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Neuartige App trackt Erkrankungen auf Reisen

Bei jeder dritten Reise wird jemand krank. Am häufigsten sind Magen-Darm-
Beschwerden und Atemwegs-Symptome. Dies zeigt eine Studie, die eine an der
Universität Zürich entwickelte Reise-App auswertet. In Zukunft soll die
App auch dabei helfen, Ausbrüche von ansteckenden Krankheiten früh
aufzuspüren.

Wer auf Reisen geht, sammelt unvergessliche Erlebnisse. Aber nicht nur
das: Oft lesen Weltenbummlerinnen und Weltenbummler unterwegs auch
gesundheitliche Probleme auf. Und das erstaunlich oft. Diese Erkenntnis
lieferten Daten einer Reise-App, die Forschende der UZH in Zusammenarbeit
mit der WHO entwickelt haben. Die App ist nicht nur für Reisende
hilfreich, sie kann auch dazu beitragen, das Auftauchen und die
Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Dengue-Fieber oder neuen Grippe-
Viren zu tracken.

«Reisende spiegeln sehr gut wider, was weltweit passiert», sagt die
Epidemiologin und Studienleiterin Patricia Schlagenhauf vom UZH Institut
für Biostatistik, Epidemiologie und Prävention. «Sie sind auch oft daran
beteiligt, Krankheiten in neue Regionen der Welt einzuschleppen.» Als
Beispiel nennt sie den aktuellen Fall von Mpox in Schweden, mitgebracht
von einem Reiserückkehrer aus Afrika.

Ausbreitung von Infektionen verfolgen
In der ITIT (Illness Tracking in Travellers) App beantworten Menschen auf
Reisen täglich einige Fragen zu ihrer Gesundheit. Die App zeichnet zudem
Informationen wie den Standort, Wetterdaten und Luftqualität auf. Das
Forschungsteam hat nun die Daten analysiert, die mit Hilfe der App
zwischen April 2022 und Juli 2023 gesammelt wurden. Die Analyse umfasste
insgesamt 470 Reisen von 609 Personen durch alle Kontinente. Überraschend
häufig kam es unterwegs zu Erkrankungen: Bei über einem Drittel der Reisen
gab es gesundheitliche Probleme.

Problemzone Nummer 1: Magen und Darm
Ganz oben auf der Hitliste: Magen-Darm-Beschwerden mit 19 Prozent der
Krankheitsfälle. Als Hotspot hat sich dafür Asien herauskristallisiert.
Bei Trips nach Afrika war dies hingegen weniger oft ein Problem. Zudem
berichteten deutlich mehr Frauen über Durchfallerkrankungen als Männer.
Warum das so ist, kann das Forschungsteam mit den vorliegenden Daten nicht
beantworten – möglicherweise sind Frauen anfälliger dafür oder sie sind
gewissenhafter bei der Eingabe der Informationen in die App.

Mit Atemwegserkrankungen wie Erkältungen (17 Prozent der Fälle) hatten die
Reisenden hingegen am häufigsten in Europa zu kämpfen. «Man sollte nicht
vergessen, auch bei Reisen in vermeintlich harmlose Länder wie Frankreich
oder Griechenland die Reiseapotheke einzupacken», so Schlagenhauf. Sie
rät, auf jeden Fall etwas gegen Durchfall, Übelkeit, Kopfschmerzen und
Fieber mitzunehmen. Denn – auch dies zeigt die Auswertung – diese
Beschwerden schränken Menschen auf Reisen am meisten ein.

Reisen gesünder und sicherer machen
Das Team möchte nun noch mehr Menschen für die Nutzung der App
rekrutieren. Denn mit einem grösseren Datensatz wäre eine automatisierte
Auswertung durch Künstliche Intelligenz möglich − die beispielsweise bei
einem Ausbruch von Dengue oder Mpox frühzeitig Alarm schlagen würde.

«Dieser Bottom-up-Ansatz funktioniert praktisch in Echtzeit und ist damit
viel schneller als Top-Down-Meldesysteme», so Schlagenhauf. Selbst bei
einer gut organisierten Behörde wie dem BAG dauere es oft Monate bis
Fallzahlen vorliegen. «Mobile Technologien können die Art und Weise, wie
wir Krankheiten von Reisenden überwachen, revolutionieren. Dies führt
letztlich zu sichereren und gesünderen Reisen.»

