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Aortenaneurysmen: Neue Chancen dank komplexer Operation

Carola Zschocke leidet am Marfan Syndrom
Carola Zschocke leidet am Marfan Syndrom
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Carola Zschocke leidet am Marfan Syndrom
Carola Zschocke leidet am Marfan Syndrom

Der Bereich für Gefäß- und Endovaskuläre Chirurgie in der Klinik für
Viszeral,- Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Carl Gustav
Carus Dresden hat seit seiner Gründung im Mai 2015 sein Spektrum deutlich
erweitern können. Verantwortlich für den Aufbau des Bereichs ist dessen
Leiter Prof. Christian Reeps, der hierzu von München nach Dresden
gewechselt ist. In den vergangenen Jahren haben der erfahrene Gefäßchirurg
und sein mittlerweile 15-köpfiges Ärzteteam weit mehr als 5.000 Patienten
operiert. Ein besonderer Schwerpunkt lag hierbei unter anderem in der
minimalinvasiven Behandlung,

von krankhaften Erweiterungen der Hauptschlagader – dem sogenannten
Aortenaneurysma – von der vor allem ältere und kränkere Patienten
profitierten. Je nach Alter und Krankheitsbild können offene
Hauptschlagader-Operationen aber auch weiterhin eine gute und in
bestimmten Fällen sogar die einzige sinnvolle Alternative darstellen. Dies
zeigt das Beispiel einer heute 37-jährigen Patientin, die aufgrund einer
seltenen Erkrankung des Bindegewebes, dem sogenannten Marfan-Syndrom,
einen lebensgefährlichen Riss dieses Gefäßes mit weiteren
krankheitsbedingten Komplikationen erlitt. Nach mehreren Operationen hat
sich die zweifache Mutter nun soweit erholt, dass sie ihren Alltag auch
dank der Hilfe ihres Mannes wieder meistern kann.

Carola Zschocke leidet am Marfan-Syndrom und dadurch an einem Gefäßriss der Aorta. Komplexe Operationen retteten ihr das Leben.  UKD/Thomas Albrecht
Carola Zschocke leidet am Marfan-Syndrom und dadurch an einem Gefäßriss der Aorta. Komplexe Operationen retteten ihr das Leben. UKD/Thomas Albrecht

Dass Carola Zschocke überhaupt noch am Leben ist, grenzt an ein Wunder. Im
November 2018 wurde sie mit einem diagnostizierten Riss in der
Hauptschlagader (Aorta) mit dem Hubschrauber in das Dresdner
Universitätsklinikum eingeliefert. Gleichzeitig war bei der damals
35-Jährigen die Speiseröhre betroffen – die um bis zu zehn Zentimeter
erweiterte Aorta hatte ein Loch in das Organ gerieben und gleichzeitig auf
das Herz gedrückt. „Krankhafte Erweiterungen der Hauptschlagader, so
genannte Aortenaneurysmen, stellen eine tödliche Bedrohung dar. Wenn sie
platzen, geht es um Minuten, die Überlebenschancen sind sonst gering und
wenn dann noch die Speiseröhre betroffen ist, steht es noch schlechter um
den Patienten“, sagt Prof. Christian Reeps. Vor fünf Jahren ist der
erfahrene Gefäßchirurg an das Uniklinikum Dresden gewechselt und hat den
Bereich für Gefäß- und Endovaskuläre Chirurgie deutlich ausgebaut.
Gemeinsam mit seinem Team konnte der Chirurg die junge Frau erfolgreich
behandeln und begleitet sie seitdem medizinisch. Im neuen, operativen
Zentrum des Klinikums – dem Haus 32 – können Experten zudem auf eine
hervorragende Infrastruktur inklusive zweier Hybrid-OPs setzen, um
Patienten wie Carola Zschocke zu behandeln.

Insgesamt werden bei etwa drei Prozent der Menschen im Alter über 50
Jahren so genannte abdominelle Aortenaneurysmen, also bedrohliche
Erweiterungen der Aorta, diagnostiziert. Fünf von 100 Männern über 65
Jahre leiden an dieser Erkrankung, die dringend überwacht werden muss,
sofern sie rechtzeitig diagnostiziert wurde. Bei einem von 100 Patienten
ist eine umgehende Behandlung erforderlich. Besonders gefährdet sind
aktive und frühere Raucher. Grund für Erkrankungen der Hauptschlagader
können aber auch erbliche Veranlagungen sein. So wie bei Carola Zschocke,
die unter dem Marfan Syndrom leidet. Nur ein bis zwei Menschen von 10.000
zeigen diese genetisch bedingte Bindegewebsschwäche, weshalb diese zu den
seltenen Erkrankungen zählt. Dabei kommt es unter anderem häufig zu
gefährlichen Erweiterungen der Blutgefäße. Besonders betroffen davon ist
die Hauptschlagader. So lässt sich das Aneurysma Ende 2018 bei der
Patientin aus Schönbrunn erklären. „Mir wurde auf Arbeit schlecht, dann
habe ich Blut erbrochen“, sagt sie. Kollegen brachten sie in eine nahe
Klinik. Danach ging alles ganz schnell. In einer gemeinsamen Not-Operation
haben die Spezialisten der Gefäß- und Viszeralchirurgie am Uniklinikum
Dresden zunächst die gerissene Brustschlagader ersetzt und zugleich einen
Teil der ebenfalls betroffenen Speiseröhre entfernt. Diese sowie die
Anschluss-OP mit Ersatz der kompletten Bauchschlagader inklusive aller
Organ- und Beckenarterien im März 2019 mussten die Ärzte am offenen Körper
unter Einsatz einer Art Herz-Lungenmaschine genannt ECMO durchführen, um
während der OP die Durchblutung der Organ- und Beinarterien sicherstellen
zu können. ECMO steht für „Extrakorporale Membranoxygenierung“ – ein
maschinelles Lungen- und Kreislaufersatzverfahren, bei dem das Blut des
Patienten entnommen, außerhalb des Körpers das Kohlendioxid entzogen und
mit Sauerstoff angereichert und dem Körper zur Durchblutung zurückgegeben
wird.

