Schärfere Bestimmungen zum Schutz vor schädlichen Umwelthormonen nötig: EU-Kriterien unzureichend
Endokrine Disruptoren (EDCs), auch Umwelthormone genannt, sind wegen ihrer
möglichen Gesundheitsschädigung hochumstritten. Im Juli wurden die EU-
Kriterien für Pflanzenschutzmittel angenommen, mit denen EDCs
identifiziert und Zulassungen ggf. abgelehnt werden können. Diese
Kriterien sind nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(DGE) unzureichend. Sie bieten unter anderem Schlupflöcher für Chemikalien
zur Schädlingsbekämpfung, die hergestellt werden, um in das Hormonsystem
von Insekten einzugreifen.
Warum EDCs für Mensch und Tier gefährlich sind, wie sich das am Beispiel
des Fipronil-Eier-Skandals zeigt und wie die Politik reagieren sollte,
erläutern DGE-Experten auf der Pressekonferenz am Mittwoch, den 13.
September 2017, in Berlin.
Endokrine Disruptoren (EDCs) finden sich in Kunststoffverpackungen,
Fertignahrung, Kosmetika und Pflanzenschutzmitteln. Es sind
weitverbreitete synthetische oder natürlich vorkommende Stoffe, die in den
Hormonhaushalt des Körpers eingreifen können. Experten wissen schon lange,
dass EDCs die Gesundheit beeinträchtigen können. „Manche der chemischen
Substanzen wirken wie Hormone und binden im Körper an einen
Hormonrezeptor. Andere wiederum blockieren Hormonrezeptoren und verhindern
so, dass körpereigene Hormone andocken und wirksam werden können“, erklärt
Professor Dr. rer. nat. Josef Köhrle vom Institut für Experimentelle
Endokrinologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, und Präsident der
DGE. Wieder andere Substanzen stören die Produktion oder die Umwandlung
körpereigener Hormone und bringen so das fein austarierte Hormonsystem aus
der Balance. „Seit Jahrzehnten beobachten wir eine zunehmende
Beeinträchtigung der männlichen und weiblichen Fruchtbarkeit“, sagt
Köhrle. Fünf bis zehn Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter litten
beispielsweise an dem Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCOS), das für
Zyklusstörungen, Zysten in den Eierstöcken und ungewollte Kinderlosigkeit
verantwortlich ist. „Es gibt mehr hormonabhängige Tumoren, also mehr
Prostata-, Hoden- und Brustkrebs, Jugendliche kommen früher in die
Pubertät, Übergewicht und Diabetes nehmen ebenso zu wie
Entwicklungsstörungen bei Kindern“, so Köhrle weiter. Wenngleich es immer
Ursachenbündel sind, die Krankheiten verursachen, bestehe kein Zweifel
daran, dass bestimmte EDCs wie Bisphenole oder Phthalate daran beteiligt
sind, die beide in der Herstellung von Kunststoffen, vielen
Haushaltsgegenständen und Körperpflegemitteln verwendet werden, so der
Experte.
Vertreter der EU-Mitgliedstaaten haben Anfang Juli 2017 einem Vorschlag
der Europäischen Kommission zu „wissenschaftlichen Kriterien für die
Bestimmung endokriner Disruptoren im Bereich Pflanzenschutzmittel“
zugestimmt. „Was zunächst einmal gut klingt, ist bei genauer Betrachtung
eine halbherzige Angelegenheit. Die Kriterien der EU-Kommission lassen
Schlupflöcher offen“, so Köhrle. Es gibt Ausnahmen für einige in der
Landwirtschaft eingesetzte Pestizide, die über einen bestimmten
Wirkmechanismus verfügen, um in das endokrine System des Schädlings
einzugreifen und damit seine Vermehrung unterbinden. Fipronil ist dafür
ein gutes Beispiel. Es wirkt als EDC für Gehirn und Nervensystem sowie auf
die Nachkommen. „Bei Menschen und Säugetieren ist es zwar nicht der
gleiche Rezeptor für Sexualsteroid-Hormone wie bei den Insekten, aber
erstere verfügen über eine Gruppe von verwandten Rezeptoren. Das könnte
also zu den bereits genannten Erkrankungen führen“, erklärt Köhrle. Das
EU-Kriterien-Bündel wird dazu führen, dass Chemikalien, die als EDCs
entwickelt werden, nicht als EDCs klassifiziert werden können. Damit
stünde ihrer Zulassung nichts im Weg.
Fachleute wünschen sich schon lange, dass die Politik stärker ins Handeln
kommt, ähnlich wie bei Krebs auslösenden Stoffen: So sind beispielsweise
Dioxine, deren krebsauslösenden Eigenschaften durch Studien belegt werden
konnten, in der Umwelt stark reduziert worden, da es technische und
rechtliche Maßnahmen auf politischer Ebene gab. Auch Verbote konnten
durchgesetzt werden, wie für chlorierten Kohlenwasserstoff PCP
(Pentachlorphenol) oder die polychlorierten Biphenyle (PCB). Diese wurden
als Weichmacher in Kunststoffen und als Zusatzstoff für Farben und
Dichtungsmassen verwendet. „Wie bei karzinogenen Stoffen sollte sich in
der Politik das Vorsorgeprinzip durchsetzen: Bereits der Verdacht einer
Gesundheitsgefährdung sollte ausreichen, um eine Substanz vom Markt zu
nehmen“, fordert Köhrle.
Die DGE unterstürzt die Position der großen internationalen
endokrinologischen Fachgesellschaften, die deutlich vor einer Annahme
dieser EU-Kriterien gewarnt hatten – ohne Erfolg. An die deutschen
Behörden gerichtet fordert der DGE-Präsident: „Aufklärungsmaßnahmen für
besondere Bevölkerungsgruppen wie etwa schwangere Frauen und ein
nationaler Aktionsplan zum Schutz vor solchen Umwelthormonen sind
unverzichtbar.“
Anlässlich des 2. Deutschen Hormontages am 16. September 2017 findet am
13. September 2017 in Berlin eine Pressekonferenz der DGE statt. Weitere
Themen sind: „Trendwende: Hormontherapie bei Wechseljahresbeschwerden“,
„Transidentität – Voraussetzungen für eine optimale Therapie“ und „10
-Punkte-Programm für eine sinnvolle Diagnostik und Therapie in der
Endokrinologie.“