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Agroforst im Weinbau: Bäume stärken Reben – bei gleicher Weinqualität

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Vitiforst fördert Biodiversität und verspricht mehr Klimaresilienz im
Weinbau in Mitteleuropa / Verbundprojekt unter Leitung der Uni Hohenheim
ergänzt langjährigen Pilotversuch



Weinreben im Schatten von Bäumen: Sogenannte Vitiforstsysteme können die
Wasserversorgung und Nährstoffverfügbarkeit für die Reben deutlich
verbessern – ohne Veränderung der Weinqualität. Zu diesem Ergebnis kommen
Forschende der Universität Hohenheim in Stuttgart und der Universität
Freiburg in Zusammenarbeit mit mehreren Winzerfamilien in Ayl (Rheinland-
Pfalz). Seit 2007 untersucht das Team im Projekt „Arbustum“ auf einer rund
0,5 Hektar großen Versuchsfläche die Wechselwirkungen zwischen Reben und
Bäumen – mit vielversprechenden Resultaten. Doch noch fehlen weitere
grundlegende Kenntnisse. Das Projekt „VitiForst – Gehölze im Weinbau zur
Steigerung von Klimaschutz und Biodiversität“ will nun dieses Konzept
wissenschaftlich bewerten und auf seine Praxistauglichkeit in deutschen
Weinbaugebieten prüfen. Als Fokusregionen wurden das Remstal und der
Kaiserstuhl ausgewählt. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und
Kunst Baden-Württemberg (MWK) fördert das Projekt mit insgesamt rund
600.000 Euro.

Agroforstsysteme kombinieren den Anbau von Kulturpflanzen mit Gehölzen wie
Bäumen oder Sträuchern. Im Weinbau wird diese Form der Landnutzung
Vitiforst genannt. Sie gilt als eine vielversprechende Strategie, um den
Weinbau langfristig zukunftsfähig und klimaresilienter zu gestalten.

„Dabei ist die Idee nicht neu: Schon die Römer nutzten Bäume als
natürliche Rankhilfen für Reben. Auch heute noch finden sich in Südeuropa
traditionelle Vitiforstsysteme mit Walnuss- bzw. Olivenbäumen und
Weinreben“, sagt Prof. Dr. Christian Zörb vom Fachgebiet Qualität
pflanzlicher Erzeugnisse und Weinbau an der Universität Hohenheim.

Bisher ist jedoch wenig über die Wechselwirkungen zwischen Bäumen und
Reben in solchen Systemen bekannt. So können Bäume beispielsweise eine
physische Barriere für Unkräuter und Insekten bilden, das Mikroklima
verändern, die Artenvielfalt erhöhen, die Bodenfruchtbarkeit steigern oder
sogar die Luft- und Wasserqualität verbessern. Andererseits können Bäume
aber auch Konkurrenten um Ressourcen wie Licht, Raum, Nährstoffe oder
Wasser sein.

Langzeitversuch „Arbustum“ in Rheinland-Pfalz

Seit 2007 untersuchen Forschende der Universitäten Hohenheim und Freiburg
in der Weinbaugemeinde Ayl (Landkreis Trier-Saarburg) auf einer 0,5 Hektar
großen Versuchsfläche, wie sich der kombinierte Anbau von Reben und Bäumen
auf den Wasserhaushalt, die Stickstoffversorgung und die daraus
resultierende Weinqualität auswirkt. Dabei kümmern Winzer:innen der
Gemeinde Ayl sich um die Reben, den Rückschnitt der Bäume übernimmt das
örtliche Forstamt.

Im Mittelpunkt stehen die Rebsorten Riesling und Sauvignon-Blanc, die
sowohl als Reben alleine als auch in Kombination mit Eichen oder Pappeln
kultiviert werden. „Dabei erfolgte die Auswahl der Baumarten bewusst:
Während Eichen als genügsam und langsam wachsend gelten, benötigen Pappeln
mehr Wasser und Nährstoffe und wachsen entsprechend schnell – ideale
Bedingungen für einen direkten Vergleich“, sagt Jakob Hörl,
wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator des Projekts.

Bessere Wasser- und Stickstoffversorgung durch „hydraulischen Lift“

Die Ergebnisse sind vielversprechend. Überraschender Weise konnten die
Forschenden keine Konkurrenz von Bäumen und Reben um Wasser beobachten. Im
Gegenteil: Den Reben steht – selbst in Trockenperioden –  mehr Wasser zur
Verfügung. Insbesondere der Riesling profitierte in den Mischkulturen von
der verbesserten Wasserversorgung.