KASTEN
Das Forschungsteam sucht weltweit noch mehr Menschen, die bei diesem
Projekt mitmachen wollen. Die ITIT App (Illness Tracking in Travellers)
ist gratis in den App Stores in 14 verschiedenen Sprachen verfügbar. Das
in der App erstellte persönliche Gesundheits-Tagebuch mit genauen
Ortsangaben kann helfen, aus dem Ausland mitgeschleppte Erkrankungen
besser zu diagnostizieren und zu behandeln. Als weiteren Bonus bietet die
App reiserelevante Informationen wie Impfempfehlungen sowie
Benachrichtigungen der «WHO Outbreak News» über aktuelle
Krankheitsausbrüche.

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Neuer Test verbessert Diagnose von Allergien

Forschende der Universität Bern und des Inselspitals, Universitätsspital
Bern, haben einen Test entwickelt, der die Diagnose von Allergien
vereinfachen soll. Dessen Wirksamkeit wurde nun mit klinischen Proben von
Kindern und Jugendlichen, die an einer Erdnussallergie leiden, bestätigt.
Die Ergebnisse könnten die klinische Diagnostik von Allergien künftig
grundlegend verbessern.

Nahrungsmittelallergien stellen weltweit ein bedeutendes
Gesundheitsproblem dar. In einigen Ländern sind bis zu 10% der Bevölkerung
betroffen, in erster Linie Kleinkinder. Insbesondere die Erdnussallergie
gehört zu den häufigsten Erkrankungen und äussert sich oft in schweren,
potenziell lebensbedrohlichen Reaktionen. Die Belastung durch
Nahrungsmittelallergien wirkt sich nicht nur auf die betroffenen Personen
aus, sondern hat auch weitreichende Auswirkungen auf deren Familien, das
Gesundheitssystem und die Lebensmittelindustrie. Der orale
Provokationstest, bei dem die Betroffenen das Allergen (z. B.
Erdnussextrakt) unter Aufsicht einnehmen, um die allergische Reaktion zu
testen, gilt nach wie vor als der Goldstandard in der Diagnostik. Die
Methode ist jedoch aufwändig und birgt gesundheitliche Risiken. Auch der
Allergen-Prick-Hauttest und der Bluttest sind oftmals nicht sehr genau,
was zu Fehldiagnosen und unnötiger Nahrungsmittelvermeidung führen kann.

Ein Team von Forschenden unter der Leitung von Prof. Dr. Alexander Eggel
vom Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und der
Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie, Inselspital,
Universitätsspital Bern, und Prof. Dr. Thomas Kaufmann vom Institut für
Pharmakologie der Universität Bern, hat 2022 einen alternativen Test
entwickelt. Dieser ahmt die allergische Reaktion im Reagenzglas nach und
bietet somit eine attraktive Alternative zu gängigen Tests. In einer
klinischen Studie haben die Berner Forschenden in Zusammenarbeit mit
Partnern vom Hospital for Sick Kids in Toronto, Kanada nun die Wirksamkeit
des Tests an Proben von Kindern und Jugendlichen mit bestätigter Erdnuss-
Allergie und einer gesunden Kontrollgruppe geprüft. Sie konnten zeigen,
dass der neue Test eine höhere diagnostische Genauigkeit hat als die
bisher verwendeten Methoden. Die Studie wurde jüngst im European Journal
for Allergy and Clinical Immunology (Allergy) publiziert.

Mastzellaktivierungstest als geeignete Alternative

«Die häufigsten Nahrungsmittelallergien gehören zu den Typ I Allergien.
Sie entstehen, wenn der Körper als Reaktion auf eigentlich harmlose Stoffe
(Allergene), Antikörper der Klasse Immunglobulin E (IgE) bildet», erklärt
Alexander Eggel. Diese Antikörper binden an spezifische Rezeptoren auf den
sogenannten Mastzellen. Dabei handelt es sich um spezialisierte Zellen des
Immunsystems, die eine wichtige Rolle bei allergischen Reaktionen und
Entzündungen spielen. Sie befinden sich hauptsächlich im Gewebe, etwa in
der Darmschleimhaut, und werden durch die Bindung der Antikörper auf das
Allergen vorbereitet und sensibilisiert. Bei erneutem Kontakt mit dem
Allergen bindet dieses direkt an die mit Antikörpern beladenen Mastzellen,
wodurch diese aktiviert werden und eine allergische Reaktion auslösen.
«Bei dem von uns entwickelten Hoxb8 Mastzellaktivierungstest (Hoxb8 MAT),
werden im Labor gezüchtete Mastzellen mit Blutserum von Allergikerinnen
und Allergikern in Kontakt gebracht. Die Mastzellen binden die IgE
Antikörper aus dem Serum und werden dadurch sensibilisiert. Anschliessend
können wir die Mastzellen mit verschiedenen Mengen der zu testenden
Allergene stimulieren» so Eggel. Die Quantifizierung der aktivierten
Mastzellen lässt darauf schliessen, wie allergisch ein Patient oder eine
Patientin auf das getestete Allergen ist, ohne dass er oder sie das
Nahrungsmittel einnehmen muss.

