Die marine Kohlenstoffsenke schwächelt
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der ETH Zürich zeigt
anhand von Messungen, dass die Weltmeere während der beispiellosen marinen
Hitzewelle im Jahr 2023 deutlich weniger CO2 aufgenommen haben als
erwartet.
Die Weltmeere sind eine wichtige Senke für Kohlendioxid (CO2). Bislang
nahmen sie rund ein Viertel der menschgemachten CO2-Emissionen aus der
Atmosphäre auf und stabilisieren so das globale Klimasystem. Ohne diese
Senkenleistung wäre die CO2-Konzentration in der Atmosphäre viel höher und
die Erderwärmung hätte das 1,5-Grad-Ziel bereits deutlich überschritten.
Gleichzeitig nimmt der Ozean rund 90 Prozent der zusätzlichen Wärme aus
der Atmosphäre auf.
Im Jahr 2023 stiegen die Oberflächentemperaturen der Weltmeere sprunghaft
an und erreichten in verschiedenen Regionen Rekordwerte. Der tropische
Pazifik war sehr warm – bedingt durch ein starkes El-Niño-Ereignis, das in
dieser Meeresregion die Strömungen umkehrt, so dass sich vor der Küste
Südamerikas warmes Oberflächenwasser ansammelt und kälteres Wasser nicht
mehr aus tieferen Schichten aufsteigen kann. Gleichzeitig erwärmten sich
auch die Meere ausserhalb der Tropen ausserordentlich stark, insbesondere
der Nordatlantik.
«Diese sprunghafte Erwärmung des globalen Ozeans auf neue
Rekordtemperaturen ist für die Klimaforschung herausfordernd – denn
bislang war unklar, wie die marine Kohlenstoffsenke darauf reagiert», sagt
Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich.
Ein internationales Forschungsteam hat nun erstmals basierend auf
ozeanischen CO2-Messungen von einem globalen Beobachtungsnetzwerk
untersucht, ob und wie sich die extremen Temperaturen vor zwei Jahren auf
diese Senke auswirkten. Geleitet wurde das Team von ETH-Biogeochemiker
Jens Daniel Müller, der bis vor kurzem Postdoc in Grubers Gruppe war.
In einer Studie in Fachmagazin Nature Climate Change zeigen die
Forschenden auf, dass der globale Ozean 2023 fast eine Milliarde Tonnen
oder rund zehn Prozent weniger CO2 aufnahm als aufgrund früherer Jahre
erwartet. Das entspricht etwa der Hälfte der gesamten CO₂-Emissionen der
EU oder mehr als dem 20-Fachen derjenigen der Schweiz. «Das ist keine gute
Nachricht», hält Gruber fest, «doch die Abnahme ist kleiner als
befürchtet.»
Warmes Wasser löst weniger CO2
Der Rückgang hat die Forschenden nicht wirklich überrascht. Warum, erklärt
Müller anhand eines alltäglichen Phänomens: «Wenn sich ein Glas
kohlensäurehaltiges Wasser in der Sonne erwärmt, entweicht gelöstes CO2
als Gas in die Luft». Dasselbe geschieht auch im Meer.
Dass der globale Ozean im Hitzejahr 2023 weniger CO2 aufgenommen hat, war
vor allem eine Folge der hohen Wassertemperaturen in den aussertropischen
Regionen der Nordhemisphäre, insbesondere im Nordatlantik. «Die hohen
Temperaturen reduzierten die Löslichkeit des CO2, was zu einem anormalen
Ausgasen von CO2 führte und die Senkenleistung verringerte», erläutert
Müller.
Ob der Ozean CO₂ aufnimmt oder abgibt, hängt jedoch nicht nur von der
Temperatur ab. Betrachtet man nur die verringerte CO₂-Löslichkeit, müsste
die Ausgasung als Folge der hohen Temperaturen im Jahr 2023 gut zehnmal
stärker ausgefallen sein. Das hätte die globale marine Kohlenstoffsenke
fast vollständig zum Kollabieren gebracht.
Die Studie zeigt jedoch, dass sich die Senke nur moderat verringerte. Der
Grund dafür liegt laut den Forschenden in physikalischen und biologischen
Prozessen im Ozean, die der CO2-Ausgasung entgegenwirken und die
Senkenleistung stützen. Dies geschieht dadurch, dass diese Prozesse die
Konzentration von gelöstem anorganischem Kohlenstoff (dissolved inorganic
carbon, DIC) in den oberflächennahen Schichten reduzieren.
