Zum Hauptinhalt springen

Statement: Weltnichtrauchertag am 31. Mai: Neustart in der Tabakpolitik notwendig

Pin It

Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver sieht Alternativen zum Rauchen von
Tabak

Laut der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Studie zum
Rauchverhalten (DEBRA) konsumieren über 30 Prozent der deutschen
Bevölkerung Zigaretten. Bei den 18- bis 24-Jährigen sind es sogar fast 40
Prozent. Demgegenüber liegt die Quote für die Nutzung von E-Zigaretten bei
1,8 Prozent. Dennoch konzentriert sich die öffentliche Kommunikation der
Gesundheitspolitik vor allem auf eine vermeintlich hohe Verbreitung von
E-Zigaretten. Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver, Leiter des Instituts
für Suchtforschung Frankfurt (ISFF) an der Frankfurt University of Applied
Sciences (Frankfurt UAS), sieht darin eine Schieflage der Debatte, die das
tatsächliche Problem ignoriere: „Angesichts dieser dramatischen Zahlen
muss das Ziel klar sein: die Menschen um jeden Preis von der Zigarette
wegzubekommen. Die üblichen Flyer und Raucher*innentelefone reichen
offensichtlich nicht aus. Was wir brauchen, ist ein pragmatischer Ansatz,
um Raucher*innen von der schädlichsten aller Konsumformen, dem Rauchen von
Tabak, wegzubekommen.“ Ob hier Kaugummis, Verhaltenstherapien oder
risikoärmere Aufnahmeformen wie Tabakerhitzer, E-Zigaretten oder
Nikotinbeutel bzw. eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen den
Übergang ins rauchfreie Leben ebnen, sei laut Stöver zweitrangig. „Fakt
ist, dass wir pragmatisch handeln müssen. Es muss endlich etwas passieren,
sonst stehen wir auch beim Weltnichtrauchertag 2044 noch am selben Punkt.“

Der Suchtforscher ergänzt: „Der große Wurf wird uns nicht von jetzt auf
gleich gelingen. Stattdessen braucht es viele kleine Schritte, um die
Zigarette langfristig zu besiegen. Die Strategie der Schadensminimierung
(engl. Harm Reduction) wird im Bereich der ‚harten‘ Drogen erfolgreich
angewendet und steht auch so im Koalitionsvertrag. Das heißt, den
Konsument*innen wird eine weniger schädliche Konsumform ermöglicht. Wir
sollten auch den Tabak als ‚harte‘ Droge sehen und entsprechend handeln.
Jede nicht gerauchte Zigarette ist ein Erfolg.“

Stöver weiter: „Für mich sind die schwedischen Zahlen zur geringen
Krebshäufigkeit die zentralen Parameter einer gelungenen
Tabakkontrollpolitik. Schweden ist nicht nikotinfrei, hat mit Snus – also
Oraltabak – und Nikotinbeuteln aber ein wahres Kunststück vollbracht –
nämlich ein nahezu rauchfreies Land zu werden. Die EU leistet sich aber
dennoch weiterhin eine paradoxe Tabakkontrollpolitik: Zigaretten sind
überall verfügbar, obwohl sie erwiesenermaßen bis zu zwei Drittel ihrer
langjährigen Anwender*innen töten. Ein risikoreduziertes Produkt wie Snus
aber ist, außer in Schweden, EU-weit verboten, obwohl es nachweislich das
Tabakelend lindert sowie Krankheiten und den Tod zurückdrängt. Das ist zu
eindimensional und offensichtlich seit Jahrzehnten nicht erfolgreich.“

Nur durch ein grundlegendes Umdenken nach schwedischem Vorbild könne die
Bundesregierung ihre selbstgesteckten Ziele erreichen, so der
Suchtforscher. Andernfalls bleibe 'commit to quit' für viele
Konsument*innen nur ein Wunsch, der mangels Unterstützung nicht in
Erfüllung gehe, meint Stöver.

Zum ISFF:
Das Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of
Applied Sciences wurde 1997 ins Leben gerufen von Prof. Dr. Volker Happel,
Prof. Dr. Dieter Henkel und Prof. Dr. Irmgard Vogt. Es sieht seine Aufgabe
darin, Sucht in ihren verschiedenen Erscheinungsformen sowie die mit Sucht
in Zusammenhang stehenden Probleme und Aspekte zu erforschen. Das Institut
fördert den Ausbau von interdisziplinären Beziehungen zu
Kooperationspartnern auf regionaler, nationaler, europäischer und
internationaler Ebene. Forschungsprozesse und -resultate sollen in Lehre
und Studium Berücksichtigung finden und nutzbar gemacht werden.

Seit dem Sommersemester 2009 ist Prof. Dr. Heino Stöver Professor an der
Frankfurt UAS (ehemals Fachhochschule Frankfurt am Main), Fachbereich 4 –
Soziale Arbeit und Gesundheit (Schwerpunkt Sozialwissenschaftliche
Suchtforschung). Seit 1. September 2009 ist er geschäftsführender Direktor
des ISFF.