Höhere diagnostische Genauigkeit als gängige Tests

Für die Studie wurden Serumproben von insgesamt 112 Kindern und
Jugendlichen verwendet, die bereits an einer Studie in Kanada teilgenommen
hatten und für die eindeutige diagnostische Daten über ihren
Erdnussallergiestatus vorlagen. Die im Labor gezüchteten Mastzellen wurden
mit deren Serum sensibilisiert und anschliessend mit Erdnussextrakt
stimuliert. «Der zellbasierte Test war einfach durchzuführen und hat
einwandfrei funktioniert. Innert zwei Tagen waren alle Proben gemessen,
was sehr schnell war», sagt Thomas Kaufmann. Die Ergebnisse zeigten, dass
sehr viele Seren der Allergiker und Allergikerinnen eine Allergendosis-
abhängige Aktivierung aufwiesen, während fast alle Proben der nicht
allergischen Kontrollen die Mastzellen nicht aktivierten. «Aus diesen
Daten konnte eine aussergewöhnlich hohe diagnostische Genauigkeit von 95%
berechnet werden», ergänzt Eggel.

Zudem wurden die in der Studie gemessenen Daten im direkten Vergleich mit
anderen, in der Klinik etablierten, diagnostischen Methoden analysiert.
Dabei stellte sich heraus, dass der Hoxb8 MAT Test eine merklich höhere
Genauigkeit aufwies als die gängige Messung von Allergen-spezifischen IgE-
Antikörpern im Blut oder der oft angewandte Hauttest. «Der Quervergleich
mit anderen klinischen Tests war enorm wichtig, um herauszufinden welcher
von diesen die allergische Reaktion der Betroffenen am verlässlichsten
abbildet. Der neue Mastzellaktivierungstest hat den Vorteil, dass er
funktionell ist und dadurch viele Parameter, die für die Auslösung der
Allergie wichtig sind, mit einbezieht», sagt Thomas Kaufmann und fügt an:
«Der neue Test basiert zudem auf stabilem Blutserum, das mittels einfacher
Blutentnahme abgenommen und anschliessend im Gefrierschrank aufbewahrt
werden kann. Dadurch fallen herausfordernde logistische Hürden, wie sie
bei anderen Methoden auftreten, weg.» Die Studie konnte zudem zeigen, dass
der Hoxb8 MAT Test zu weniger falsch negativen Resultaten führt.

«Was in dieser Studie für die Diagnose von Erdnuss-Allergien gezeigt
wurde, kann auf einfache Art und Weise auch auf andere Allergien angewandt
werden. Die Technologie ist ein perfektes Beispiel, wie
Grundlagenforschung aus der Universität Bern zur klinischen Anwendung
gebracht werden kann, und schlussendlich Patientinnen und Patienten,
Ärztinnen und Ärzten das Leben vereinfachen könnte», sagt Eggel
abschliessend.

Zertifizierung des Tests durch spinoff Firma

Die beteiligten Forscher der Universität Bern haben die Technologie und
Methodik des HoxB8 MAT 2022 patentieren lassen. Anschliessend gründeten
Noemi Bachmeier-Zbären, Erstautorin der aktuellen Studie, Thomas Kaufmann
und Alexander Eggel zusammen mit dem emeritierten Harvard-Professor Jean-
Pierre Kinet, die in Bern ansässige spinoff Firma ATANIS Biotech AG. Für
ihre Geschäftsidee wurde das spinoff mit dem Stage Up-Award 2022
ausgezeichnet. ATANIS will den neuen Allergietest zertifizieren und
weltweit auf den Markt bringen. Die Firma, die mittlerweile über 20
Angestellte beschäftigt, hat zum Ziel, die Allergiediagnostik weltweit zu
revolutionieren.
Department for BioMedical Research (DBMR)

