Inkontinenz: Falsche Scham macht das Leben unnötig schwer - Infoabend im Dresdner Uniklinikum

Im Vorfeld des am 10. und 11. November 2017 in Dresden stattfindenden
Kongresses der Deutschen Kontinenz Gesellschaft e.V. informieren Experten
am Mittwoch, dem 8. November, ab 17.30 Uhr, Betroffene und Angehörige bei
einem Patientenforum über die Ursachen für Harn- und Stuhlinkontinenz und
deren gezielte Behandlung. Gastgeber der kostenlosen Veranstaltung im
Hörsaal des Universitäts Kinder-Frauenzentrums (Haus 21) sind die beiden
am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden tätigen Klinikdirektoren
Prof. Pauline Wimberger (Frauenheilkunde und Geburtshilfe) und Prof.
Manfred Wirth (Urologie), die als Kongresspräsidenten das Programm der
wissenschaftlichen Tagung verantworten.
Die beiden Experten des Dresdner Uniklinikums haben den Kongress unter das
Motto „Kontinenz verbessern – Lebensqualität erhöhen“ gestellt, wozu auch
eine gezielte Aufklärung der Öffentlichkeit gehört. Denn die Inkontinenz
ist immer noch ein Tabuthema: Betroffene vertrauen sich oft nicht einmal
ihren Ärzten an, wenn sie ihren Urin oder ihren Stuhl nicht immer halten
können.
Obwohl Inkontinenz eine Volkskrankheit ist, sprechen nur wenige Betroffene
darüber – lieber nehmen sie Einschnitte in der Lebensqualität in Kauf.
Edeltraut M. hat sich lange damit abgefunden, dass sie ihren Harn nicht
mehr halten konnte, wenn sie nach dem Einkauf vollbepackt die Treppen zu
ihrer Wohnung hochstieg. „Das gehört eben dazu, wenn man älter ist“,
redete sie sich ein. Die einzige Lösung: weniger trinken und häufiger zur
Toilette gehen. Deshalb begann für die heute 79-Jährige der Gang durch die
Innenstadt immer auf einer der raren öffentlichen Toiletten. Während diese
Vorsichtsmaßnahme lediglich den Alltag deutlich einschränkt, ist das
reduzierte Trinken geradezu gefährlich: „Wenn Patienten stärkere
Medikamente einnehmen müssen und über den Tag zu wenig trinken, kann es
lebensgefährlich werden“, sagt Dr. Anna Kolterer. Die Oberärztin leitet
die Urogynäkologische Sprechstunde der Klinik für Frauenheilkunde und
Geburtshilfe des Dresdner Uniklinikums und sieht dabei viele betroffene
Frauen mit solchen Vorgeschichten.
„Es war ein schleichender Prozess, die Symptome wurden immer schlimmer“,
berichtet Edeltraut M. Irgendwann reicht es, einfach nur einmal zu nießen
– und schon passierte ein Malheur. Anders als andere Frauen, fasste sich
die selbstbewusste und sehr agile Seniorin schließlich ein Herz: Sie
sprach ihren Urologen an, der sie sofort ans Uniklinikum überwies. So saß
sie Anfang des Jahres Dr. Kolterer gegenüber, die erst einmal ein
gezieltes Untersuchungsprogramm startete, um die Ursache der Inkontinenz
herauszufinden. Die Fachärzte unterscheiden zwischen einer Belastungs- und
einer Dranginkontinenz. Bei ersterer führen Belastungen im Bereich des
Beckenbodens – etwa durch schweres Heben, Treppensteigen, Nießen oder auch
schnelles Gehen dazu, dass Betroffene ihren Urin nicht mehr halten können.
Schuld ist häufig eine Veränderung der Muskeln in diesem Bereich. Grund
ist das Alter aber auch die Belastung durch eine oder mehrere Geburten.
Bei der Dranginkontinenz müssen Betroffene viel häufiger als normal zur
Toilette gehen – also mehr als acht bis zehn Mal an einem Tag. Weil sie
aufgrund des ständigen Harndrangs nicht mehr durchschlafen können, weil
sie mehrfach aufstehen müssen, fühlen sie sich tagsüber zusätzlich müde
und zerschlagen. Die Ursachen für diese Form der Inkontinenz liegen
entweder in einer gestörten Funktion der inneren Schleimhaut der Harnblase
oder im zentralen Nervensystem und lassen sich oft mit Medikamenten gut
behandeln. Die Schleimhaut oder das Nervensystem lösen eine
„Überaktivität“ der Blase selbst oder deren Muskulatur aus und senden
vermehrt Harndrang-Reize ans Gehirn. Das Gleichgewicht zwischen den
Reizen, welche die Blase anregen oder hemmen, ist gestört. Folge ist ein
vermehrter Harndrang.
Bei Edeltraut M. diagnostizierte Dr. Kolterer eine Belastungsinkontinenz.
Erste Gegenmaßnahme ist in diesem Fall das Training des Beckenbodens.
