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Wer einen Eingriff am Herzen vor sich hat, kann eine zweite Meinung vom
Arzt einholen. Ein erfahrener Kardiologe erklärt die damit verbundenen
Chancen und Grenzen – und welche No-Gos zu beachten sind

Jährlich unterziehen sich hunderttausende Herzpatienten einem Eingriff am
Herzen per Herzkatheter (interventionell) oder chirurgisch. Beispielsweise
dokumentiert der Deutsche Herzbericht zur Behandlung der koronaren
Herzkrankheit (KHK), der Grunderkrankung des Herzinfarkts, für das Jahr
2021 über 36.000 Bypass-Operationen und über 300.000 implantierte
Gefäßstützen (Stents). Und für die kathetergeführte Verödung fehlerhafter
Erregungsherde (Ablation) zur Behandlung von Vorhofflimmern sind für 2021
rund 103.000 Katheter-Ablationen zu verzeichnen (Deutscher Herzbericht
2022). Betroffene, denen ein vorausplanbarer Eingriff bevorsteht, können
eine zweite ärztliche Meinung einholen, wenn sie an der Notwendigkeit
eines Eingriffs Zweifel haben. „Bestimmte medizinische Entscheidungen sind
eine Sache des Ermessens und Ärzte können ein und dieselbe Situation
unterschiedlich beurteilen“, berichtet Prof. Dr. Thomas Meinertz vom
Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung in einem Experten-
Beitrag in der aktuellen Ausgabe von HERZ heute. „Ebenso wird den
Patienten deutlich, wie häufig ärztliche Entscheidungen nicht
übereinstimmen beziehungsweise voneinander abweichen“, so der Hamburger
Kardiologe. In seinem Beitrag „Im Zweifel zum Zweiten“ in der Ausgabe
1/2024 von HERZ heute erläutert Meinertz, vor seiner Emeritierung
langjähriger Ärztlicher Direktor des Universitären Herzzentrums Hamburg,
wann es sinnvoll ist, die zusätzliche Einschätzung eines Arztes
einzuholen. Er gibt zudem wichtige Hinweise, worauf Herzkranke vor ihrem
Eingriff achten sollten. Die HERZ heute-Ausgabe kann kostenfrei
telefonisch unter 069 955128-400 oder unter www.herzstiftung.de/bestellung
bei der Herzstiftung bestellt werden.

Zweitmeinung nur dann, wenn keine Zeitnot besteht
Das Einholen einer ärztlichen Zweitmeinung, einer „second opinion“, nimmt
seinen Ursprung mit der zunehmenden Spezialisierung und Differenzierung in
der Medizin: Wenn für Diagnosen und Therapien mehrere „gleichwertige“
Vorgehensweisen verfügbar sind, ist die zweite Meinung immer häufiger
gefragt. Nur dürfe sie auf keinen Fall eingeholt werden, wenn bereits
Gefahr in Verzug ist, etwa bei einem akuten Koronarsyndrom oder einem
Herzinfarkt. „Der Versuch, in einer derartigen Situation eine zweite
Meinung einzufordern und auf diese Weise unnötig Zeit zu verlieren, kann
für den Patienten tödlich enden“, warnt Meinertz. Eine Zweitmeinung sei
nur dann von Nutzen, wenn ohne Zeitdruck schwerwiegende medizinische
Entscheidungen für einen Patienten zu treffen sind, also etwa vor einer
empfohlenen chirurgischen oder interventionellen Therapie.

Bei welchen Herz-Eingriffen ist die Zweitmeinung sinnvoll?
Bei Herzpatienten kann das Einholen einer Zweitmeinung bei folgenden
Eingriffen sinnvoll sein:
- Perkutane koronare Intervention (PCI): ein Katheterverfahren, um
verengte Herzkranzgefäße zu öffnen, oft wird gleichzeitig ein Stent
eingebracht;
-       Bypassoperation: dabei wird chirurgisch eine Umgehung (Bypass)
geschaffen, um verengte Blutgefäße zu überbrücken;
- Operativer Ersatz von kranken Herzklappen;
- Kathetergestützte elektrophysiologische Herzuntersuchungen und
Ablationen (Verödungen) am Herzen;
- Ersatz kranker Herzklappen mithilfe eines Katheters (interventionelle
Klappentherapie, TAVI );
- Einpflanzen eines Schrittmachers oder Defibrillators, kardiale
Resynchronisationstherapie (CRT);
- Operation angeborener Herzfehler;
- Herz- oder Lungentransplantation;
-       Operation von Aortenaneurysmen.

Besonders kritisch sieht der Herzspezialist die Entscheidung zwischen
operativer und interventioneller Therapie. „Wichtig ist, dass der um die
Zweitmeinung Gefragte nicht von vorneherein auf eines der beiden Verfahren
festgelegt ist.“ Ebenso entscheidend sei, dass der beratende Arzt dazu
bereit ist, von einem operativen oder interventionellen Eingriff
gegebenenfalls ganz abzuraten und stattdessen eine „konservative“
Behandlung, etwa mit Medikamenten, zu empfehlen. Im Alltag kaum
praktiziert, obschon theoretisch möglich, wird das Einholen einer
Zweitmeinung bei einer Herz- oder Lungentransplantation.
Die Kosten für eine ärztliche Zweitmeinung tragen die gesetzlichen
Krankenkassen bei den gesetzlich vorgeschriebenen Indikationen. Darunter
fallen im kardiologischen/herzchirurgischen Bereich die kathetergestützte
elektrophysiologische Herzuntersuchung (EPU) und die Katheter-Ablation am
Herzen, die Implantation von Schrittmacher, Defibrillator und CRT sowie ab
Oktober 2024 die Operation von Aortenaneurysmen. Manche gesetzlichen
Kassen bieten ihren Versicherten ein Zweitmeinungsangebot, das über die
gesetzlich vorgeschriebenen Indikationen hinausgeht. Hierfür ist eine
gezielte Nachfrage bei der eigenen Krankenkasse sinnvoll. Infos zur
Richtlinie de Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA):
www.g-ba.de/richtlinien/107/