Das Department for BioMedical Research (DBMR) der Medizinischen Fakultät
der Universität Bern wurde 1994 von der Universität Bern und dem
Inselspital, Universitätsspital Bern gegründet. Das DBMR ist in 13
Forschungsprogramme mit rund 100 teilnehmenden Einzellabors und mehreren
unabhängigen Forschungslabors unterteilt, deren Forschung sich über alle
biomedizinischen Bereiche erstreckt. Um die Lücke zwischen Labor und
Krankenbett zu schliessen, fördert das DBMR klinische Forschung mit einem
starken Schwerpunkt auf der Entwicklung translationaler Ansätze, dem
Einsatz von «Omics» und anderen Spitzentechnologien sowie einer
umfassenden Zusammenarbeit zwischen laborgestützter und
patientenorientierter klinischer Forschung. Die DBMR setzt sich auch für
die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein.

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Herbstzeit ist Impfzeit: Uniklinikum plädiert für Pieks gegen die Influenza

Betriebsärztliche Dienst des Universitätsklinikums hat mit Impfangebot für
die Belegschaft begonnen. | Klinikpersonal übernimmt Verantwortung, um
Versorgung auch im Winter zu sichern.| Impfung vor allem für ältere
Menschen, Schwangere und Mitarbeitende im medizinischen Bereich empfohlen.

Kleiner Pieks – klare Haltung. Vor allem in der jetzt beginnenden kalten
Jahreszeit ist ein wirksamer Schutz gegen die Influenza für viele Menschen
unabdingbar. Eine hohe Impfbereitschaft ist nicht nur für die Gesundheit
der Menschen im direkten und indirekten Umfeld sinnvoll, sondern vor allem
auch für einen reibungslosen Klinikbetrieb und ausreichende personelle
Besetzung notwendig. Der Medizinische Vorstand am Universitätsklinikum
Dresden, die Pflegedirektorin sowie die Dekanin der Medizinischen Fakultät
an der TU Dresden werben deshalb für eine zeitnahe Grippeschutzimpfung.
Für die Belegschaft der Hochschulmedizin hat der Betriebsärztliche Dienst
bereits mit dem Impfen begonnen. Zusätzlich kommt es darauf an, dass
möglichst viele Menschen außerhalb des Klinikbetriebs ihren Grippeschutz
ebenfalls auffrischen. Die Impfung wird vor allem für ältere Menschen,
Schwangere und Mitarbeitende im medizinischen Bereich empfohlen. An diesem
Montag (14. Oktober) haben sich Prof. Michael Albrecht, Medizinischer
Vorstand am Uniklinikum, sowie die Pflegedirektorin Jana Luntz und Prof.
Esther Troost, Dekanin der Medizinischen Fakultät, öffentlichkeitswirksam
gegen die Influenza impfen lassen.

„Die Impfung gegen die Grippe ist in jedem Fall empfehlenswert – besonders
wenn Sie aus einer der vulnerablen Gruppen kommen. Ohne eine hohe Zahl an
immunisierten Personen besteht die Gefahr einer massiven Grippewelle.
Folgen wären einerseits ein hoher Personalausfall in den Kliniken – der
die Krankenversorgung einschränken könnte – und andererseits viele schwere
Krankheitsverläufe mit einer überdurchschnittlichen Zahl an
Klinikeinweisungen“, sagt der Medizinische Vorstand Prof. Michael
Albrecht.
„Wir sind uns unserer Verantwortung an dieser Stelle bewusst und bieten
unseren Mitarbeitenden bereits seit einigen Tagen die Impfung gegen die
Influenza an. Wir sorgen so für die Gesundheit unseres Personals sowie die
Sicherheit der zu betreuenden Patientinnen und Patienten. Als Arbeitgeber
sehen wir uns hier in der Pflicht. Dies ist unser Beitrag in der
Bekämpfung möglicher Wellen im Herbst und Winter“, sagt Jana Luntz,
Pflegedirektorin am Uniklinikum.

„Der Grippeschutz sollte nicht unterschätzt werden. Die echte Grippe –
Influenza – ist keine einfache Erkältung, sondern eine ernstzunehmende
Erkrankung. Sie ist häufig mit hohem Fieber verbunden und kann den Körper
so sehr schwächen, dass Erkrankte mitunter länger arbeitsunfähig sind“,
ergänzt Prof. Esther Troost, Dekanin der Medizinischen Fakultät Dresden.

