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Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF) beklagt als
Patientenvertretung bedenklichen Versorgungsengpass in der kardiologischen
Rehabilitation für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH)/
Herzstiftungs-Vorstand: „Fataler Mangel an Reha-Angebot“

Sie ist lebenswichtig für die Betroffenen. Aber verbunden mit Frust und
sehr belastend für die familiäre und berufliche Situation gestaltet sie
sich derzeit: die Versorgung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler
(EMAH) in der kardiologischen Rehabilitation. Die Reha für diese Patienten
muss EMAH-fachgerecht sein, weil sie eine auf die Komplexität der über
vierzig verschiedenen angeborenen Herzfehler (AHF) ausgerichtete Expertise
erfordert. Aber nur wenige Nachsorge-Kliniken hierzulande sind auf die
kardiologische Reha für EMAH-Patient:innen ausgerichtet. „Dieser fatale,
gleichwohl vermeidbare Mangel darf nicht dazu führen, dass EMAH jetzt in
ein Versorgungsloch fallen. Schließlich geht es um das Wohl von über
350.000 EMAH in Deutschland, die von Geburt an auf eine lebenslange
spezifische Nachsorge ihres Herzfehlers angewiesen sind. Darunter befinden
sich auch Patient:innen mit schwerwiegenden operationsbedürftigen Rest-
und Folgezuständen ihres Herzens“, warnt Prof. Dr. Stefan Hofer,
Elternvertreter herzkranker Kinder im Vorstand der Deutschen Herzstiftung.
In aller Regel müssten EMAH mehrere Monate bis zu einem Jahr auf eine
stationäre Reha warten, sofern es sich nicht um eine
Anschlussheilbehandlung (AHB) unmittelbar nach einem herzchirurgischen
oder interventionellen Eingriff handelt. Auf das fehlende kardiologische
Reha-Angebot für EMAH in Deutschland macht das Aktionsbündnis Angeborene
Herzfehler (ABAHF), dem die Herzstiftung angehört, zum Tag des herzkranken
Kindes (5. Mai) aufmerksam. Infos zur Rehabilitation für EMAH bietet die
Herzstiftung unter https://herzstiftung.de/emah

„Kaum qualifizierte Anbieter für leitlinienkonforme Rehabilitation von
EMAH“
Jährlich kommen 8.700 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt, von denen dank
des herzmedizinischen Fortschritts heute über 95 Prozent das
Erwachsenenalter erreichen und mit über 350.000 EMAH eine stetig wachsende
Patientengruppe bilden. Eine viel zu große Gruppe für die wenigen Reha-
Kliniken mit fachlicher Expertise in der Betreuung von EMAH. „Die
Versorgung von EMAH in der kardiologischen Rehabilitation ist derzeit
katastrophal“, sagt Christina Pack, selbst EMAH-Patientin und 1.
Vorstandsvorsitzende des Bundesvereins Jugendliche und Erwachsene mit
angeborenem Herzfehler JEMAH e.V. Der Bundesverein ist Partner im ABAHF.
„Uns berichten EMAH zunehmend, dass es derzeit – bis auf wenige Ausnahmen
- kaum qualifizierte Anbieter für eine leitlinienkonforme Rehabilitation
von EMAH in Deutschland gibt“, berichtet Pack. Zu beobachten sei, dass
EMAH von einem bewilligten Aufenthalt in einer Rehaklinik für EMAH-
Patient:innen doch noch einer Klinik ohne EMAH-Expertise zugeteilt würden.
„Das ist aus Sicht der Betroffenen dramatisch bis katastrophal, denn es
kann für diese Patient:innen physisch und psychisch einiges schiefgehen“,
so Pack.
Wenige Ausnahmen unter den Reha-Kliniken mit ausgewiesener EMAH-Expertise,
die Patient:innen betreuen, stellen beispielsweise die Nachsorgeklinik
Tannheim im Schwarzwald oder die Klinik Höhenried am Starnberger See dar.
In beiden Kliniken werden EMAH-Patient:innen von EMAH-Kardiolog:innen
betreut, die über die Zusatz-Weiterbildung „Spezielle Kardiologie für
Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH)“ in Ergänzung zu einer
Facharztkompetenz verfügen. In Deutschland gibt es nach Angaben der
Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene
Herzfehler (DGPK) ca. 180 EMAH-zertifizierte Kardiolog:innen, den Großteil
davon (mehr als 150) stellen die Kinderkardiolog:innen, alle übrigen sind
Kardiolog:innen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist in den
überregionalen EMAH-Zentren und den regionalen EMAH-Schwerpunktpraxen und
-kliniken tätig. In Reha-Kliniken fehlt ihre Expertise zurzeit. „Auch
deshalb müssen Patient:innen wegen des hohen Zulaufs auf die wenigen Reha-
Kliniken mit EMAH-Expertise mit mehrmonatigen Wartezeiten rechnen“, räumt
die Reha-Spezialistin Dr. Christa Bongarth, Chefärztin der Abteilung für
Kardiologie der Klinik Höhenried, ein. Ihre Klinik betreut pro Jahr etwa
100 EMAH-Patient:innen.

