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Neue Strukturen und Reformen als Basis für eine nachhaltige (Herz-)Medizin

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Privatdozent Dr. Wolfgang Harringer, Präsident der DGTHG
Privatdozent Dr. Wolfgang Harringer, Präsident der DGTHG

Privatdozent Dr. Wolfgang Harringer ist seit 2017 Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) und zugleich
Chefarzt der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Städtischen
Klinikum in Braunschweig. Der Herzchirurg sieht in der ärztlich
interdisziplinären und berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit große
Chancen für das Gesundheitswesen und empfiehlt, wieder mehr den Patienten
in den Fokus zu rücken und gleichzeitig für eine nachhaltige
Gesundheitspolitik zu sorgen.

Herr PD Dr. Harringer, welche Entwicklung in der Herzmedizin ist Ihnen
aktuell besonders wichtig?

Mir ist die weitere Verbesserung der interdisziplinären Zusammenarbeit ein
besonderes Anliegen. Jeder Herzpatient wünscht sich die für ihn
bestmögliche Therapie. In Abhängigkeit von der Schwere und dem Verlauf der
Krankheit nebst Risikoeinschätzung wie auch dem Lebensalter und der
Lebensqualität, gilt es zu entscheiden, welches der zur Verfügung
stehenden Verfahren indiziert und sinnvoll ist, da die verschiedenen
Optionen auch in Ihrer Invasivität variieren. Diesbezügliche Evaluationen
und Entscheidungen müssen, unter Einbeziehung der Patienten, stets im
Herzteam getroffen werden; die verständliche interdisziplinäre Aufklärung
sowie die Einwilligung der Patienten sind dabei unbedingt zu
gewährleisten. So sehen es internationale und bundesweite medizinischen
Leitlinien vor. Dennoch ist ein noch innovativeres Vorgehen denkbar. Ein
gutes Beispiel für einen erfolgreichen Weg ist die seit langem etablierte
Vorgehensweise bei Tumorerkrankungen. Bei diesen sind patientenbezogene
Tumorkonferenzen, sogenannte „Tumor-Boards“, obligat, bei denen Fachärzte
unterschiedlicher Gebiete gemeinsam das Krankheitsgeschehen jedes
einzelnen Patienten diskutieren, bewerten und eine gemeinsame Empfehlung
zur Behandlungsstrategie konsentieren. Mit der konsequenten Fortsetzung
zur Etablierung von Herzteams geht die notwendige Entwicklung sicher in
die richtige Richtung. Differenzierte Patienteninformation, die
verpflichtende Einbindung und der verständliche Dialog mit den Patienten
sind ebenfalls erforderlich. Vorrangig steht im Fokus eines jeden Arztes,
den Menschen zu mehr Gesundheit zu verhelfen.

Was muss die nächste Bundesregierung Ihrer Meinung nach
gesundheitspolitisch ändern?

Das deutsche Gesundheitswesen weist eine enorme Heterogenität in der
Krankenversorgung auf. Einerseits gilt es, neue Therapieverfahren zu
entwickeln und zu evaluieren, beispielweise in der sogenannten
Hochleistungsmedizin, andererseits die Krankenversorgung bundesweit auf
einem angemessenen Niveau zu gewährleisten. Bei letzterem zeigen sich
bereits seit einigen Jahren - überwiegend in ländlichen Regionen –
Versorgungsengpässe aufgrund von Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Das
erscheint paradox, denn die medizinische Versorgung in Deutschland ist in
einigen Aspekten exzellent und andererseits braucht es grundlegende Re-
Strukturierungsmaßnahmen. Die Gesundheitspolitik sollte genau hier
ansetzen: die schrittweise Beseitigung historisch entstandener
Versorgungssektoren mit ihren ökonomischen Regeln, die vermeintlich einer
freien Marktwirtschaft entsprechen, ist ein vorrangiges Ziel, das
möglichst mittel-, und sicher langfristig erreichbar ist. Dies mit dem
Blick auf eine verantwortungsvolle Gesundheitsvorsorge und
Krankenversorgung der Bevölkerung. Die hierfür notwendigen Finanzmittel
sind sicher aus der bislang vorhandenen Budgetierung generierbar.