Die Impfung dient dem persönlichen Schutz der Mitarbeitenden, die häufiger
als andere Berufsgruppen mit Influenzaerkrankten in Kontakt kommen. Ferner
folgt die Impfung des medizinischen Personals dem ethischen Gebot,
Patientinnen und Patienten nicht zu schaden. Denn viele dieser Menschen
sind wegen bestehender Grunderkrankungen einem erhöhten Risiko ausgesetzt,
eine schwere, eventuell tödliche Verlaufsform der Influenza zu entwickeln.
Auch wenn die Immunisierung keinen hundertprozentigen Schutz gewährleisten
kann, so sorgt sie doch für zusätzliche Sicherheit – vor allem unter den
älteren Patientinnen und Patienten. In der letzten Wintersaison mussten
rund 15 Prozent der Influenza-Fälle im Krankenhaus behandelt werden. Mehr
als 90 Prozent der an Influenza Verstorbenen waren 60 Jahre alt, oder
älter. Infektionen mit Influenza zeigten sich in der Saison 2023/24 vor
allem zu Beginn 2024. Experten gehen deshalb davon aus, dass für die
kommende Saison in diesem Winter eine späte Influenzaimpfung Anfang/Mitte
November ausreichend zu sein scheint.

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Grauer-Star-Operation – Es stehen fünf moderne Strategien zur Wahl

Mit etwa einer Million Eingriffen jährlich ist der Graue Star die
häufigste Operation in Deutschland. Verschiedene moderne Kunstlinsen-
Konzepte, intelligente OP-Instrumente, 3D-Brillen und KI-Rechenleistungen
ermöglichen heute eine hohe Brillenunabhängigkeit. Warum Augenchirurginnen
und Augenchirurgen fünf Behandlungsstrategien anbieten und ausreichend
Zeit investieren sollten, um die richtige Therapie für jede Patientin und
jeden Patienten zu finden, erläuterte Professor Dr. med. Gerd Auffarth,
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ophthalmologie e.V. (DOG) heute
auf der Kongress-Pressekonferenz.

Beim Grauen Star, auch Katarakt genannt, trüben sich die Augenlinsen
allmählich ein, bis es zum Sehverlust kommt. Dieser Prozess beginnt im
sechsten Lebensjahrzehnt, zunächst nahezu unmerklich. Ab 65 Jahren sind
fast 90 Prozent betroffen. „Indem wir die natürliche Linse durch ein
Implantat tauschen, wird die ungetrübte Sicht wiederhergestellt“, sagt
Auffarth. Aber nicht nur das – der Anspruch heute geht viel weiter: Mit
dem Linsentausch sollen alle Fehlsichtigkeiten so korrigiert werden, dass
keine Brille, keine Kontaktlinse mehr erforderlich ist. „Dank
Fortschritten in der Diagnostik, bei Operationsmaschinen, OP-Mikroskopen
und Implantaten gelingt das sehr zuverlässlich“, fügt der Ärztliche
Direktor der Augenklinik am Universitätsklinikum Heidelberg hinzu.

KI hilft, Augenprobleme früh herauszufiltern
Verbesserte Diagnostik etwa hilft, problematische Patientinnen und
Patienten früh herauszufiltern, um sie zu Katarakteingriffen besser zu
beraten. So können moderne Bildanalyseverfahren wie OCT-Technologie und
Scheimpflugbildgebung mittlerweile subtile Veränderungen wie
Wölbungsanomalien der Hornhaut, Veränderungen des Sehnervs oder der Makula
entdecken, bevor sie in Erscheinung treten – auch dank KI-Algorithmen.
„Für all diese Patienten sind beispielweise Trifokallinsen nicht gut
geeignet“, erläutert Auffarth. „In solchen Fällen kommen eher die
Standard-Monofokallinsen infrage, in Ausnahmefällen aber auch Monofokal-
plus- und Tiefenschärfenlinsen.“

Tiefenschärfenlinsen machen Trifokallinsen Konkurrenz
Auch die Kunstlinsen selbst haben sich stark weiterentwickelt. Neue
Herstellungsverfahren – teilweise auch auf KI-Algorithmen basierend –
konnten den Lichtverlust bei Trifokallinsen von bis zu 20 Prozent auf
unter 10 Prozent senken. „Trotz allem sind die trifokalen Linsen nicht
frei von Licht-Nebenwirkungen, weshalb sie nicht mehr unangefochten auf
Platz eins stehen“, so Auffarth. So sind seit einiger Zeit
Tiefenschärfenlinsen auf dem Vormarsch: Nach einer Umfrage der European
Society for Cataract and Refractive Surgeons (ESCRS) aus dem Jahr 2023
wurden fast genauso viele Tiefenschärfenlinsen wie Trifokallinsen
eingesetzt.