Hohe Betreuungsintensität und zu wenige EMAH-Ärzt:innen in Rehakliniken
Die Gründe für den enormen Versorgungsengpass sind vielfältig. „Die
Betreuung von EMAH ist viel aufwendiger als bei Patient:innen mit
erworbenen Herzerkrankungen, die sich beispielsweise nach einem
Herzinfarkt oder nach einer Herzschrittmacher-Implantation in eine
Rehaklinik begeben“, erklärt Dr. Bongarth. Wer als EMAH mit einem Ein-
Kammer-Herz geboren wurde, hat mehrere Operationen in Kindheit und Jugend
hinter sich. Und auch erfolgreich korrigiert, erfordert ein „Fontanherz“,
so benannt nach dem Erstoperateur dieser chirurgischen Prozedur, im
Erwachsenenleben des Patienten weitere Reha-Aufenthalte. Auch können bei
den Patienten im Krankheitsverlauf weitere Herzkomplikationen wie
Rhythmusstörungen hinzukommen, die zusätzlich zu versorgen sind. Ähnlich
verhält es sich bei Patient:innen mit einer Transposition der großen
Arterien (TGA). „Bei EMAH ist der Bedarf an Einzeltherapie meistens höher.
Und es erfordert ein Team aus Spezialisten für die kardiologische,
psychosomatische, sporttherapeutische und sozialmedizinische Betreuung.
Das ist personal-, zeit- und kostenintensiv“, so Dr. Bongarth. Bei der
Betreuung von EMAH geht es auch um Themen wie Schwerbehinderung,
Familiengründung, Schwangerschaft oder Berufsplanung bzw. berufliche
Neuorientierung und Wiedereingliederung in das Berufsleben. Je nach Art
und Komplexität des Herzfehlers unterscheidet sich auch die physische
Belastbarkeit von EMAH und damit auch die Art und Intensität der
zumutbaren körperlichen Aktivität. Das erschwere die Integration in eine
Trainingsgruppe mit anderen Herzpatient:innen in einer herkömmlichen Reha-
Klinik. Allesamt Faktoren, die von den Rentenversicherungsträgern und
Krankenkassen nach Aussage von Reha-Spezialistinnen wie Dr. Bongarth nicht
in der Vergütung von Rehaleistungen von EMAH in Kliniken mit EMAH-
Expertise berücksichtigt werden. Bei herztransplantierten oder Kunstherz-
Patient:innen sei das schon der Fall. „Dabei könnte eine bessere
Vergütung, die dem Betreuungsaufwand dieser Patient:innen gerecht würde,
einen Anreiz für weitere Reha-Kliniken schaffen, ihr Betreuungsangebot für
EMAH zu erweitern“, ist Reha-Spezialistin Dr. Bongarth überzeugt.

Was ist zu tun, um die kardiologische Reha für EMAH zu verbessern?
Nicht nur für die Leidtragenden selbst, sondern auch im Sinne des
Gesundheits- und Sozialversicherungswesens ist am Reha-Versorgungsengpass
für die stetig wachsende Patient:innengruppe der EMAH dringend etwas zu
ändern. „Diese Mangelversorgung beeinträchtigt die Wiedereingliederung von
EMAH in den Arbeitsmarkt und die Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit.
Damit fallen zugleich wertvolle Mitglieder der Beitragszahlergemeinschaft
aus. Wer ein Jahr auf seine Reha-Maßnahme warten muss, der fehlt dem
Arbeitsmarkt“, gibt die JEMAH-Vorsitzende Christina Pack zu bedenken.