Häufig wird nach dem besten Zentrum für einen Eingriff gefragt
Bei der Empfehlung zur operativen oder interventionellen Therapie wird
häufig auch danach gefragt, wo diese Therapie am besten erfolgen sollte.
„Abgesehen von seltenen Fällen ist es schwierig, einzelne Zentren für eine
medizinische Maßnahme zu empfehlen. Vielmehr sollten dem Anfragenden
mehrere Zentren genannt werden, in denen eine empfohlene Therapie gut
erfolgen kann“, rät Meinertz. „Selbstverständlich wird der beratende Arzt
dabei seine eigenen Erfahrungen einbeziehen.“ Herzpatienten finden auf der
Herzstiftungs-Homepage unter https://herzstiftung.de/arztsuche hilfreiche
Links zu externen Stellen wie z. B. Kliniken mit Zertifizierungen für
bestimmte medizinische Therapien oder Fachabteilungen über die Websites
der Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK) und
Kinderkardiologie/Angeborene Herzfehler (DGPK) oder für Herzchirurgie
(DGTHG). Für Menschen mit angeborenem Herzfehler ist der Online-Suchdienst
der Kinderherzstiftung „Dein Herzlotse“ unter https://herzstiftung.de
/dein-herzlotse eine Hilfe bei der Arzt- und Kliniksuche.

Woher bekomme ich den richtigen Zweitmeinungsarzt?
Die Auswahl des Spezialisten für die Zweitmeinung sollte nach dem
Erkundigen durch den
Patienten, beispielsweise bei den Krankenkassen oder Ärztekammern,
erfolgen. Informationen über das Internet einzuholen hält, Kardiologe
Meinertz für problematisch, „da hier positive Selbstdarstellungen eine
entscheidende Rolle spielen“. Auch der primär behandelnde Arzt könne eine
Empfehlung für einen Zweitmeinungsfachmann aussprechen. Dass der primär
behandelnde Arzt dem um die Zweitmeinung angefragten Arzt relevante
Befunde überlässt, ist das Recht des Patienten.

Diese No-Gos sind zu beachten
Prof. Meinertz stellt in HERZ heute einige Szenarien vor, die Patienten
bei einer Zweitmeinung beachten sollten. Hier ist eine Auswahl daraus:
- Die Gefahr der Voreingenommenheit des Zweitmeinenden besteht, wenn der
behandelnde Arzt einen befreundeten Spezialisten anruft, ihn über die
Situation seines Patienten informiert und dem um eine zweite Meinung
angefragten Arzt diejenige Empfehlung begründet, die er bereits gegenüber
seinem Patienten abgegeben hat.
- Nicht selten rät der primär behandelnde Arzt seinem Patienten davon ab,
eine zweite
Meinung einzuholen. Bittet der Patient um die Möglichkeit, eine
Zweitmeinung einzuholen, sollte der behandelnde Arzt das dem Patienten
nicht verweigern. In keinem Fall sollte der primär behandelnde Arzt einem
Patienten seine Fürsorge entziehen, wenn dieser gegen seinen Rat eine
Zweitmeinung einfordert.
- In keinem Fall sollte der um die Zweitmeinung Gebetene sich selbst als
weiteren Therapeuten anbieten.

Die Basis einer gelingenden Therapie ist das Vertrauen in den behandelnden
Arzt. Eine Zweitmeinung kann und sollte im besten Fall dem Patienten eine
Hilfe bei der Entscheidungsfindung für die richtige Therapie sein, jedoch
ihn nicht zusätzlich verunsichern und das Vertrauen in den Arzt
erschüttern. „Was der Patient in jedem Fall vermeiden sollte: Nach der
Zweitmeinung noch eine Dritt- oder Viertmeinung einzuholen. Das führt
nicht selten zu einer kompletten Verunsicherung des Anfragenden“, so
Meinertz.
(wi)

Literatur:
Meinertz T, Im Zweifel zum Zweiten, HERZ heute 2024; 1:41-43

Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zum
Zweitmeinungsverfahren: www.g-ba.de/richtlinien/107/

Infos der Verbraucherzentrale:
https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-
kliniken/aerztliche-zweitmeinung-was-die-krankenkasse-zahlt-13493


Service
Mehr Informationen rund um das Thema Zweitmeinung einholen bietet die
Herzstiftung in der Ausgabe 1/2024 ihrer Zeitschrift HERZ heute mit dem
Titel „Herz in Not – Wenn die Herzkranzgefäße erkranken“. Ein Probe-
Exemplar dieser Ausgabe kann kostenfrei unter Tel. 069 955128-400 oder
unter https://herzstiftung.de/bestellung angefordert werden.

Auf der Herzstiftungs-Homepage unter https://herzstiftung.de/arztsuche
finden Herzpatienten hilfreiche Links zu externen Stellen wie z. B.
Kliniken mit Zertifizierungen von herzmedizinischen Fachgesellschaften für
bestimmte medizinische Therapien.