsfreiheit einschränken und damit vor allem die angebliche
Unterwanderung durch den Islam unterbinden. Die Einschränkung der
Religionsfreiheit ist natürlich mit den Grundsätzen der Demokratie nicht
vereinbar.
Die Angst vor dem Verlust der westlichen Werte sei stärker einzuschätzen,
als die Angst, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Wie entstehen diese
islam- und muslimfeindlichen Einstellungen?
Islam- und muslimfeindliche Einstellungen entstehen vor allem aus Ängsten
und Gefühlen der Bedrohung. Während es Menschen gibt, die sich auf etwas
Neues freuen und beispielweise eine zunehmende Pluralisierung sogar als
etwas Bereicherung erleben, gibt es Menschen, die aus Angst lieber an
Bewährtem festhalten und keine Veränderung wollen. Wir wissen aus der
Analyse von Bevölkerungsumfragen, dass Menschen, die den Islam und die
Muslime abwerten, eher Angst vor dem Verlust der eigenen Kultur und deren
Werte als Angst vor einem Terroranschlag haben. Ein weiterer Grund für die
Abwertung des Islam und der Muslime sind fehlende Kontakte vor allem im
Osten Deutschlands. Wer Kontakte zu möglichst vielen Muslimen hat, baut
Vorurteile in der Regel ab. Die Menschen kennen Muslime oftmals nur aus
der negativen Berichterstattung über den islamistischen Terror. Das wirkt
sich natürlich negativ auf die Haltungen gegenüber Muslimen aus.
Sie bezeichnen die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, als eine
„religionspolitische Fallgrube“ – ausgehoben von den Rechtspopulisten. Wie
kommen Sie zu dieser Einschätzung und wie sollten Politiker dieser Frage
begegnen?
Zunächst einmal ist die Aussage zur Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit
des Islam schon deshalb problematisch, weil es DEN Islam nicht gibt. Es
gibt sehr viele verschiedene Religionsgemeinschaften, die dem Islam
zuzurechnen sind, genauso wie das der Fall im Christentum oder auch
anderen Religionen ist. Eine solche Heterogenität wird mit einer solchen
Aussage verschleiert, das allein ist schon problematisch. Zudem wird mit
der Debatte eigentlich der Grundsatz der Religionsfreiheit in Frage
gestellt. Man bietet darüber hinaus den extremen Rechten die Möglichkeit
zu definieren, was aus deren Sicht eine deutsche oder europäische
Identität ist und was nicht. Damit wird das „Freund-Feind“-Denken der
Rechtspopulisten und -extremisten beflügelt. Wie mein Kollege Oliver
Hidalgo richtig festgestellt hat: Es entsteht der Eindruck, als stünde es
überhaupt zur Debatte, dass Muslime in diesem Land nicht willkommen sind,
und das, obwohl die Religionsfreiheit grundsätzlich für alle gilt.
Politiker tappen dann in die Falle, weil sie unweigerlich das Freund-Feind
und Schwarz-Weiß-Denken der Rechtspopulisten fortsetzen, sofern man nicht
deutlich macht, dass allein schon die Frage falsch gestellt ist.
wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Alexander Yendell
Abteilung für Religions- und Kirchensoziologie
Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung
Telefon: +49 341 9735464
E-Mail: <alexander.yendell@uni-leipzig
Originalpublikation:
Thesen zu Religion und Rechtspopulismus: <https://www.hss.de/publikatio
/religion-und-rechtspopulismus
Originalveröffentlichung in der Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und
Politik:
„Rechtspopulismus und Religion.“ Heft 2/2018, Sonderheft:
<https://link.springer.com/art