Gezielte Übungen, angeleitet von spezialisierten Physiotherapeuten können
das Problem mildern. Allerdings braucht es dazu Hartnäckigkeit und Geduld.
Bevor die Übungen Erfolg zeigen, vergehen wie bei jedem anderen
Muskeltraining drei bis sechs Monate. Und wer damit wieder aufhört, wird
den positiven Effekt auch verlieren. Andererseits können Medikamente die
Beckenbodenmuskulatur stärken. Die Kombination aus Beckenbodentraining und
medikamentöser Therapie hat gerade bei jüngeren Frauen gute Effekte. Bei
Edeltraut M. fiel die Entscheidung jedoch auf eine kleine Operation, bei
dieser wird ein kleines Band spannungsfrei um die Harnröhre gelegt, um
diese bei Belastung zu stabilisieren. Auch das hilft vielen Frauen, den
Harn trotz einer Belastung zu halten.
Der minimalinvasive Eingriff dauert in der Regel nur 20 bis 30 Minuten.
Nach drei Tagen konnte die rüstige Dresdnerin das Uniklinikum verlassen.
„Hätte ich das nur früher machen lassen“, sagt sie heute. Nicht nur dass
der Toilettenbesuch nicht mehr im Mittelpunkt eines Stadtbummels steht.
Sie kann ohne Bedenken Treppen steigen oder Fahrrad fahren – und sie traut
sich auch wieder ins Fitnessstudio. Allerdings hebt sie dort keine
Gewichte, sondern trainiert ihren Rücken und die Beckenbodenmuskulatur.
Was ihr bleibt, ist ein geschulter Blick. So sieht sie sofort den dunklen
Fleck in der Hose von Frauen, die gerade eine Treppe hochsteigen. Einige
davon hat sie auch schon angesprochen und ihnen erzählt, dass es Hilfe
gibt, wenn man seinen Arzt offen auf das Problem anspricht.
„Aber nicht nur Frauen leiden an einer Harninkontinenz, auch Männer sind
gerade nach Operationen betroffen“, bestätigt Prof. Manfred Wirth,
Direktor der Klinik für Urologie am Dresdner Uniklinikum. Hier kann ein
Gespräch mit einem Fachmann der Urologie Abhilfe schaffen und die
entsprechende Diagnostik und Therapie eingeleitet werden. Selbiges gilt
für Patienten die unwillkürlich Winde oder sogar Stuhl verlieren – hier
sind in der Regel Koloproktologen die richtigen Ansprechpartner.
Patientenforum vermittelt Wissen und weckt Zuversicht
Die Deutsche Kontinenz Gesellschaft, die hinter dem Dresdner Kongress
steht, will das Tabuthema Inkontinenz überwinden und die Behandlung von
Menschen mit Inkontinenzerkrankungen verbessern. Weil die Betroffenen
zuweilen die Übersicht über die Ansprechpartner und die vielfältigen
Behandlungsoptionen verlieren, setzt die Fachgesellschaft auf die
Aufklärung der Betroffenen und ihnen nahestehende Personen. Selbst wenn
das Leiden als medizinisch austherapiert gilt, können diese Patienten dank
guter Hilfsmittel fast unbehindert am täglichen Leben teilhaben. Um dieses
Wissen zu vermitteln und Zuversicht zu wecken, lädt die Gesellschaft
Patienten und Interessierte zu einem öffentlichen Patientenforum ein,
am Mittwoch, dem 8. November 2017, um 17.30 Uhr,
im Hörsaal des Universitäts Kinder-Frauenzentrums (Haus 21),
Fetscherstraße 74, 01307 Dresden
(Eingang über die Hauptpforte Fiedler-/Ecke Augsburger Straße
beziehungsweise über die Pfotenhauerstraße)
Nach der Begrüßung durch Prof. Pauline Wimberger gibt es bei der
kostenlosen Veranstaltung folgende Vorträge:
17:35 Uhr – Harninkontinenz der Frau – Ursachen und Formen, Therapie
(Dr. Anna Kolterer, Leiterin der Urogynäkologischen Sprechstunde, Klinik
für Frauenheilkunde und Geburtshilfe)
18:00 Uhr – Harninkontinenz des Mannes
(Oberarzt PD Dr. Stefan Propping, Klinik für Urologie)
18:30 Uhr – Stuhlinkontinenz: Ursachen, Formen und Therapie
(Dr. Jakob Dobroschke, Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie )
19:00 Uhr – Hilfsmittelverordnung – Blasen- und Darmmanagement: Wem steht
was zu? (Susanne Dörfler, Krankenschwester und Fachkraft für Stoma-,
Kontinenz- und Wundversorgung)
19:30 Uhr – Physiotherapie: Motivation zur Selbsttherapie
(Ina Lautenbach und Ilena Trepte Universitäts Physiotherapiezentrum)
Ab 19:45 Uhr – Gelegenheit zur Diskussion und Erfahrungsaustausch
Weitere Informationen
www.kontinenz-gesellschaft.de