Tiefenschärfe, trifokal, Kombi-Lösung, Monovision, Blended Vision
Um das Ziel der Brillenunabhängigkeit zu erreichen, können beide
Optiksysteme aber auch kombiniert werden. „Eine Tiefenschärfenlinse in
einem Auge und eine Trifokallinse im anderen kann im Einzelfall eine gute
Möglichkeit sein, Nebenwirkungen zu reduzieren“, erläutert Auffarth. „Dies
wird oft in Asien angewandt, wo viele stark kurzsichtig sind.“ Zur Wahl
steht ferner eine moderne Monovisionsstrategie mit Monofokal-plus-Linsen:
Ein Auge wird auf 0 Dioptrien eingestellt, das andere leicht kurzsichtig,
etwa auf minus 1 Dioptrie. „Man muss allerdings vorher durch einen
Kontaktlinsenversuch testen, ob der Patient dies verträgt“, betont
Auffarth. Eine weitere Alternative stellt das Verfahren „Blended Vision“
dar. „Dabei setzen wir Tiefenschärfenlinsen so ein, dass eine Linse die
Ferne bedient, die andere die Nähe und beide zusammen den
Intermediärbereich“, erläutert der DOG-Präsident. „Um die richtige
Strategie zu finden, muss ausreichend Zeit investiert werden.“

Künstliche Intelligenz errechnet Linsenstärken
Nach Diagnostik, ausführlicher Beratung und anschließender Wahl des
Implantats steht die individuelle Berechnung der Intraokularlinsenstärke
an. „Auch auf diesem Gebiet gibt es große Fortschritte, seit moderne
mathematische Formeln und neuerdings sogar KI-basierte
Linsenberechnungsformeln zum Einsatz kommen“, berichtet Auffarth. „Durch
KI ist die Genauigkeit einer Berechnung des postoperativen Ergebnisses im
Bereich von 0,25 Dioptrien möglich – das bedeutet de facto
Brillenunabhängigkeit.“ Hornhautverkrümmungen und unterschiedliche
Hornhautparameter können dabei präzise erfasst und in den Implantaten
berücksichtigt werden.

Intelligente Pumpsysteme, regulierter Augendruck und 3D-Brillen
Auch der Eingriff erfolgt immer schonender, immer präziser. Neuartige OP-
Mikroskope werden mit 3D-Brillen und einem großen Bildschirm genutzt –
Operateur oder Operateurin müssen nicht mehr durch die Okulare schauen,
sondern können frei im Raum das OP-Feld sehen. „Bildqualität und
Plastizität sind beeindruckend“, sagt Auffarth. Intelligente Pumpsysteme
messen die Druckverhältnisse während der Operation, um die
Flüssigkeitsmenge im Auge zu regulieren; auch der Augendruck, der bei der
Katarakt-OP aufgebaut wird, kann inzwischen so weit heruntergesetzt
werden, dass Schäden der Hornhaut und Entzündungsreaktionen minimiert
werden. „Insgesamt stehen uns mit erweiterter Diagnostik, Risikominderung
des Eingriffes und personalisierten Implantatlösungen heutzutage ganz neue
Möglichkeiten beim Katarakt-Eingriff und in der Linsenchirurgie zur
Verfügung“, resümiert Auffarth. „Das ist eine Erfolgsgeschichte, die
permanent fortgeschrieben wird.“

Hinweis: Über die neuen Behandlungsoptionen des Grauen Stars informiert
auch die Woche des Sehens, die in diesem Jahr vom 8. bis zum 15. Oktober
2024 deutschlandweit unter dem Motto „Klar sehen“ stattfindet.
Aktionspartner der Woche des Sehens sind neben der DOG und dem
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) die Christoffel-
Blindenmission, der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, das
Deutsche Komitee zur Verhütung von Blindheit, der Deutsche Verein der
Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf sowie die PRO RETINA
Deutschland. Unterstützt wird die Woche des Sehens von der Aktion Mensch.
Die TV-Journalistin Gundula Gause übernimmt erneut die Schirmherrschaft
der Kampagne. Weitere Infos, auch zu den Veranstaltungen, können
eingesehen werden unter www.woche-des-sehens.de

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