Dies führen die Forschenden auf ein Phänomen zurück, das als
„hydraulischer Lift“ bezeichnet wird. „Dabei transportieren die
tiefwurzelnde Bäume Wasser und Nährstoffe aus tieferen Bodenschichten nach
oben und machen sie damit auch für die flachen Seitenwurzeln der Reben
verfügbar“, erklärt Jakob Hörl. Dabei gibt es keine Unterschiede zwischen
beiden Baumarten.

Gleichzeitig stand in den Mischsystemen den Reben auch rund 20 Prozent
mehr Stickstoff zur Verfügung, der mit dem Wasser in höhere Bodenschichten
transportiert wird. Stickstoff ist für Weinreben ein sehr wichtiger
Makronährstoff und für das Wachstum und die Entwicklung der Pflanzen sowie
der Trauben von enormer Bedeutung. Darüber hinaus beeinflusst er die
Bildung wichtiger Aromakomponenten und die damit verbundene Qualität von
Most und Wein.

Mehr Biodiversität im Weinberg

Auch im Bodenleben des Weinbergs beobachteten die Forschenden
Veränderungen: Während Eichen vor allem die mikrobielle Vielfalt
förderten, bildeten sich im Zusammenspiel mit Pappeln hochspezialisierte
mikrobielle Gemeinschaften, deren langfristige Wirkung auf Ertrag und
Pflanzengesundheit noch unklar ist.

Die gemeinsame Kultivierung von Reben und Bäumen erhöht aber nicht nur die
mikrobielle Vielfalt, sondern verändert im Vergleich zum reinen Rebenanbau
auch die Wurzelmetabolite der Reben – also die chemischen Verbindungen,
die die Pflanzen über die Wurzeln ausscheiden. Vor allem in der
Kombination mit Eichen war dies deutlich ausgeprägt.

Diese Veränderungen sind offenbar Teil eines Wurzel-zu-Wurzel-
Kommunikationsprozesses mit den benachbarten Bäumen: „Unsere Ergebnisse
zeigen, dass Vitiforstsysteme weit mehr als nur eine gestalterische
Alternative zum klassischen Weinbau sind“, sagt Prof. Dr. Zörb. „Sie
fördern die Bodenbiodiversität und ermöglichen eine Form pflanzlicher
Kommunikation, die über Wurzelausscheidungen funktioniert. Durch derartig
synergistische Effekte lässt sich die Widerstandsfähigkeit des
Produktionssystems steigern.“

Keine Qualitätsveränderung beim Wein

Hat dies alles auch Einfluss auf den Geschmack des Weins? Um dieser Frage
nachzugehen, ernteten die beteiligten Winzer:innen aus jedem Anbausystem
(Reiner Reben- und Mischanbau mit Eiche bzw. Pappel) die Trauben der
beiden Rebsorten separat und bauten sie aus. So entstanden sechs Weine,
die von geschulten Personen sensorisch bewertet wurden.

Besonders erfreulich aus Sicht der Forschenden und beteiligten
Winzer:innen: Die sensorischen sowie chemischen Analysen zeigten, dass es
zwar kleine Unterschiede im Zucker- und Säuregehalt der Weine gab, diese
jedoch nicht signifikant oder qualitätsmindernd waren. „Die sensorische
Qualität des Weins bleibt erhalten – trotz veränderter Anbaubedingungen“,
fasst Prof. Dr. Zörb zusammen.

„Eine wichtige Rolle spielt dabei vermutlich die Beschattung durch die
Bäume“, sagt Jakob Hörl. „Dadurch reduziert sich das Sonnenbrandrisiko der
Trauben, aber auch die Weinlese verschiebt sich dank der Reifeverzögerung
wieder weiter in den Herbst. Viele Aroma-Stoffe im Wein profitieren vom
Wechsel zwischen kalten Nächten und warmen Tagen.“

Vitiforst als Chance für nachhaltigen Weinbau

Diese Ergebnisse aus dem langjährigen Pilotversuch zeigen:
„Agroforstsysteme bieten eine zukunftsorientierte Alternative im Weinbau,
denn sie schonen Ressourcen und fördern die Biodiversität. Sie
stabilisieren den Wasserhaushalt, verbessern die Nährstoffversorgung,
schützen vor Extremwetterereignissen und erhalten die Weinqualität – ein
überzeugendes Konzept in Zeiten des Klimawandels“, so Jakob Hörl.

Zudem eröffnet sich ein neues Marketingpotenzial: Verbraucher:innen
wünschen sich zunehmend nachhaltige, klimafreundlich produzierte Produkte.
„Wein aus einem Agroforstsystem“ könnte diesen Wunsch erfüllen und
gleichzeitig zum Qualitäts- und Alleinstellungsmerkmal werden.

