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Post-COVID: Betroffene teilen ihre Geschichten – für mehr Verständnis und bessere Versorgung

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Etwa 10 Prozent aller Corona-Infizierten leiden an Long-COVID. Das Projekt
DIPEx Germany der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
(MHB) hat über 40 Betroffene interviewt und ihre Erfahrungen auf
krankheitserfahrungen.de veröffentlicht. 

Bei der Vorstellung diskutierten
Expert*innen und Betroffene über die Bedeutung der vielfältigen
Krankheitserfahrungen für eine umfassende Aufklärung und Versorgung. Dabei
wurde die Notwendigkeit von mehr Forschung, Vernetzung und Empathie für
die Betroffenen unterstrichen.

Während der COVID-19-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2023 haben sich in
Deutschland rund 39 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert.
Viele Menschen sind nach der Infektion wieder vollständig genesen, aber
etwa 10 Prozent aller Betroffenen leiden laut einer Studie im Anschluss an
Long Covid. Unter diesem Begriff werden gesundheitliche Langzeitfolgen
nach einer Corona-Infektion zusammengefasst. Diese können auch nach einem
milden Verlauf auftreten und bereits während der akuten Erkrankung
beginnen. Post-COVID wird oft synonym verwendet, bezieht sich aber
speziell auf Beschwerden, die nach 12 Wochen immer noch bestehen oder neu
auftreten. Die Symptome sind vielfältig und können den Alltag stark
beeinträchtigen.

„Nutzt die Patienten, die Leidensgeschichte mitbringen, als Quelle.“ Das
ist die Botschaft von Stephan Bergmann an Ärzte und Ärztinnen. Er hat, wie
42 andere Betroffene, seine Post-COVID-Geschichte geteilt, sodass diese
vom Forschungsprojekt DIPEX Germany am Institut für Sozialmedizin und
Epidemiologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
(MHB) wissenschaftlich analysiert und für die Webseite
krankheitserfahrungen.de aufbereitet werden konnte. DIPEx Germany ist der
deutsche Ableger des internationalen Projekts DIPEx International. Ziel
des Projekts ist es, Krankheitserfahrungen von Betroffenen öffentlich zur
Verfügung zu stellen, um eine Verbesserung des Verständnisses dieser
Erfahrungen zum Nutzen von weiteren Betroffenen, Angehörigen, Forschenden,
dem Gesundheitssektor, Fachpersonal und politischen Entscheidungsträgern
zu erreichen.

Stephan Bergmann (Pseudonym) und andere Interviewpartner*innen haben ihre
Geschichten auf krankheitserfahrungen.de geteilt. Seine und alle anderen
Beiträge, die auf der Webseite präsentiert werden, sind nach
wissenschaftlichen Verfahren und Standards erhoben, analysiert und für die
Webseite aufbereitet worden. Sie dienen anderen Betroffenen als Quelle für
Trost, Inspiration und zum Vergleich mit anderen Erkrankten. Alle
Interviewpartner*innen haben zudem ihre persönlichen Botschaften
hinterlassen für andere Betroffene, aber auch für Versorgende.

Die Interviewpartner*innen unterscheiden sich im Alter, ihrer Wohn- und
Lebenssituation und wie sehr die Erkrankungen ihren Alltag verändert
haben. Die Herausforderungen, die die Erkrankung mit sich bringt und die
Schwierigkeit, gut und richtig versorgt zu werden, ist in vielen
Geschichten zu lesen. Aber auch die kleinen Dinge, die Mut machen, können
in den Erzählungen gelesen und gehört werden. Die Erfahrungsbereiche
„COVID-19“ und „Long-/Post-COVID“ wurden gefördert vom Bundesinstitut für
Öffentliche Gesundheit.

Am 20. Februar 2025 wurde das neue Modul mit einem Symposium an der MHB in
Brandenburg an der Havel erstmals öffentlich vorgestellt. Dr. Anke Spura
aus dem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) betonte bei der
Eröffnung der Veranstaltung, wie wichtig der Zugang zu verlässlichen
Informationen und der Austausch für Betroffene sei, hierfür leiste das
Projekt einen wertvollen Beitrag.

Dr. Judith Bellmann-Strobl, Oberärztin der Hochschulambulanz für
Neuroimmunologie am Experimental and Clinical Research Center, skizzierte
in ihrem Vortrag Long-/Post-COVID als chronische, postakut infektiöse
Erkrankung mit ungeklärter Ursache. Ihr Fazit: „Wir brauchen dringend vor
allem kausal orientierte Therapiestudien und flächendeckende,
spezialisierte und vernetzte Angebote.“ Dem pflichtete auch Bianca
Erdmann-Reusch, Fachärztin für Innere Medizin, Palliativmedizin und
Psychoonkologie, bei. Durch Corona kann auch die bislang wenig erforschte
Myalgische Enzephalomyelitis beziehungsweise das Chronische Fatigue-
Syndrom ausgelöst werden. Dabei handelt es sich um eine schwere
neuroimmunologische Erkrankung, die häufig zu einem hohen Grad der
körperlichen Behinderung und somit zu sozialen Hürden führt. „Betroffene
kämpfen mit Isolation, finanziellen Risiken und fehlenden Reha-Konzepten.
Es braucht individuelle Lotsen – sowohl im Gesundheitssystem als auch im
sozialrechtlichen Dschungel.“

„Die Bandbreite der Erfahrungen von Betroffenen – von Wochen bis zu Jahren
der Erschöpfung, von Selbsthilfe bis zu medizinischer Unsicherheit –
unterstreicht, wie relevant diese Perspektiven für eine ausgewogene
Aufklärung sind“, sagte Anne Thier, Koordinatorin von DIPEx Germany. Jede
Geschichte von Betroffenen habe sie bewegt und sie danke allen
Interviewpartner*inne, die sich an diesem Modul beteiligt haben.

„Erzählungen“, so Institutsleiterin Prof. Dr. Christine Holmberg, „sind
immer kontextabhängig und erlauben es, subjektive Sinnherstellungen zu
verstehen und damit für die wissenschaftliche Bearbeitung zugänglich zu
machen. In jeder Erzählung über Verlust steckt auch Hoffnung – und
umgekehrt. Diese Kontraste fordern uns auf, beides anzuerkennen: das
Trauma und die Resilienz.“ Die Interviews der Betroffenen beschreiben das
Spannungsfeld und das Wechselspiel aus Leid und Selbstermächtigung. Dies
anzuerkennen und in die Versorgung einzubeziehen, ist nun Aufgabe der
Professionellen, betonte sie.

Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Expert*innen mit dem
Publikum über Wege zur verbesserten Versorgung. Dr. Martin Spielhagen vom
DiReNa-Gesundheitsnetzwerk Brandenburg verwies auf die DiReNa-Webseite als
Ressource für die Menschen in Brandenburg. Auf dieser Webseite werden
Informationen zur Diagnostik, Rehabilitation und Nachsorge bereitgestellt.
„Nur durch solche Vernetzungen können wir Post-COVID-Betroffene nachhaltig
unterstützen“, ist Dr. Spielhagen überzeugt.

Einigkeit herrschte in der Runde darüber, dass Betroffene als Expert*innen
ihrer Erkrankung ernst genommen werden müssen – und dass ihre Geschichten
nicht nur Aufklärung, sondern auch Empathie und Verständnis schaffen.