Dabei setzt der Bereich für Gefäß- und Endovaskuläre Chirurgie am
Uniklinikum Dresden auf ein breites Spektrum an Kompetenz. Wie an nur
wenigen Standorten können hier sowohl komplizierteste Aorten-Operationen
minimalinvasiv mittels Katheterverfahren, als auch die offene
Maximaltherapie von Aortenerkrankungen, sowie Operationen mittels
maschineller Kreislauf- und Lungenunterstützung routiniert angeboten
werden. Letztere können nach entsprechender Risikoabwägung insbesondere
bei jüngeren Patienten mit Erkrankungen der gesamten Hauptschlagader von
Vorteil sein und sind bei Patienten mit Bindegewebserkrankungen und
Infektionen mit ausgedehntem Ersatz die Methode der Wahl. Für eine offene
Operation der gesamten Hauptschlagader sprechen bei Jüngeren die guten OP
und Langzeitergebnisse, auf die die Mediziner setzen.

„Diese Maximaltherapie erfordert spezielle und tiefe Kenntnisse und
Kompetenzen und ein starkes interdisziplinäres Team, weshalb sie nur in
wenigen Zentren in Deutschland angeboten wird“, sagt Prof. Michael
Albrecht, Medizinischer Vorstand des Uniklinikums Dresden. „Wir sind
stolz, als Maximalversorger in der Region einige der besten Chirurgen bei
uns zu haben, die diese komplizierten Eingriffe durchführen können.“ Dazu
gehören auch endovaskuläre Operationen, die besonders bei älteren und
kränkeren Patienten gewählt werden. Hier werden in einem der beiden
hochmodernen Angiographie-Hybrid-OPs des Chirurgischen Zentrums sogenannte
Stentprothesenröhrchen minimalinvasiv über kleine Punktionen in die
Leistenschlagadern eingeführt, um die Aorta zu stabilisieren,
Organarterien zu sichern und den Zufluss zum Aneurysma zu stoppen. Die
Mediziner müssen die Bauchhöhle hierbei nicht öffnen, weshalb dieser
Eingriff schonender und körperlich deutlich weniger belastend ist und sich
deshalb bei Patienten im hohen Alter anbietet. „Das Chirurgische Zentrum
des Uniklinikums im Haus 32 und 59 bietet uns allen optimale Bedingungen
für die oft schwierigen Operationen“, sagt Prof. Jürgen Weitz, Direktor
der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie. „Besonders durch die
enge und damit unkomplizierte Zusammenarbeit von Gefäß-, Thorax- und
Bauchchirurgen in einer Klinik können auch die komplexesten chirurgischen
Krankheitsbilder die häufig ein nahtloses Zusammenwirken aller
Spezialisten benötigen erfolgreich gemeinsam versorgt werden.“

So auch bei Carola Zschocke. Sie wurde seit dem Aortenriss in der
Brustschlagader und der Fistel an der Speiseröhre noch mehrfach von den
Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgen operiert. Im vergangenen November
wurde bei ihr die Speiseröhre mittels Magenhochzug wiederhergestellt.
Zudem hat sie eine künstliche, mechanische Herzklappe bekommen – auch dies
war aufgrund der Folgeerscheinungen des Marfan-Syndroms notwendig.
Regelmäßig kommt die Patientin zur Nachbetreuung in das Uniklinikum. „Mir
geht es soweit gut“, sagt die heute 37-jährige Mutter von zwei Kindern.
Auf ihrem Grundstück in Schönbrunn kann sie sich schon gut bewegen. Nun
gilt es, nachdem das Gröbste überstanden ist, Gewicht zuzulegen, die
Herzleistung zu verbessern und generell zu Kräften zu kommen. Noch leidet
sie unter Schwächegefühl, speziell nach dem Essen. Bei ihren Fragen und
medizinischen Problemen wird die Patientin weiterhin am Uniklinikum
Dresden engmaschig betreut.

Herausstechendes Merkmal der universitären Gefäßmedizin in Dresden ist
zudem die gute Kooperation und Konzentration von Gefäßspezialisten aller
Fachgebiete im UniversitärenGefäßCentrum (UGC) bzw. Universitären
Aortenzentrum (UAD). Hier arbeiten Herz- und Gefäßchirurgen,
Interventionsradiologen und Angiologen auf einem universitären Campus eng
und koordiniert zusammen, sodass sämtliche Gefäßerkrankungen vom
Aortenbogen bis in die Zehen und Fingerspitzen mit allen zur Verfügung
stehenden operativen, minimalinvasiven und medikamentösen Methoden
behandelt werden können. „Im Aortenboard tauschen wir uns regelmäßig aus
und besprechen die Fälle. Auch die regelmäße Vor- und Nachsorge, die
natürlich ähnlich wichtig für unsere Patienten ist, wie die Operation,
erfolgt hier über das Zentrum sozusagen aus einer Hand. Eine zusätzliche
Aorten- und Marfan-Sprechstunde runden zudem die Versorgung ab“ sagt Prof.
Christian Reeps.