Kompensierende Kräfte stabilisieren die Senke
Drei physikalische und biologische Prozesse hielten DIC im Jahr 2023 in
den oberflächennahen Schichten tief. Erstens das Entweichen von CO2
selbst. Zweitens verhinderte eine stabilere Schichtung der Wassersäule,
dass CO2-reiches Wasser aus den tieferen Schichten an die Oberfläche
aufsteigen konnte. Drittens beförderte die biologische Pumpe anhaltend
organisch gebundenen Kohlenstoff in die Meerestiefen: Unter der
biologischen Pumpe versteht man den Vorgang, bei dem photosynthetische
Organismen in den lichtdurchfluteten Schichten CO2 aufnehmen und wachsen,
dann absterben und in die Tiefe absinken.
Diese drei kompensierenden Kräfte – das Entweichen von CO2, die Schichtung
der Wassersäule und die biologische Pumpe – stabilisierten die
Kohlenstoffsenke. «Somit kann man die Antwort des Ozeans auf die extremen
Temperaturen von 2023 als Resultat eines permanenten Tauziehens zwischen
Temperatur-bedingtem Ausgasen und gleichzeitiger Verarmung an gelöstem CO2
verstehen», sagt Gruber.
El-Niño-Effekt überdeckt
Auf ähnliche Weise erklären die Forschenden den Einfluss des El Niño von
2023 auf die marine Kohlenstoffsenke: Während eines El Niños schwächt sich
die Zirkulation im tropischen Pazifik ab, so dass weniger kaltes und
CO2-reiches Wasser an die Oberfläche aufsteigt. Das führt dazu, dass der
tropische Ostpazifik, der in normalen Jahren sehr grosse Mengen an CO2 an
die Atmosphäre abgibt, während El Niño-Jahren praktisch kein CO2 ausgast.
El Niño fördert dadurch die globale Senkenleistung des Ozeans – trotz der
starken Erwärmung.
Das war auch im Jahr 2023 der Fall. «Allerdings hat die starke Erwärmung
des aussertropischen Ozeanes den El-Niño-Effekt im tropischen Pazifik
ausgehebelt», bilanziert Müller. Tatsächlich war das Temperatur-
getriebene Ausgasen von CO2 vor allem im Nordatlantik so stark, dass es
die CO2-Aufnahme in den Tropen überdeckte. Das führte im El-Niño-Jahr 2023
unter dem Strich zu einem Rückgang der marinen Kohlenstoffsenke.
Karte des globalen Ozeans (a) mit anomalen CO2-Flüssen und Oberflächen-
Temperaturen (SSTs) für 2023. (b) Breitengrade mit hoher Temperatur (rosa)
und schwacher CO2-Aufnahme aufgrund des Ausgasens (türkis). (Grafik: Jens
Daniel Müller / ETH Zürich)
Für ihre Studie fokussierten die Forschenden auf den globalen Ozean,
jedoch ohne den Arktischen Ozean und die südlichsten Teile des
Südpolarmeers. Sie verwendeten CO2-Beobachtungen von Forschungsschiffen,
Frachtern und Messbojen, um daraus mit Satellitendaten und maschinellem
Lernen globale Verteilungsmuster zu erstellen. So konnten sie die CO₂-
Flüsse zwischen Wasser und Luft an der Meeresoberfläche berechnen.
Die Zukunft der marinen Senke ist ungewiss
Die Studie ist eine der ersten, die es auf Basis von Beobachtungen
erlaubt, einen Blick auf das Verhalten eines erwärmten Ozeans zu werfen.
«Wie sich die Senkenleistung künftig entwickeln wird, können wir aber noch
nicht sicher sagen», hält Müller fest.
Klar ist: Seit den Rekordtemperaturen 2023 haben sich die Weltmeere kaum
abgekühlt. Die Erde erwärmt sich weiter. Hitzewellen werden häufiger und
intensiver. «Ob die kompensierenden Mechanismen langfristig wirksam
bleiben und das Temperatur-bedingte Ausgasen begrenzen, ist hingegen
unklar», gibt Gruber zu bedenken.
Die beiden Forschenden räumen ein, dass die marine Kohlenstoffsenke in
Zukunft weniger CO2 absorbieren könnte. «Vorläufig nimmt der globale Ozean
aber immer noch sehr viel CO2 auf – zum Glück», sagt Gruber.