AWMF: Sektorengrenzen in der Medizin überwinden – für eine bessere Patientenversorgung
Die reibungslose Versorgung von Patientinnen und Patienten erfordert eine
enge Zusammenarbeit zwischen Arztpraxen, Kliniken und
Rehabilitationseinrichtungen.
Doch in der Realität stellen die Übergänge
zwischen ambulanter und stationärer Behandlung oft Hürden dar –
beispielsweise, wenn wichtige Informationen bei Übergaben verloren gehen.
Die AWMF fordert deshalb, die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren im
Gesundheitswesen durchlässiger zu gestalten. Ziel müsse es sein, die
Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung aufzulösen, um
eine ganzheitlichere und effektivere Patientenbetreuung zu ermöglichen.
Bei ihrem Berliner Forum diskutiert die Arbeitsgemeinschaft der
Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) mit
Expertinnen und Experten über wissenschaftlich basierte Schritte auf dem
Weg zu einer sektorenübergreifenden Versorgung.
„Eine umfassende sektorenübergreifende Versorgung im deutschen
Gesundheitswesen ist dringend notwendig, um die Betreuung von Patientinnen
und Patienten effektiver, sicherer und reibungsloser zu gestalten“, sagt
Professor Dr. med. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF. Viel zu stark
sei die Trennung zwischen ambulanten, stationären und rehabilitativen
Versorgungsbereichen im deutschen Gesundheitswesen. „Diese Trennlinien
erschweren die Behandlung gerade von Patientinnen und Patienten mit
komplexen oder chronischen Erkrankungen erheblich“, erklärt Treede. In der
Versorgungsrealität kommt es an den Übergangen oft zu Hürden.
Beispielsweise, wenn Informationen verloren gehen und deshalb unnötige
Doppeluntersuchungen stattfinden oder falsche Medikationen erfolgen. „Dies
führt zu unnötigen Mehraufwänden beim ohnehin schon überlasteten Personal
und ließe sich durch regulatorische Maßnahmen vermeiden. Gleichzeitig
würde dies die Patientensicherheit und die Effizienz des gesamten
Gesundheitssystems steigern“, so der AWMF-Präsident.
Best practice-Beispiele für integrierte Versorgung
Bereits bestehende Modellprojekte – etwa in der Inneren Medizin, Chirurgie
oder Psychiatrie – zeigen, wie erfolgreich sektorenverbindende Ansätze
sein können. So arbeiten beispielsweise das Medizinisches
Versorgungszentrum Chirurgie in Kiel und die Klinik für Orthopädie und
Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) bei der
Organisation der ärztlichen Weiterbildung zusammen. Damit tragen beide
Einrichtungen der Tatsache Rechnung, dass immer mehr ärztliche Leistungen,
die junge Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung erlernen müssen,
ausschließlich im ambulanten Sektor – in der Haus- oder Facharztpraxis
also – erbracht werden. In der Psychiatrie bietet die „Stationsäquivalente
Behandlung“ (StäB) eine Alternative zur stationären Versorgung. Dabei
werden Patientinnen und Patienten für die Behandlung in deren häuslichem
Umfeld aufgesucht. Studien belegen eine höhere Patientenzufriedenheit,
reduzierte Wiederaufnahmen und eine gleichbleibende Behandlungsqualität.
„Diese Ansätze zeigen beispielhaft: Eine patientenzentrierte Versorgung
kann gelingen und institutionelle Barrieren überwinden“, so Treede.
Stärkt die Krankenhausreform die ambulant-stationäre Zusammenarbeit?
Dennoch wird ihr Potenzial bislang nicht ausreichend in die
Regelversorgung übernommen. Hier setzen die jüngst beschlossenen Reformen,
einschließlich der Krankenhausreform, an. „Mit den neuen Hybrid-DRGs, die
erstmals eine sektorengleiche Vergütung für ambulante und stationäre
Leistungen ermöglichen, sowie der Schaffung tagesstationärer
Behandlungsmöglichkeiten, werden wichtige Grundlagen geschaffen. Diese
Ansätze sollen die Grenzen zwischen den Versorgungsbereichen weiter
abbauen“, erläutert Professor Dr. med. Tom Bschor, Leiter und Koordinator
der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte
Krankenhausversorgung am Bundesministerium für Gesundheit.
Ein zentrales Ziel der Reform sei zudem, kleinere Krankenhäuser zu
sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen auszubauen. Diese sollen
in Regionen mit Versorgungslücken sowohl ambulante als auch stationäre
Behandlungen anbieten. „Langfristig sind jedoch weitere Schritte
notwendig. Wir brauchen eine gemeinsame Planung von ambulanten und
stationären Leistungen auf regionaler Ebene, um die Bedarfe vor Ort besser
abzustimmen“, so Bschor. Ein funktionierendes Primärarztsystem, das den
wohnortnahen Zugang zu haus- und fachärztlichen Leistungen sicherstellt,
bilde die Basis für eine effektive sektorenübergreifende Versorgung.
Auch die AWMF hat im Reformprozess immer wieder betont, dass eine
Krankenhausreform, die eine wissenschaftlich begründete,
patientenzentrierte und ressourcenbewusste Gesundheitsversorgung zum Ziel
hat, nur durch eine sektorenübergreifende und regionale Versorgungsplanung
gelingen kann. Die AWMF appelliert daher an Politik und alle Akteure im
Gesundheitswesen, die sektorenübergreifende Versorgung weiter zu stärken.
„Letztlich profitieren die Patientinnen und Patienten von einer engeren
Verzahnung der Versorgung. Wichtig ist dabei, die wissenschaftliche
Expertise der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften unter
dem Dach der AWMF einzubeziehen“, resümiert Professor Treede.
Bei ihrem morgigen Berliner Forum erarbeitet die AWMF gemeinsam mit
relevanten Akteurinnen und Akteuren aus Medizin und Wissenschaft konkrete
Handlungsempfehlungen, die in einer Publikation zusammengefasst werden.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften (AWMF) e. V. bündelt die Interessen der medizinischen
Wissenschaft und trägt sie verstärkt nach außen. Sie handelt dabei im
Auftrag ihrer 184 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften.
Gegründet 1962 mit dem Ziel, gemeinsame Interessen stärker gegenüber dem
Staat und der ärztlichen Selbstverwaltung zu positionieren, erarbeitet die
AWMF seitdem Empfehlungen und Resolutionen und vertritt diese im
wissenschaftlichen und politischen Raum. Die AWMF ist Ansprechpartner für
gesundheitspolitische Entscheidungsträger, wie den Gemeinsamen
Bundesausschuss, und koordiniert die Entwicklung und Aktualisierung
medizinisch-wissenschaftlicher Leitlinien in Deutschland. Jede
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sie sich wissenschaftlichen Fragen der Medizin widmet. Die AWMF finanziert
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