Krankenhausreform gefährdet Schmerzmedizin - Millionen Betroffene drohen ihre Versorgung zu verlieren
Im Krankenhausreformanpassungsges
Schmerzmedizin nicht als eigene Leistungsgruppe vorgesehen. Damit fehlen
die rechtlichen und finanziellen Grundlagen, die für die interdisziplinäre
Behandlung betroffener Patientinnen und Patienten unverzichtbar sind.
Schon heute kommt es zu Schließungen spezialisierter Einrichtungen und
Neuinvestitionen werden gestoppt.
Bis zu 40 Prozent der bisherigen
Behandlungsfälle könnten dadurch wegfallen. Heute stellten Fach- und
Patientenverbände in einer Online-Pressekonferenz ihre Analyse vor. Sie
fordern mit Nachdruck, dass die spezielle Schmerzmedizin als eigenständige
Leistungsgruppe verankert wird.
Rund 23 Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen.
Etwa 4 Millionen von ihnen sind besonders schwer betroffen: Sie können
kaum am Arbeitsleben teilnehmen, ziehen sich aus dem sozialen Umfeld
zurück und verlieren an Lebensqualität. Für viele bedeutet das nicht nur
körperliche Dauerbelastung, sondern auch Verzweiflung und
Hoffnungslosigkeit.
Eine wirksame Therapie gibt es: die interdisziplinäre multimodale
Schmerztherapie (IMST). Expertinnen und Experten aus der Schmerzmedizin,
Psychologie, Pflege und Physiotherapie arbeiten dabei eng zusammen, um
Körper und Psyche gleichermaßen zu behandeln. Diese Therapie wird bislang
in etwa 370 Kliniken angeboten. Doch ohne klare gesetzliche Absicherung
fallen diese Angebote zunehmend weg. Schon heute müssen Betroffene
monatelang auf einen Platz warten. Wenn weitere Einrichtungen schließen,
verschärft sich die Unterversorgung dramatisch.
Drohende Konsequenzen für Patientinnen und Patienten
Bleibt das KHAG unverändert, werden Behandlungsfälle spezialisierter
Schmerzstationen künftig fachfremden Leistungsgruppen wie „Allgemeine
Innere Medizin“ oder „Allgemeine Chirurgie“ zugeordnet. Diese Gruppen
haben andere qualitative Mindestanforderungen – zum Beispiel in Personal-
oder Geräteausstattung – die mit schmerzmedizinischen Strukturen wenig zu
tun haben. Die Folge: Schmerztherapeutische Einrichtungen können die für
sie unpassenden Auflagen nicht erfüllen und verlieren ihre
Abrechnungsgrundlage.
Für die Betroffenen heißt das: weniger Behandlungsplätze, längere
Wartelisten, zunehmende Verzweiflung. Viele Patientinnen und Patienten
berichten schon heute von einer jahrelangen Odyssee, bevor sie Hilfe
finden. Wenn nun weitere Strukturen wegbrechen, drohen Leidensgeschichten,
die nicht nur individuelles Schicksal sind, sondern auch die Gesellschaft
betreffen – durch Krankheitsausfälle, Frühverrentungen und steigende
Kosten.
Fachverbände fordern: Schmerzmedizin braucht eigene Leistungsgruppe
Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. und ihre Partner fordern eine
eigenständige Leistungsgruppe „Spezielle Schmerzmedizin“. Diese müsse per
Gesetz oder Rechtsverordnung schnell eingeführt werden, damit
qualitätsgesicherte Angebote nicht verschwinden. Anpassungen über den
Umweg „Fachkrankenhausstatus“ seien zu komplex und nicht zeitnah
umsetzbar.
Ohne eine solche Nachbesserung droht ein Dominoeffekt: Einrichtungen
schließen, Fachpersonal wandert ab, und Patientinnen und Patienten bleiben
dauerhaft unterversorgt. Die Politik muss deshalb in den kommenden
Abstimmungen handeln und den besonderen Versorgungsbedarf von Menschen mit
chronischen Schmerzen anerkennen.
Stimmen der Expertinnen und Experten
• Prof. Dr. Frank Petzke, Präsident der Deutschen
Schmerzgesellschaft e. V.:
"Eigene Leistungsgruppe jetzt – es braucht heute eine planbare und sichere
Perspektive in der Krankenhausreform, sonst bricht die Schmerzmedizin weg.
Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, gesetzlich
die Krankenhausreform nachzubessern und den Kollaps der Versorgung
chronisch Schmerzerkrankter zu verhindern."
• Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek, Vorsitzender des Berufsverbands
der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und
Palliativmedizin in Deutschland e. V. (BVSD):
“Durch die Klinikreform drohen bestehende stationäre schmerzmedizinische
Einrichtungen wegzufallen, weil für die Schmerzmedizin im Gesetz keine
eigene Leistungsgruppe vorgesehen ist. Der Gesetzgeber entscheidet sich
damit sehenden Auges gegen eine ausreichende Versorgung von knapp 5
Millionen Schmerzpatient*innen in Deutschland.“
• Dr. Jan Holger Holtschmit, Präsident der Arbeitsgemeinschaft nicht
operativer orthopädischer und manualmedizinischer Akutkliniken e. V.
(ANOA):
„Orthopädische Schmerzkliniken fallen durchs Raster – wenn das Gesetz so
bleibt, verlieren wir Einrichtungen.“
• Dr. Jan Emmerich, Vorstandsmitglied des Berufsverbands für
Physikalische und Rehabilitative Medizin (BVPRM):
"Die Schwächung der Schmerzmedizin im Krankenhaus wäre ein schwerer
Einschnitt für eine adäquate Rehabilitation und Teilhabe von Patienten mit
schweren chronischen Schmerzerkrankungen."
• Dr. Markus Schneider, Präsident der Interdisziplinären
Gesellschaft für Orthopädische Schmerzmedizin (IGOST):
„Strukturen statt Streuung: Schmerzmedizin braucht eigene Kriterien, sonst
verliert sie ihre Basis.“
• Dr. Reinhard Thoma, Sprecher der ad-hoc-Kommission
Krankenhausreform der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.:
„Schmerztherapie wird bald zum Luxusgut – und das mitten in Deutschland.
Schon heute mangelt es an stationären und tagesklinischen Angeboten der
multimodalen Schmerztherapie. Zu warten ist keine Option mehr: Ohne klare
politische Entscheidungen zur Schmerztherapie im Krankenhaus droht in
immer kürzeren Abständen die Schließung spezialisierter Einrichtungen –
mit gravierenden Folgen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten,
vor allem im ländlichen Raum.“
sowie
• Heike Norda, Präsidentin des USVD SchmerzLOS e. V. – Unabhängige
Vereinigung aktiver Schmerzpatienten in Deutschland:
„Die Suizidalität unter Schmerzpatientinnen und -patienten ist bereits
heute höher als in der Normalbevölkerung. Wenn Abteilungen und Kliniken
wegbrechen, ist das eine Katastrophe.“