Mangelernährung im Alter: ein unterschätztes Gesundheitsrisiko

Warum ältere Menschen oft mangelernährt sind und was dagegen hilft
Viele ältere Menschen essen zu wenig oder zu einseitig – mit erheblichen
Folgen für ihre Gesundheit. Prof. Dr. Dorothee Volkert vom Lehrstuhl für
Innere Medizin (Geriatrie) der Friedrich-Alexander-Universitä
Nürnberg (FAU) erklärt, warum das Thema Mangelernährung im Alter so
relevant ist, wie man das Phänomen erkennt und was man dagegen tun kann.
Frau Prof. Volkert, warum ist Mangelernährung im Alter ein so großes
Problem?
Ältere Menschen sind besonders anfällig für Mangelernährung. Viele
altersbedingte Veränderungen und Begleiterscheinungen des Alterns
erschweren eine ausreichende Ernährung. Zudem nimmt der Anteil
hochaltriger Menschen – also ab etwa 80 Jahren – in der Bevölkerung weiter
zu, es gibt also immer mehr Betroffene. Die Folgen sind gravierend:
Mangelernährte Menschen haben ein höheres Risiko für Infektionen,
schlechtere Heilungschancen, verlängerte Krankenhausaufenthalte und
insgesamt eine reduzierte Lebensqualität. Auch die Kosten für das
Gesundheitssystem steigen dadurch erheblich.
Warum essen viele ältere Menschen zu wenig oder nicht mehr ausgewogen?
Die Gründe sind sehr vielfältig. Es ist selten eine einzelne Ursache,
meist kommen mehrere Faktoren zusammen. Altersbedingt lassen Appetit und
Durstgefühl nach. Viele Menschen haben Kau- oder Schluckprobleme.
Gleichzeitig können Mobilitätseinschränkungen, akute und chronische
Krankheiten, bestimmte Medikamente, psychische Belastungen wie Einsamkeit
oder Depression sowie soziale oder kognitive Probleme eine Rolle spielen.
Insgesamt werden über hundert Einflussfaktoren diskutiert – körperlich,
psychisch, sozial, kognitiv und medizinisch. Diese Komplexität macht die
Diagnose und Behandlung so anspruchsvoll.
Kann Mangelernährung bei so vielen möglichen Ursachen überhaupt
diagnostiziert werden?
Für eine Mangelernährung gibt es klare Kriterien. Dazu zählen ein
ungewollter Gewichtsverlust oder ein niedriges Körpergewicht bzw. eine
reduzierte Muskelmasse in Verbindung mit einer reduzierten
Nahrungsaufnahme oder erhöhtem Bedarf durch Krankheit oder Stress. In der
Praxis kommen kurze, standardisierte Fragebögen zum Einsatz, mit denen
diese Aspekte abgefragt werden, sogenanntes Screening-Instrumente. Diese
Früherkennung sollte idealerweise zur Routine gehören, vor allem in der
Versorgung älterer Patientinnen und Patienten.
Was können Angehörige von älteren Menschen tun, wenn sie den Verdacht auf
Mangelernährung haben?
Wenn Angehörige eine ungewollte Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit oder
auch einen nicht mehr so gut gefüllten Kühlschrank bemerken, sollten
unbedingt die dahintersteckenden Ursachen geklärt werden. Mögliche
medizinische Ursachen müssen durch den Hausarzt abgeklärt werden. Bei
ungenügender oder einseitiger Ernährung ohne frische Lebensmittel oder
auch ohne die tägliche warme Mahlzeit sollte Unterstützung beim Einkaufen
und Kochen oder auch ein Mahlzeitenlieferdienst organisiert werden.
Was passiert nach der Diagnose – wie wird Mangelernährung behandelt?
Zunächst wird geschaut, was genau hinter dem Problem steckt: Wir haben
dafür ein Modell entwickelt, das die wichtigsten Einflussfaktoren
systematisch ordnet und damit hilft, die Ursachen besser zu erfassen. Gibt
es funktionelle Einschränkungen? Eine zugrunde liegende Erkrankung?
Psychische Belastungen? Je nach Ursache kann zum Beispiel eine
logopädische Behandlung bei Schluckstörungen helfen oder Unterstützung im
Alltag notwendig sein. Die Ernährungstherapie selbst umfasst dann
verschiedene Maßnahmen: eine hochwertige und ausgewogene
Lebensmittelauswahl, angereichert mit besonders nährstoffreichen Zutaten
wie Nüssen, Eiern, Pflanzenölen oder Sahne. Auch Eiweißpulver,
Trinknahrung oder – in schweren Fällen – künstliche Ernährung können
sinnvoll sein. Wichtig ist, dass die Maßnahmen individuell angepasst
werden und realistisch in den Alltag integrierbar sind.
Wird Mangelernährung im medizinischen Alltag aus Ihrer Sicht ausreichend
beachtet?
Leider nicht. Das liegt unter anderem daran, dass Ernährung in der
medizinischen Ausbildung kaum eine Rolle spielt. Viele Ärztinnen und Ärzte
sind nicht geschult, Mangelernährung zu erkennen oder gezielt zu
behandeln. Zudem ist die Behandlung oft zeitaufwändig und langwierig und
das wird in unserem Gesundheitssystem leider nicht entsprechend honoriert