Gleichzeitig weist das Forschungsteam darauf hin, dass der erhöhte
Pflegeaufwand und zusätzliche Kosten bei der Umsetzung eines solchen
Systems nicht unterschätzt werden dürfen. Eine gute Planung,
standortgerechte Sortenwahl und ein gezieltes Marketing sind entscheidend
für den Erfolg.

Modellprojekt VitiForst: zukunftsweisend auch für den Öko-Weinbau

Entscheidend für den Erfolg eines Vitiforstsystems ist ein gut
orchestriertes Zusammenspiel aus passenden Baumarten und Rebsorten, die
Anordnung der Gehölze im Weinberg sowie die Eingliederung in die
betrieblichen Abläufe. „Diese Wechselwirkungen sind komplex und hängen von
den standortspezifischen Bedingungen und der Bewirtschaftung ab“, sagt
Projektleiter Prof. Dr. Zörb.

„Insbesondere für den ökologischen Weinbau stellt die Integration von
Gehölzen einen wichtigen Baustein dar. Außer unserem Versuch in Ayl gibt
es bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Effekten und
Potenzialen von Vitiforstsystemen in Mitteleuropa. Diese Wissenslücken
möchten wir mit dem Projekt „VitiForst“ schließen“, fahrt der Experte
fort.

In der ersten Projektphase konnten die Forschenden bereits Potenziale und
Herausforderungen für den Öko-Weinbau in Baden-Württemberg ermitteln. Eine
begleitende Befragung von Akteur:innen offenbarte außerdem ein unerwartet
hohes Interesse, solche Systeme zukünftig in der Praxis einzusetzen.

Neue Versuchsflächen und Untersuchungen in Fokusregionen

In der zweiten Phase werden nun an den beiden Landesanstalten für Weinbau
in Baden-Württemberg, dem Staatliche Weinbauinstitut Freiburg (WBI) und
der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg
(LVWO) neue Versuchsflächen angelegt. Auf Grundlage der in Ayl gewonnenen
Erkenntnisse beschäftigen sich die Projektbeteiligten dort mit
weiterführenden Fragestellungen.

Zusätzlich untersuchen die Forschenden in zwei Fokusregionen – dem Remstal
und dem Kaiserstuhl – die Effekte bestehender agroforstähnlicher
Gehölzstrukturen, wie beispielsweise Hecken, Rebböschungen oder
Einzelbäume. Zudem unterstützen sie Praxisbetriebe bei der Einrichtung
solcher Systeme.

Ziel der Projektbeteiligten ist es, gemeinsam dieses vielversprechende
Anbausystem weiterzuentwickeln und die nachweislich positiven
physiologischen und ökologischen Wechselwirkungen im Weinbau nutzbar zu
machen. Neben der Universität Hohenheim und der Universität Freiburg sind
die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) sowie
das Staatliche Weinbauinstitut Freiburg (WBI) und die Staatliche Lehr- und
Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO Weinsberg) am Projekt
beteiligt.

HINTERGRUND: VitiForst – Gehölze im Weinbau zur Steigerung von Klimaschutz
und Biodiversität

Ziel des Forschungsprojekts „VitiForst“ ist es, die Wechselwirkungen und
Effekte von Gehölzen im ökologischen Weinbau in Baden-Württemberg
interdisziplinär zu erforschen sowie ihr Potenzial für Klimaschutz und
Biodiversität zu erfassen. Hierzu werden jeweils zwei langjährige
Versuchsflächen an den beiden Landesforschungsanstalten für Weinbau (WBI
Freiburg, LVWO Weinsberg) angelegt und der Praxistransfer exemplarisch in
zwei Fokusregionen im Remstal und am Kaiserstuhl untersucht.

Dabei arbeiten Forschung und Praxis eng zusammen. Die Kooperation mit
ökologischen Weingütern und weiteren regionalen Akteuren ermöglicht eine
enge Verzahnung mit der weinbaulichen Praxis und fördert den direkten
Wissenstransfer. Die Projektflächen sollen nicht nur für die Forschung,
sondern dauerhaft als Demonstrations- und Bildungsstandorte dienen – etwa
für Praxistage, Exkursionen oder Schulungen – und damit dem Praxistransfer
dienen.

Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
(MWK) fördert das Projekt mit insgesamt 600.000 Euro, wovon 370.000 Euro
auf die Universität Hohenheim entfallen.

Hintergrund: Schwergewichte der Forschung

37,1 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler:innen der
Universität Hohenheim 2024 für Forschung und Lehre. In loser Folge
präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende
Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000
Euro für apparative Forschung bzw. 150.000 Euro für nicht-apparative
Forschung.

> Reihe Schwergewichte der Forschung: https://www.uni-
hohenheim.de/forschungsprofil#c551144

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