Wie könnten diese Aufgaben Ihrer Meinung nach konkret bewältigt werden?

Vorrangig sind neue Personalunionen zu strukturieren, regionale
Versorgungsstrukturen zu vernetzen, und neue Kooperationen zu schaffen,
all dies mit dem Ziel, einen neuen interdisziplinären und
sektorenunabhängigen Austausch zu initiieren. Eine Mammut-Aufgabe, die
angegangen werden muss, um den Herausforderungen im Kontext des
demografischen und gesellschaftlichen Wandels angemessen zu begegnen.
Entsprechend muss der Kompass des deutschen Gesundheitswesens
richtungsweisend und zukunftsorientiert justiert werden, um allen
Patienten einen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen
Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Personelle Strukturen sind insbesondere in dem Kontext Strukturreform
wichtig. Erklären Sie kurz, wieso?

Wir beobachten sowohl einen Fachkräfte- als auch einen Nachwuchsmangel.
Daher müssen wir dringend angemessene und mitarbeiterorientierte
Rahmenbedingungen schaffen, die die vielfältigen Berufe im
Gesundheitswesen wieder attraktiver machen. Menschen, die Berufe in der
Krankenversorgung ausüben, verfügen häufig über besondere
Persönlichkeitsmerkmale wie Empathie, Verantwortungsbewusstsein und
Aufopferungswillen. Dies gilt es zu bewahren und nicht durch
Überlastungen, Stress und kaum erfüllbare Anforderungen zu konterkarieren.
Wünschenswert wäre eine Medizin, die die Patienten, aber auch die sie
versorgenden Menschen der vielfältigen Gesundheitsberufe, wieder in den
Vordergrund stellt.

Die Fachgesellschaft Deutscher Herzchirurgen setzt sich für das Fachgebiet
der Herzchirurgie ein. Was gehört konkret dazu?

Ganz konkret wollen wir als kompetente Partner stets ansprechbar sein, das
Fachgebiet der Herzchirurgie fördern, Qualitäts-Standards in der
Herzmedizin definieren, evaluieren und weiterentwickeln, wie auch die
kardiovaskuläre Forschung voranbringen. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir
jedes Jahr die DGTHG-Leistungsstatistik veröffentlichen, in Kooperationen
für das Deutsche Aortenklappen-Register und die nationale
Qualitätssicherung angeborene Herzfehler verantwortlich sind, den
Deutschen Herzbericht mitgestalten und über diverse Themen der
Herzmedizin, wie beispielsweise die Organtransplantation, umfassend
aufklären. Praktisch heißt das auch, dass die Mitglieder der DGTHG die
Patienten mit Herz-, Thorax- und Gefäßerkrankungen wissenschaftlich
begründet, nach ethischen Grundsätzen und in kollegialer Zusammenarbeit
untersuchen, beraten und behandeln. Oder kurz: Mit Herz, Verstand und Hand
für Patienten.

Herr Privatdozent Dr. Harringer, vielen Dank für das Gespräch

Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V.
(DGTHG) mit Sitz in Berlin ist eine gemeinnützige medizinische
Fachgesellschaft, deren Ziele u.a. der Förderung der Wissenschaft und
Weiterentwicklung von Therapien auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und
Gefäßchirurgie sind. Zu weiteren Hauptaufgaben zählen die Durchführung von
Weiter- und Fortbildungsprogrammen, Erstellung medizinischer Leitlinien,
Förderung von Nachwuchskräften und die Ausrichtung medizinischer
Fachtagungen. Als Vertretung der über 1.000 in Deutschland tätigen und in
der DGTHG organisierten Thorax-, Herz- und Kardiovaskularchirurgen stehen
die Verantwortlichen der Fachgesellschaft für einen Dialog mit der
Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft zur Verfügung.

Weitere Informationen unter www.dgthg.de und unter