Einen Ansatz für die Patientengruppe der jüngeren EMAH im Alter bis ca. 25
Jahre sieht DGPK-Präsidentin und EMAH-Spezialistin Prof. Dr. Ulrike
Herberg in solchen Rehabilitationskliniken, die Reha-Behandlungen für
chronisch kranke Kinder und Jugendliche bzw. eine Familienorientierte Reha
(FOR) anbieten. Das sind die Nachsorgekliniken Tannheim (FOR und junge
Reha), Bad Oexen (FOR) und die Ostseeklinik Boltenhagen (Kinder-Reha,
Mutter-Kind-Kuren). „Jüngere EMAH bis zu einem Alter von etwa 25 Jahren
sehen wir in diesen Kliniken mit Themen wie Berufs- und Lebensplanung
sowie Familiengründung gut versorgt“, so Prof. Herberg, Leiterin des
überregionalen EMAH-Zentrums am Universitätsklinikum Aachen. Für ältere
EMAH-Patient:innen ab 35 Jahren sieht die DGPK die Notwendigkeit, das
Spektrum der Reha-Kliniken mit EMAH-Expertise zu erweitern, weil bei
diesen Patient:innen Komorbiditäten beziehungsweise erworbene Herz-
Kreislauf-Erkrankungen dazu kommen wie koronare Herzkrankheit,
Klappenerkrankungen oder Herzinsuffizienz. „Es wäre wünschenswert, wenn
sich zum Beispiel drei bis fünf kardiologische Reha-Kliniken bereit
erklären würden, sich der EMAH-Patient:innen anzunehmen. Es sollte dann
während der Reha-Maßnahme, also des stationären oder ambulanten
Aufenthaltes, eine EMAH-Kardiologin oder ein EMAH-Kardiologe in der Klinik
verfügbar sein und individuell die notwendigen Maßnahmen für den/die EMAH-
Patient:in empfehlen“, so Prof. Herberg. Welche Reha-Kliniken in Nord-,
Süd- und Mitteldeutschland eine EMAH-Erweiterung vollziehen könnten, dazu
müssten sich die Fachgesellschaften DGPK und die Deutsche Gesellschaft für
Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) erst
austauschen. „Ein Netzwerk von Reha-Kliniken einschließlich der auf Kinder
und Jugendliche spezialisierten Einrichtungen wäre zu begrüßen und
hilfreich“, erklärt dazu die DGPK-Präsidentin. Ein unüberwindliches
Problem der Kostenübernahme durch Krankenkassen beziehungsweise
Rentenversicherungsträger sehe sie nicht.

Leitlinienkonforme Nachsorge von EMAH lebenswichtig
Wie wichtig eine leitlinienkonforme Versorgung von Menschen mit AHF ist,
hat unlängst das Projekt OptAHF mit Hilfe von Daten des Statistischen
Bundesamtes und der BARMER aufgezeigt. Nach Angaben des Gemeinsame
Bundesausschusses (G-BA) zeigen die Ergebnisse dieses Projekts u.a., dass
„entgegen geltender Leitlinienempfehlung fast 50 Prozent der erwachsenen
Patientinnen und Patienten mit einem AHF ausschließlich hausärztlich
versorgt wurden“, d.h. nicht in EMAH-Schwerpunktpraxen und EMAH-Ambulanzen
der EMAH-Zentren bzw. EMAH-Kliniken. „Dies betraf auch über 25 Prozent der
Patientinnen und Patienten mit komplexen AHF“. Dabei sind, wie der G-BA
betont, Menschen mit AHF „auf eine lebenslange, spezifische Betreuung
angewiesen“. Der G-BA stellte fest: „Diese Versorgung war mit einem
signifikant früheren und höheren Sterberisiko und dem Risiko von schweren
unerwünschten Ereignissen assoziiert.“ Die DGPK sieht hier die
Krankenkassen als potenzielle Stellen, EMAH unter ihren Mitgliedern über
die regelmäßige Nachsorge ihres Herzfehlers bei einem EMAH-zertifizierten
Kardiologen zu informieren.
(wi)

Literatur
Link zum Projekt OptAHF: https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-
meldungen/1168/


Service
Informationen zur Rehabilitation für EMAH, darunter einen EMAH-Ratgeber,
bietet die Herzstiftung unter https://herzstiftung.de/emah

Für Menschen mit angeborenem Herzfehler ist der Online-Suchdienst „Dein
Herzlotse“ unter https://herzstiftung.de/dein-herzlotse eine Hilfe bei der
Arzt- und Kliniksuche.

Das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF)
Um in der Öffentlichkeit mit einer Stimme für eine bessere Versorgung von
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern und
deren Familien einzutreten und ihnen noch effektiver zu helfen, haben sich
2014 auf Initiative der Deutschen Herzstiftung e. V. bundesweit tätige
Patientenorganisationen zum „Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler“ (ABAHF)
zusammengeschlossen. Die Organisationen sind: Bundesverband Herzkranke
Kinder e.V., Bundesverein Jemah e.V., Herzkind e.V.,
Interessengemeinschaft Das Herzkranke Kind e.V. und die Kinderherzstiftung
der Deutschen Herzstiftung e.V.
Etwa 8.700 Neugeborene mit angeborenem Herzfehler kommen in Deutschland
jährlich zur Welt. Heute erreichen rund 95 % dieser Kinder dank der
Fortschritte der Kinderherzchirurgie und Kinderkardiologie das
Erwachsenenalter. Die Zahl der Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler
(EMAH) wird auf über 350.000 geschätzt. Zur Homepage:
https://www.abahf.de/